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Die neue Netflix-Strategie

Erst am 1. April hat Dan Lin den Posten als neuer Filmchef bei Netflix nach dem Abschied von Scott Stuber übernommen. Gleich in den ersten Tagen soll er einen deutlichen Strategiewechsel in Angriff genommen haben, der weitreichende Auswirkungen haben dürfte.

Dan Lin macht Nägel mit Köpfen (Credit: Imago / ZumaWire)

Mit Spannung blickt die Branche auf Netflix, was bei dem führenden Streamer weltweit mit mehr als 260 Millionen Abonnenten passieren wird, mit Dan Lin als neuem Produktionschef. Dass er mit einer klaren Strategie antreten würde, war klar. Warum sonst hätte er den Posten von Scott Stuber übernehmen können, nachdem der nach sechsjähriger Ägide ausgeschieden war, in der er Netflix zu einem der führenden und sicherlich produktivsten Häuser Hollywoods machte? Dass er aber so schnell sein würde, dass bereits nach zwei Wochen ein kompletter Kurswechsel zu erkennen ist, kommt dann doch überraschend. Zumindest will die New York Times wissen, dass Lin, der ehemalige Produktionschef von Warner Bros., der als Produzent für Hits sorgte wie „ES“ oder Disneys „Aladdin“, keine Zeit verloren hat, der Plattform seinen Stempel aufzudrücken.

Neue Besen kehren gut, heißt es. Manchmal sind sie auch eisern. Zu den ersten Amtshandlungen Lins gehörte es, die Managementstruktur zu streamlinen. Rund 15 Executives aus der Kreativabteilung mussten schon in Woche eins den Hut nehmen, alles Teil einer allgemeinen Restrukturierung des Departments, das künftig nicht mehr nach Budgetgrößen sondern nach Genres geordnet sein soll, wie die New York Times wissen will. Vor allem strebt Lin eine Abkehr von schierer Masse hin zu mehr Qualität und größerer Vielfalt an. In der Hochphase von Stubers Ägide, im Jahr 2021, hatte die amerikanische Produktionseinheit Filme im Wochentakt auf Sendung geschickt. Einerseits waren sündhaft teure Actionfilme mit großem Staraufgebot entstanden („The Gray Man“, „Red Notice“, „Heart of Stone“), andererseits hatte sich Netflix große Autorenfilmer geholt und ihnen bei der Umsetzung ihrer Vanity-Projekte nahezu freie Hand gelassen, um Netflix in der Öffentlichkeit als Heimat der Kreativen zu etablieren. 

Das war bis zu einem gewissen Punkt auch gelungen. Was sich indes großer Bemühungen nie einstellte, war der entscheidende Oscartriumph der aufwändigen Vorzeigeprojekte, von „The Irishman“ bis „Maestro“. Immerhin gewann Netflix zweimal den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film, „Roma“ im Jahr 2019, „Im Westen nichts Neues“ im Jahr 2023. Aber das machte die Schmach, in der Königskategorie keinen Stich machen zu können, eher noch größer, ganz abgesehen davon, dass es schließlich Apple war, die als erster Streamer den Oscar als bester Film gewinnen konnten. Und dann war „CODA“ auch noch ein für bescheidenes Geld entstandener und eingekaufter Titel vom Sundance Film Festival. 

Dan Lin will es jetzt anders machen. Nicht nur soll die Qualität erhöht werden, was mehr Sorgfalt bei der Auswahl bedeutet und dem Streamer natürlich auch dahingehend entgegenkommt, das Geld fortan nicht mehr mit beiden Händen auszugeben. Was auch Hintergrund für Lins Bestrebung sein dürfte, die Vergütungen für Filmemacher und Stars auf neue Beine zu stellen. Die Zeit der kostspieligen Upfront-Deals soll vorbei sein. Lin will dagegen auf seine guten Kontakte in der kreativen Community setzen und auf diese Weise weiterhin große Namen zu Netflix bringen. Zudem soll die Entwicklung in eigenen Reihen forciert werden. Aus der alten Zeit sind zumindest weiterhin Noah Baumbach, Guillermo Del Toro und David Fincher an Bord, die allesamt aktuell an neuen Projekten arbeiten. Andere in Entwicklung befindliche Stoffe wurden dagegen bereits eingestellt, darunter Kathryn Bigelows „Aurora“. Die New York Times berichtet, dass Edward Berger sich bereits wenig erfreut gezeigt haben soll, dass das Budget für sein kommendes Projekt mit Colin Farrell eingedampft werden soll. Auch sonst wird Nägel mit Köpfen gemacht: Angestellten soll klar gesagt worden sein, dass sie die Wahl haben, den neuen Weg zu stützen oder sich einen neuen Arbeitgeber zu suchen. 

Harte Zeiten also. Vielleicht aber auch beeinflusst von einem Blick auf die Arbeitsweise der Netflix-Kollegen in anderen Territorien. In Deutschland hat man beispielsweise längst verinnerlicht und unter Führung von Sasha Bühler perfektioniert, dass jede Produktion ein Event sein und ein Alleinstellungsmerkmal haben muss. Der Erfolg der letzten 18 Monate gibt dieser Strategie jedenfalls allemal Recht. Jetzt muss sich zeigen, wie Dan Lin sie in den USA umsetzt. Und was dabei herauskommt.

Thomas Schultze