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TORONTO-Snapspot 2: Highlights, Kröten, Docs, Kontroversen

Tatsächlich fängt das Toronto International Film Festival wieder an, sich erstmals seit Corona wieder wie der Nabel der Filmwelt anzufühlen, konstatiert unser kanadischer Autor Jason Gorber, der beleuchtet, wie das 49. TIFF bisher gelaufen ist und worüber gesprochen wurde.

Ab 11. Oktober in den US-Kinos: „Saturday Night“ (Credit: Sony Pictures)

Wir haben mehr als die Hälfte des diesjährigen Toronto International Film Festival hinter uns, und obwohl die letzten Filme noch nicht angelaufen sind, ist die zweite Hälfte sicherlich bereits die Zeit, in der die meisten internationalen Pressevertreter und Stars nach und nach wieder die Heimreise antreten. Damit entspricht dieser Teil des Festivals dem Erschöpfungsgrad, den viele von uns verspüren. Es endet eher mit einem Rinnsal als mit erhofften Überraschungen am Ende des Festivals.

Dennoch gibt es ausgezeichnete Gelegenheiten, Dinge nachzuholen, die nicht in den eng gesteckten Zeitplan gepasst hatten, und die Konzentration auf die Filme selbst ist für diejenigen von uns, die tatsächlich in Toronto leben, von großem Vorteil. Aus der Sicht eines Branchen- oder Pressevertreters war die diesjährige Programmplanung tatsächlich noch ungeheuerlicher als in den Vorjahren, da die klare Mehrheit der großen Hits in den frühen Morgenstunden gezeigt wurde und die Abende fast ausschließlich für öffentliche Vorführungen zur Verfügung standen. Bestimmte Akkreditierte können Tickets dafür zwar im Voraus erwerben, weshalb es ein geringeres Problem darstellt. Aber das wiederum verhindert natürlich, dass die eigentlichen Besucher die Sektionen in vollem Umfang sehen können. Ich für meinen Teil beneide niemanden, der gezwungen ist, einen Film von den Eckbalkonen der Roy Thompson Hall aus zu sehen, und würde es begrüßen, wenn man ernsthaft über einen Wechsel des Veranstaltungsortes zu einem akzeptableren Ort für die großen Vorführungen nachdenken würde.

Die öffentlichen Vorführungen waren auf jeden Fall voller als im letzten Jahr („ausverkauft“ ist nicht gleichbedeutend mit „Menschen auf den Plätzen“), und obwohl die King Street wegen des Mangels an Imbisswagen und anderen Anziehungspunkten in den vergangenen Jahren belebter war, hatte man im Laufe der Tage doch das Gefühl, dass sich die Dinge zumindest der Normalität vor Covid annäherten.

„Der wilde Roboter“ von Chris Sanders (Credit: Dreamworks Animation / Universal)

Die Filme selbst waren, wie generell ein Großteil des Jahres 2024, eine gemischte Angelegenheit. Wie in meinem vorherigen Beitrag erwähnt, ist es erfreulich, dass die großen Stars aus Telluride und Venedig hierher kommen, im Gegensatz zu den katastrophalen Umständen im Jahr 2023, als viel zu viele Filme Toronto ganz ausgelassen hatten. Wenn es Gerechtigkeit gäbe, dann hätte Jason Reitmans „Saturday Night“ hier sein Debüt feiern sollen, aber immerhin wurde der mit Spannung erwartete Sony-Titel doch noch ins Programm genommen, was willkommen war, und er hat tatsächlich eine gute Chance auf einen der begehrten Publikumspreise.

Meine Liebe zu „The Life of Chuck“ scheint zunehmend ein Ausreißer zu sein (von einigen Kollegen höre ich ablehnende Äußerungen wie „Ich mag keine Erzählung aus dem Off“), aber ich kann immer noch hoffen, dass der Film das Publikum findet, das er verdient. Der Chefredakteur dieser Publikation legte mir ans Herz, „Der wilde Roboter“ nicht zu verpassen, und ich war wie gebannt von einem Film, der für mich zunächst ausgesehen hatte, als wäre er nichts anderes als ein albernes Rip-Off von außergewöhnlichen Disney/Pixar-Filmen wie „Wall-E“ und „Zoomania“.

Nightbitch“ hat mich nicht überzeugt. Ich fand den Film zahnloser, als es seine Prämisse und sein Ausgangsmaterial vermuten lassen, und trotz einer außergewöhnlichen Leistung von Amy Adams schafft es der Film nie, den Mond richtig laut anzuheulen. Ich habe es geschafft, viele der echten Blindgänger zu vermeiden, aber wenn ich den Menschen helfen kann, Edward Burns’ „Millers in Marriage“ zu vermeiden, dann ist meine Mission erfüllt. „Daniella Forever“ von Nacho Vigalando habe ich aufgrund ähnlicher Warnungen von vertrauenswürdigen Stimmen ausgelassen, und der Eröffnungsfilm „Nutcrackers“ setzte die lange Reihe ähnlich ungeheuerlicher Entscheidungen für diesen Slot fort (während wir uns danach sehnen, dass es endlich einmal wieder einen Film wie „Looper“ gibt, der das TIFF eröffnet).

Amy Adams in „Nightbitch“ (Credit: © 2024 Searchlight Pictures)

Dokumentarfilme spielen hier eine wichtige Rolle, und einige der umstrittensten Filme sorgten für viel Gesprächsstoff weit außerhalb der Festivalblase. In einem Gerichtsverfahren wurde vergeblich versucht, die Aufführung von „The Bibi Files“ u verhindern, unter anderem wegen der Verwendung von durchgesickerten Zeugenaussagen, die der Produzent Alex Gibney und der Regisseur Alexis Bloom in ihre Kriminalgeschichte eingebaut hatten. Die Premiere verlief problemlos, und das Publikum bestand hauptsächlich aus einheimischen israelisch-kanadischen Zuschauern, die daran interessiert waren, endlich das Bildmaterial von Zeugenaussagen zu sehen, die denjenigen, die über die israelische Lokalpolitik informiert sind, schon lange bekannt sind.

Ein anderer Film, die kanadische Produktion mit dem Titel „Russians at War“, die in Venedig ihre Premiere feierte, löste in der ukrainischen Gemeinschaft einen massiven Aufruhr aus – und musste schließlich kurz vor dem angesagten Screening aus dem Programm genommen werden, nachdem die Festivalleitung Bombendrohungen erhalten hatte. Viele beklagten die Programmauswahl, von der viele (fälschlicherweise) annahmen, sie sei eine Form der pro-russischen Propaganda oder sogar mit Schwarzgeld aus der Region finanziert. Der Protest gegen Filme, die man nicht gesehen hat, ist grundsätzlich ungeheuerlich. Aber das offenkundige Missverständnis dafür, worum es dem Film geht, und der weitaus nuancierteren Sichtweise, die der Film bietet, wäre komisch, wenn er nicht so offensichtlich fehlgeleitet wäre. Die rücksichtslose Absage des Films durch TV Ontario, den Provinzsender, der den Film auch finanziert hat, ist ein klares Indiz dafür, dass sich die lautesten Stimmen durchsetzen, ganz gleich, ob ihre Argumente stichhaltig sind.

Selbst „Piece by Piece“, die fabelhafte biografische Doku über Pharrell Williams in Lego-Optik unter der Regie von Oscar-Preisträger Morgan Neville, verlief nicht ohne Störungen. Ein Demonstrant, der die Verwendung von Pelz durch die Modehäuser, mit denen der Sänger/Produzent in Verbindung steht, anprangerte, unterbrach die Frage- und Antwortrunde. Durch seinen geduldigen Umgang mit dem Demonstranten gelang, die wiederholten Slogans abzulenken, indem er zugab, dass bereits tiefgreifende Gespräche über Veränderungen stattfanden.

Zwei weitere Dokus, die auf dem Papier für Kontroversen anfällig waren, erwiesen sich als die unterhaltsamsten und klügsten der Gruppe. In Steve Pinks „The Last Republican“ spricht der Regisseur von „Hot Tub Time Machine“ mit Adam Kinzinger, dem republikanischen Kongressabgeordneten, der seine Ideale über seinen Job stellt und Donald Trumps Handlungen am 6. Januar anprangert, und in „Man at War“, eine faszinierende Neon-Produktion, die wie ein Abenteuerfilm wirkt und die Handlungen eines ehemaligen Green Berets nachzeichnet, der leichtfertig einen gescheiterten Putschversuch unternahm, bei dem das venezolanische Regime gestürzt werden sollte.

Das Gefühl, einen wichtigen Film verpasst zu haben, ist selbst in den wenigen verbleibenden Tagen noch akuter. Die meisten der großen Namen wurden bereits gezeigt und einige Überraschungen könnten noch bevorstehen, also ist es etwas zu früh, um ein Urteil über das Festival zu fällen. Zumindest steht fest, dass das TIFF zumindest während seiner Laufzeit langsam wieder das laut pumpende Herz des Filmuniversums ist, und auch wenn einige der besten Titel bereits anderswo angelaufen sind, finden die Filme hier auf diesem riesigen Publikumsfestival wirklich ihr gewünschtes Publikum, und in dieser zweiten Hälfte liegt der Schwerpunkt noch stärker darauf. 

Aus Toronto berichtet Jason Gorber.