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Alireza Golafshan über „Alles Fifty Fifty“: „Moritz Bleibtreu mag ich, Laura Tonke mag ich. Also, let’s go“

Mit „Alles Fifty Fifty“ von Alireza Golafshan wird morgen das 12. Filmfestival Kitzbühel eröffnet. Wir sprachen mit dem Filmemacher über den Abschluss seiner Reise-Trilogie, auf was es ankommt bei Komödien und Komödienfiguren und sein präzises Auge für große Kinobilder. Bundesweit startet „Alles Fifty Fifty“ am 29. August bei LEONINE.

Alireza Golafshan legt mit „Alles Fifty Fifty” seinen dritten Kinofilm vor, der im Verbund mit Wiedemann & Berg entstanden ist (Credit: privat)

Nach „JGA“ folgt mit „Alles Fifty Fifty“ wieder eine Urlaubskomödie. Warum zwei Urlaubskomödien hintereinander?

Alireza Golafshan: Wahrscheinlich, weil ich selbst nicht zum Urlaubmachen komme. Da sitze ich dann vor der leeren Drehbuchseite und schreibe erst mal: Tag, Strand. Und was passieren könnte…

Gute Einstellung!

Alireza Golafshan: „Die Goldfische“ war auch schon eine Reiseproduktion. Wenn man meine drei Filme als Trilogie zusammenfassen wollte, könnte man sie Reise-Trilogie nennen. Gerade wenn man anfängt als Autor, liefern Geschichten, in denen es auf Reisen geht, eine dankbare Dramaturgie. Es gibt eine äußere Bewegung, die einen zwingt, sich mit den Figuren zu bewegen. Anspruchsvoller ist es, ein Kammerspiel zu schreiben, das die innerliche Bewegung äußerlich nachzeichnet. Das andere ist, dass die Zuschauer sich freuen, im Kino mit zu verreisen. Das macht immer Spaß. Und wie gesagt, ich würde lügen, wenn es keine Rolle spielte, die Dreharbeiten an schöner Location im Warmen stattfinden zu lassen. Es muss schon eine sehr gute Geschichte sein, dass ich sage „Nachtdreh im Winter“. Drehen ist sehr anstrengend. Da bin ich dann doch lieber unter südlicher Sonne. Aber beim nächsten Projekt mehr zuhause arbeiten zu können, vielleicht auch ein bisschen im Studio, wäre auch nicht verkehrt.

„Alles Fifty Fifty“ ist Ihre dritte Komödie in Folge. Was ist der Reiz dieses Genres? Es gilt ja auch gemeinhin als das Schwerste aller Genres…

Alireza Golafshan: Ich hatte das Glück, direkt nach der Uni drei toll produzierte, große Filme machen zu dürfen mit sehr professionellen Teams und Schauspielern. Komödie ist immer ein Versprechen in Richtung einer gewissen Kommerzialität. Deshalb konnten wir die Filme in relativ kurzer Zeit stemmen und finanzieren. Es gibt durchaus andere Genres, die keine Kinokassen-Fantasien freisetzen. Andererseits ist Komödie für das, wie ich mich in meinem Beruf als Autor begreife, nämlich in erster Linie zu beobachten, zu sagen, ich sehe was, was du nicht siehst, mit die beste Plattform. Sie bietet wahnsinnig viel Platz für Figuren. Ich muss nur jemanden sehen, der dieses oder jenes sagt, und sofort stelle ich mir die Frage: Warum verhält sich die Person so? Meine Fantasie fängt an zu rattern. Das sind Einstiegspunkte für meine Geschichten: das Beobachten von verwunderungswürdigem Verhalten. Von da ist man eh schnell beim humorvollen Ton. Und das Comedy-Handwerk kommt erst im zweiten Schritt, wenn man das Gefühl hat, das Fundament ist gegossen. Erst dann kann ich mir es erlauben, höher zu bauen. Ich finde Gags, Slapstick, Over the Top, Madcap-Comedy funktioniert erst dann, wenn sie aus den Figuren kommt. Sie darf nicht aufgesetzt werden. Sonst ist man schnell bei einer Sketch-Show.

„Alles Fifty Fifty“ von Alireza Golafshan mit Moritz Bleibtreu (Credit: Leonine Studios)

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Comedy und Komödie sind auch zwei Paar Schuhe. Wie ernst dürfen Komödien Ihrer Meinung nach sein?

Alireza Golafshan: Bei „Alles Fifty Fifty“ war ich überrascht, dass die meisten Lacher in den letzten 20 bis 30 Minuten kommen, in einer Sequenz, bei der ich mich um die Comedy gar nicht so bemüht habe. Ich stelle fest, dass an den Stellen, in denen etwas Wahres drinsteckt, die größten Lacher kommen. Die Leute lachen nicht technisch über Zaubertricks – was zwar auch funktioniert. Zum Beispiel bei der Versteckspielsequenz im Hotel, eine sehr klassische Comedy-Nummer, die man im Schnitt baut. Aber Hintenrum findet dann doch einfach viel statt, wo die Figuren aufeinandertreffen, und es freut mich, wenn Leute an verschiedenen Stellen lachen. Das ist bei Filmen von Ruben Östlund natürlich noch viel extremer. Ich habe da noch nie mitbekommen, dass alle Zuschauer gleichzeitig lachen. Es wird einfach durchgehend gelacht, aber jeder an einer anderen Stelle. Da hat man das Gefühl: der Film hat wirklich die Türen aufgemacht zum Publikum. Es wird nicht hierarchisch von oben diktiert, was lustig sein soll und was nicht. In „Alles Fifty Fifty“ gibt es Sequenzen, zum Beispiel, wenn Axel Stein Moriz Bleibtreu hochhebt und sagt, „Ich bin manchmal allein“, dann frage ich mich: Ist das jetzt traurig oder lustig? Das weiß ich bis heute nicht. Aber da wird gelacht, obwohl es auch traurig ist.

Die beiden Eltern im Film, gespielt von Laura Tonke und Moritz Bleibtreu, sind nicht so wirklich sympathisch. Axel Steins Papa mag man dafür sofort. Gibt es eine Regel beim Schreiben von Komödienfiguren?

Alireza Golafshan: Das ist schwer zu sagen. Ich denke beim Entwerfen der Figuren sehr psychologisch. Weniger biografisch. Die Biografie kommt dann an Punkten, an denen man sie braucht. Es geht mehr um einen psychologischen Mechanismus. Der war bei „Alles Fifty Fifty“ besonders wichtig, weil gewisse Automatismen in der Elternschaft, in einer Beziehung eine große Rolle spielen. Diese Automatismen müssen Andi und Marion ja durchbrechen. Anfangs leben sie in einem vermeintlich stabilen System, das sich dann allerdings als sehr instabil und fehlerhaft herausstellt. Da muss man in der Figurenzeichnung sehr genau sein, nicht nur mit Blick auf die einzelnen Charaktere, sondern im Verbund. Durch die psychologische Herangehensweise bin ich beim Schreiben nie in einer Außenperspektive. Umso mehr kann man sich trauen, auch Figuren zu entwerfen, die problematisch sind, neurotisch. Die Sympathie kommt durch den Cast. Da vertraue ich drauf. Denn in einer anderen Besetzung könnten vereinzelte Figuren durchaus unsympathisch rüberkommen. Man trifft eine Verabredung mit dem Publikum: Moritz Bleibtreu mag ich, Laura Tonke mag ich. Also, let’s go.

Das Team von „Alles Fifty Fifty” bei der Weltpremiere beim Filmfest München mit Festivaldirektor Christoph Gröner (r.) (Credit: Leonine Studios)

Ihre Filme bestechen jedes Mal mit der visuellen Ausgestaltung. Zu welchem Zeitpunkt machen Sie sich Gedanken über die filmische Umsetzung dazu?

Alireza Golafshan: Ich habe von Anfang an etwas vor mir, was aber nicht unbedingt mit dem finalen Ergebnis zu tun hat. Beim Schreiben erstelle ich mir jedes Mal eine Playlist mit der Musik, die ich mir vorstellen kann. Auf Instagram oder Pinterest sammle ich Bilder, die ein Gefühl vermitteln. Meistens schmeiße ich dann alles über Bord, wenn mein eingespieltes Team mit Kameramann Matthias Fleischer, Szenenbildner Josef Brandl und Kostümbildnerin Anisha Stöckinger dazukommt, die die visuelle Identität ausarbeiten. Bei „Alles Fifty Fifty“ habe ich Matthias und seiner Kameracrew viel zu verdanken. Sie haben es geschafft, dem Film eine zeitlose Kraft zu verleihen. Der Kern der Geschichte trägt auch etwas Märchenhaftes in sich, was sich in einem leicht überhöhten Look widerspiegelt. 

„Schnitt und Schreiben gehen für mich eng zusammen.”

Bei „Alles Fifity Fifity“ schrieben Sie nicht nur das Drehbuch und führten Regie, sondern zeichneten auch für den Schnitt verantwortlich. Wie haben Sie diesen Prozess erlebt? Wie haben Sie sich überhaupt vorbereitet?

Alireza Golafshan: Wir haben hauptsächlich mit einer Kamera gedreht und auch bei relativ simplen Szenen gestoryboardet, teilweise auch 3D-Visualisierung gemacht. Einerseits, weil wir auf Kinderzeiten zu achten hatten und deshalb genau wissen wollten, aus welcher Perspektive wir welchen Moment der Szene brauchen. Zum anderen, weil ich es als eine große Herausforderung empfinde, präzise Bilder zu finden – gerade, wenn sich die Kamera nicht bewegt. Schuss/Gegenschuss finde ich mit das Schwierigste. Wir haben uns schon auch was vorgenommen, zum Beispiel mit der langen Abendessensszene, die über fünf oder sechs Minuten geht. Wo sie leicht quer mit dem Rücken über zwei Tische hinweg in der Viererrunde sitzen. Es war sehr anspruchsvoll, weil wir viele Kameraachsen zu beackern hatten.

Korreliert Drehbuchschreiben und Schnitt?

Alireza Golafshan: Schnitt und Schreiben gehen für mich eng zusammen, ebenso Regie und Schnitt. Ich denke Schnitt tatsächlich beim Schreiben mit. Gerade bei Comedy, wenn man weiß, der Witz liegt eher auf einer Reaktion als im Gesprochenen. Das muss mit ins Drehbuch, damit man das mitliest. Entsprechend drehe ich auf Schnitt. Ich bin froh, dass ich meine ersten Filme nicht selbst geschnitten habe, weil es immer auch schwer ist, sich vom eigenen Material zu trennen. Mittlerweile bin ich alt genug, und beim dritten Film war es auch eine Entscheidung, zuhause zu schneiden, um mehr Zeit mit meinem Sohn zu verbringen. Vermisst habe ich dennoch den Austausch mit meinen vorherigen Editoren, Elena Schmidt und Denis Bachter. 

Aktuell schreibt Alireza Golafshan an seinem nächsten Projekt, das keine Komödie sein wird (Credit: Leonine Studios)

Wie akribisch bereiten Sie sich vor? Inwiefern lassen Sie sich beim Dreh auch auf Ihre Schauspieler ein?

Alireza Golafshan: Mich würde interessieren, was die Schauspieler dazu sagen 😄. Ich glaube, die haben am Anfang das Gefühl, dass ich sehr offen bin. Und im Nachhinein sagen sie, ich hätte sie verarscht. Das ist vielleicht zu harsch formuliert. Klar geht erst mal eine Einladung raus an die Schauspieler, ich sauge wahnsinnig viel auf, was von ihnen kommt. Vor allem, was in den Proben passiert. Es ist weniger meine Aufgabe, ihnen aufzudrücken, wie ich mir was vorgestellt habe, sondern erstmal zu erspüren, was in ihnen drinsteckt, welche Szene, welche Aspekte der Figuren naheliegen, was ihnen vielleicht auch Angst macht oder Sorge bereitet. Dann kann man sich genau darauf vorbereiten. Wenn wir dann am Set sind, machen wir ein, zwei sehr freie Takes. Aber ich gucke dann schon immer, dass wir das so hinkriegen, wie ich mir das vorgestellt habe. Was wohlgemerkt nicht immer im Schnitt landet! Bei „Alles Fifty Fifty“ sind viele frühe Takes von Laura Tonke drin, weil ich erst im Schneideraum kapiert habe, was sie da macht. Man hat am Set immer eine gewisse Vorstellung, will manchmal in eine bestimmte Richtung gehen. Ich bin heilfroh, dass wir immer ein paar Takes haben, bei denen ich die Klappe gehalten habe.

Sie arbeiten bei „Alle Fifty Fifty“ zum dritten Mal mit Wiedemann & Berg zusammen. Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit?

Alireza Golafshan: Es hat sich Stück für Stück ein großes Vertrauen aufgebaut, in beide Richtungen. Zuletzt auch ausgeweitet auf den hauseigenen Verleih, „Alles Fifty Fifty“ ist ja nach „JGA“ der zweite Film, der bei LEONINE auch ausgewertet wird, mit dem selben Verleihteam um Jasna Vavra. Die kennen mich mittlerweile und wissen, dass ich gerne Ideen einbringe. Was mit großer Offenheit aufgenommen wird, zum Beispiel Plakat- und Trailerideen. Das ist wirklich sehr unüblich. Die Zusammenarbeit mit LEONINE gibt einem auch Sicherheit. Wenn die sagen, im Herbst wird gedreht, wird auch im Herbst gedreht. Dafür muss man auch professionell liefern, was ich gerne mache und kann. Ich konnte innerhalb einer tollen Verabredung drei Mal kreativ meine Filme machen. Ich kann nicht meckern. 

Was steht an? 

Alireza Golafshan: Es ist noch nicht spruchreif. Es ist eine sehr rechercheintensive Geschichte, die mich in den juristischen und psychologischen Bereich führt. Toll ist, dass ich auf viele offene Türen von faszinierenden Experten stoße, die ihr Wissen mit mir teilen – ohne etwas in Rechnung zu stellen. Das Drehbuch schreibe ich zusammen mit Moritz Binder. Es wird auf alle Fälle keine Komödie, im weitesten Sinne ein Gerichtsthriller. Mit Moritz hatte ich damals schon das Exposé zu „Alles Fifty Fifty“ geschrieben. 


Das Gespräch führte Barbara Schuster