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Neopol Film: Von Hessen zum Nordpol

Anders kann man es nicht sagen: Ein so sympathisches Trio wie Tonio Kellner, Jakob Zapf und Andrea Simml trifft man nicht alle Tage. SPOT stellt hier ihre Neopol Film vor, deren „Paws“, Lukas Rinkers zweiter Spielfilm nach „Ach du Scheiße!“, im Vertrieb von The Playmaker gerade auf dem Marché du Film präsent ist.

Das gesamte Team von Neopol (v.l.): Antonia Best, Jakop Zapf, Caroline Dyrek, Andrea Simml, Tonio Kellner (Credit: ©Astrid Purkert)

Mit Neopol Film sind Tonio Kellner, Jakob Zapf und Andrea Simml seit 2016 offiziell im Markt. Das Handwerkszeug zum Filmemachen und Filmeproduzieren haben sie sich selbst beigebracht. Weder Kellner noch Zapf studierten auf einer Filmhochschule. „Wir würden uns als Quereinsteiger mit langem Atem und Durchhaltevermögen bezeichnen“, so Kellner schmunzelnd. Kennengelernt hatten sich die beiden Nachwuchsproduzenten Kellner und Zapf in einem Drehbuchseminar im Rahmen ihres Studiums zur Film-, Theater- und Medienwissenschaft. „Es war das einzige praktische Angebot. Und natürlich saßen wir beide da drin. Ergebnis war unser Kurzfilm ‚Sein Kampf‘, den ich geschrieben habe, während Jakob für die Inszenierung verantwortlich zeichnete“, so Kellner. 

Förderung erhielten sie damals nicht. „Wir waren Nobodys, die hessische Filmförderung wie auch die Sender winkten ab“, so Kellner. Mit viel Geschick ist es ihnen trotzdem gelungen, 50.000 Euro über Sponsoren zu finanzieren. „Wir haben den Kurzfilm komplett allein produziert“, erinnert sich Andrea Simml, die im Neopol-Trio die Verwaltung, Zahlen und Verträge, sprich die kaufmännische Geschäftsführung, im Blick hat. „Sein Kampf“ nennt sie eine Erfolgsgeschichte, denn: „Immerhin haben wir sogar noch Geld übrig gehabt am Schluss.“ Der Kurzfilm setzte auch den Startschuss für die künftige Zusammenarbeit im Trio, mit der frisch gegründeten Neopol Film GbR: „Das Schöne ist, dass wir uns mit ‚Sein Kampf’ gefunden haben“, so Zapf. 

Gefunden ja, aber nach „Sein Kampf“ war erst mal Pause mit Filmemachen, denn: „Tonio und ich waren mit dem Studium fertig und mussten Geld verdienen. Also haben wir in der Werbung gearbeitet, Tonio als Producer, ich als Producer und Regisseur“, so Zapf weiter. Doch der Gedanke, wieder gemeinsam kreativ Filmprojekte anzuschieben, war immer im Hinterkopf präsent, und alsbald schoben Kellner und Zapf parallel zum Bread-and-Butter-Job die Stoffentwicklung eigener Projekte an. „Die GbR gab es ja weiterhin. Mit dem Development eigener Projekte bearbeiteten wir aber auch gleichzeitig die hessische Politik aus unserer Erfahrung mit dem Kurzfilm heraus, dass es mehr Fördermöglichkeiten geben muss“, so Zapf. 

Eine böse Eisbärin wehrt sich: Bei dem Tier-Horror-Thriller „Paws” arbeitet Neopol nach „Max und die Wilde 7: Die Geister-Oma“ wieder mit Weltkino als deutschem Verleih zusammen (Credit: Neopol)

Es folgte mit Gleichgesinnten die Gründung des Netzwerkes Junge Generation Hessischer Film, das als Sprachrohr genutzt wurde. „Das Netzwerk gibt es immer noch, nur haben wir es in die Hände einer jüngeren Generation übergeben, weil hier wirklich der Nachwuchs sprechen soll. Das sind wir heute nicht mehr“, so Zapf. Über konsequente Lobbyarbeit ist es dem Netzwerk gelungen, neue Fördertools in Hessen zu etablieren wie Talentpaketförderung oder Debütfilmförderung und weitere, dezidiert auf den Nachwuchs gemünzte Angebote. Im Schulterschluss mit der hessischen Branche erreichte man schließlich, dass 2016 aus den bislang drei Förderinstitutionen des Bundeslandes die Hessen Film und Medien hervorging und in einem zweiten Schritt sogar die verzinsten Fördermittel abgeschafft wurden. 

„Der Aufbau unserer Firma hat unheimlich lange gedauert und die Entwicklungsarbeit bezog sich in erster Linie gar nicht auf Filmprojekte, sondern auf den Standort. Wir konnten in Hessen einfach nicht auf eine tolle Struktur wie in Bayern zurückgreifen“, fügt Andrea Simml an. Glücklicherweise hat sich das geändert, und sie, Zapf und Kellner, der noch die einjährige europäische Koproduktionsweiterbildung Atelier Ludwigsburg-Paris absolvierte, konnten sich endlich auf ihren Firmenaufbau konzentrieren und Projekte identifizieren, mit denen sie auf professioneller Eben in die Filmproduktion einsteigen wollten. 

„Ach du Scheiße!“ (Credit: Daniel Dornhoefer)

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Das erste Projekt war 2019 „Love Sarah“, die minoritäre Koproduktion einer britischen Erstlingsfilmproduktion. „Der Film hat sich weltweit sehr gut verkauft, rutschte mit seiner Auswertung aber leider mitten in die Coronapandemie hinein. Von 17 anvisierten Kinostarts gab es nur zwei, nämlich in Neuseeland und Australien. Das war schon bitter“, erinnert sich Zapf. Es folgten zwei weitere Debütfilme, davon auch Zapfs Regie-Debüt „Eine Handvoll Wasser“, eine Doku-Serie und schließlich das Family-Entertainment-Abenteuer „Max und die wilde 7: Die Geister-Oma“, bei dessen erstem Teil Neopol Film als Serviceproduktion für die Rat Pack involviert war, Teil zwei nun federführend abwickelte. Der zweite Film nach Winfried Oelsners und Lisa-Marie Dickreiters Bestsellerreihe wurde von Weltkino in die Kinos gebracht. 

Mit dem Leipziger Verleih arbeitet Neopol Film eng zusammen, aktuell auch bei Lukas Rinkers zweitem Spielfilm „Paws“, einem Tier-Horror-Thriller mit Klimaschutzthemen. Wie Rinkers Erstling, „Ach du Scheiße!“ ist er bei The Playmaker im Weltvertrieb und wird nun auf dem Marché du Film erstmals internationalen Käufern angeboten. „Das ist ein richtig großes Projekt mit englischsprachigem Cast und dem Animatronic-Studio von ‚Jurassic World‘ und ‚Star Wars‘“, so Kellner, eine Vier-Länder-Koproduktion, neben Deutschland mit Österreich, Norwegen und Großbritannien. Simml räumt ein, dass es alles andere als leicht ist, internationale Genrefilme aus Deutschland heraus anzukurbeln. Dennoch sind es genau solche Stoffe, die sie interessieren: „‘Paws‘ ist zwar ein klassischer Horrorfilm mit einer bösen Eisbärinnenmutter am abschmelzenden Nordpol, hat aber dennoch einen gesellschaftspolitischen Anspruch durch die Umweltthematik, die intrinsisch im Stoff liegt.“ 

Der Anspruch von Neopol Film ist es, stärker im internationalen Bereich mitzumischen, sowohl im Kino- als auch TV/Streamingbereich. „Wenn wir nur für den deutschsprachigen Markt zum Beispiel ein lokales Märchen in einer Horrorvariante machen würden, würde das nicht funktionieren“, so Kellner. Neben „Paws“ gibt es deshalb bereits eine weitere internationale Koproduktion, die mehr in Richtung publikumsaffines Arthouse geht und mit Großbritannien entsteht. Sie basiert auf einem britischen Bestseller und hat laut Zapf eine „tolle deutsche Regisseurin“ an Bord. Mehr könne noch nicht verraten werden, weil die Entwicklung erst unlängst gestartet worden sei. Das internationale Arthouse hat das Trio auch ursprünglich in den Film gezogen. „Wir möchten die Welt auf der Leinwand erzählen, möchten, dass sich das Publikum in konkreten, schönen Geschichten hineinträumen kann, sich mitgezogen fühlt, eine gemeinschaftliche Erfahrung macht“, so Zapf. 

„Max und die wilde 7: Die Geister-Oma“ ist aktuell noch in den Kinos (Credit: Astrid Burkert)

Neben dieser deutsch-britischen Koproduktion arbeitet Neopol Film an zwei weiteren Arthouseprojekten fürs Kino. „Night of Blindness“ entsteht mit der Türkei als Koproduktionspartner und kommt von Autor/RegisseurReis Çelik, der darin über die Militärrevolution 1980 in seiner Heimat erzählt. Und „Jumoke“ inspiriert von einer Kurzgeschichte von Alexander Kluge und wird majoritär deutsch produziert. „Oliver Hardt, der damit auch sein Debüt als Spielfilmregisseur gibt, nachdem er sich schon Meriten im Dokumentarfilm und am Theater verdient hat, gewann mit dem Drehbuch bereits den Hessischen Filmpreis. „Das Projekt ist ein sehr feines, sehr besonderes“, so Kellner.

Auf die Frage, ob Projekte dieser Art leicht vom Boden zu bekommen sind, die Finanzierung gut zu stemmen ist, meldet sich Andrea Simml mit einem entschiedenen „Nein. Es ist wirklich schwer, die Finanzierung zu starten, weil wir in Deutschland begrenzt sind auf die sehr regulierten Fördertöpfe, geschrumpfte Senderbeteiligungen, und zurückhaltende Verleiher. Die Filme performen nicht in dem Umfang, dass man auch private Investoren finden würde, auch wenn uns das immer wieder in kleinem Umfang gelingt“, so die Zahlenexpertin. Es sei immer eine Herausforderung, weil nie die Fördersumme bewilligt wird, die man beantragt hat. „Dann stellt sich die Frage: Was macht man mit den Lücken die durch die Kürzungen entstehen? Einsparungen sind die Folge, Entscheidungen müssen getroffen werden, die sich auch auf die Kreativität auswirken. In Deutschland sind eigentlich alle Filme unterfinanziert“, so Simml. 

Jakob Zapf wird noch deutlicher: „Filmproduktion ist an vielen Stellen eine Mangelverwaltung. Das große Problem ist die gesamte aktuelle Situation der Förderpolitik mit dieser unendlichen Hängepartie hinsichtlich der Reformierung des Filmfördergesetzes. Von dem Drei-Säulen-Modell stehen zwei in Frage. Was will man aber mit einer einzelnen Säule, bei der nur Kinoabgabegelder neu verteilt werden? Was ist denn mit den Steuermitteln aus dem DFFF? Worauf kann man sich verlassen? Kommt ein Steueranreizmodell oder nicht? Man kann zurzeit überhaupt keine Finanzierungspläne stricken, was auch so schon schwer genug war – nur jetzt auch noch komplett unsicher. In Deutschland muss unbedingt sehr schnell nachgebessert werden. Wir wollen international arbeiten, müssen uns auch an ein internationales Publikum richten. Auch in Deutschland ist die Gesellschaft viel diverser geworden, will auf verschiedene Weise angesprochen werden. Wir müssen das liefern. Die Welt ist globalisiert, die Welt spricht eine Sprache. Es verändert sich die ganze Welt und wir reden darüber, ob man Bagatellgrenzen bei der Prüfung einführt. Was wir im Großen sehen, auf dem allgemeinem Politparkett, sehen wir im Filmbereich: es gibt ein völliges Verharren in alten verkrusteten Strukturen, alles muss zehn Mal durch die Steuerberatung. Das ist Wahnsinn. Das blockiert Kräfte bis zum geht nicht mehr.“

Barbara Schuster