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Joe Berlinger zu „Crime Scene Berlin“: „Docutainment ist kein Schimpfwort“

Als Dokumentarfilmemacher kann kaum jemand dem oscarnominierten Joe Berlinger das Wasser reichen. Mit „Crime Scene“ hat er für Netflix ein knalliges Docutainment-Format geschaffen, das nun mit Hilfe der Beetz Brothers auch in Deutschland ermittelt, mit „Crime Scene Berlin: Nightlife Killer“.

Joe Berlinger zählt zu den Stars des modernen Dokumentarfilms (Credit: Henny Garfunkel)

Was ist der Kick an „Crime Scene“?

Joe Berlinger: „Crime Scene“ ist in den USA eine etablierte Marke. Wir haben drei Staffeln umgesetzt, amerikanische Fälle für ein internationales Publikum, und der Erfolg hat uns einfach überrollt. Die Idee der Show ist es, nicht einfach nur die Geschichte eines Verbrechens aufzurollen, sondern immer auch die Geschichte des Ortes zu erzählen, an dem es verübt wurde, Querverbindungen herstellen. Das Cena Hotel in Los Angeles, der Times Square Killer, die Texas Killing Fields. Verbrechen und Ort, wie hängen sie zusammen? Ich befürchte, in der deutschen Übersetzung geht das kleine Wortspiel verloren, das in „Crime Scene“ steckt. Auf Deutsch heißt das einfach nur „Tatort“, aber im Original spielt auch das Wort „scene“ hinein, die Szene, die gesellschaftliche und kulturelle Umgebung. 

Den Tatort – haha – im nächsten Schritt auf Deutschland auszuweiten, ist aber nicht gerade naheliegend…

Joe Berlinger: Naja, die Show kommt wohl sehr gut an in Deutschland, weshalb Netflix Germany an uns herantrat mit der Frage, ob wir uns nicht vorstellen könnte, eine Staffel von „Crime Scene“ in Deutschland spielen zu lassen. Bei mir rannte man damit offene Türen ein. Zum einen fühlt man sich ganz schön gebauchpinselt, wenn man ein solches Angebot erhält. Es aber vor allem aus Deutschland zu bekommen, war für mich großartig, weil ich sehr enge Verbindungen zu Ihrem Land habe und mehr oder weniger fließend deutsch spreche. 

Wie das?

Joe Berlinger: Als junger Mann hat mich der Holocaust nachhaltig beschäftigt. Ich hatte die Aufnahmen von der Befreiung der KZ gesehen und bekam diese Bilder nicht mehr aus meinem Kopf. Es hat mich nicht mehr losgelassen. Wie konnte dieses pure Böse nur möglich sein? Ich wollte es verstehen und belegte im College kurzerhand Kurse, die sich mit deutscher Kultur und der Sprache befassten. Weil mein Deutsch ziemlich schnell ziemlich gut wurde und mir die Sprache gefielt, hielt ich Ausschau danach, irgendwie in Deutschland Fuß zu fassen. Das Metier war mir egal, ich suchte einfach nur nach jemandem, der mir einen Job gab und mir Geld bezahlte, damit ich in Deutschland leben konnte. 

Und jetzt der Sprung zum Filmemachen…

Joe Berlinger: Es gelang mir, mich in das Frankfurter Büro einer New Yorker Werbeagentur zu schummeln, Ogilvy & Mather, eine richtig große Nummer. Dort drehte man auch Werbespots, und ich war als Junior-Angestellter mit dabei – meine erste Berührung mit der Welt des Films. Da ging mir ein Licht auf. Vergiss Deutschland – pfft! Ich will Filmemacher werden! Das ist das Ziel, darauf habe ich die ganze Zeit gewartet. 

Und jetzt bringt Sie das Filmemachen zurück nach Deutschland.

Joe Berlinger: Verrückt, oder? Wie gesagt, ich war sofort an Bord, als Netflix Germany anklopfte. Berlin als Schauplatz für „Crime Scene“? Das sprach mich sofort an. Es ist eine meiner Lieblingsstädte – ich habe mich in die Stadt verliebt, da stand die Mauer noch und man befand sich in West-Berlin auf einer kleinen Insel, die völlig verrückt war, Kapitalismus umgeben von Ostdeutschland. Heute laufen die Menschen über den Potsdamer Platz mit seinen Hochhausschluchten und Einkaufszentren und sind sich nicht bewusst, dass das einmal Niemandsland war. Berlin ist also ein faszinierender Ort für mich. 

„Crime Scene Berlin“ greift den Fall des Nightlife Killers auf (Credit: Netflix © 2024)

Trotzdem ist das noch ein kleiner Sprung, um bei einer Crime-Doku zu landen…

Joe Berlinger: Nicht unbedingt. Meine Faszination für die Stadt spiegelt sich wider in „Crime Scene Berlin“, Berlins Ruf als ultimative Partystadt in Europa mit seiner freien Sexualität, was ja wiede4rum direkt auf die Geschichte der Stadt zurückzuführen ist. Und dann ein Mörder, der sich das zu Eigen macht. Das schreit doch förmlich nach einer filmischen Umsetzung durch uns. Mein Herz begann jedenfalls gleich zu schlagen, als die Beetz-Brüder mir diesen Fall vorschlugen. Ich war an Bord.

Wie kam der Kontakt zustande?

Joe Berlinger: Der wurde ebenfalls über Netflix Germany hergestellt. Sie hatten ausgezeichnete Erfahrungen mit Beetz Brothers gemacht, mochten die Zusammenarbeit mit ihnen, schätzen ihr Arbeitsethos. Mich musste man nicht lange überzeugen. Ich wusste, dass sie einen ausgezeichneten Ruf genießen, und war gespannt, was ihre Ideen für die Show sein würden. Wir lagen gleich auf einer Wellenlänge. Sie schlugen eine Reihe von Mordfällen vor, der Nightlife Killer war sofort mein Ding. 

Wie sehr waren Sie dann in die Umsetzung involviert?

Joe Berlinger: Ich bin der executive producer der Show. Oder um auf Ihre Frage zu antworten: nicht sehr! Dafür hatte ich Beetz Brothers, sie haben die Umsetzung in die Hand genommen. Ich habe von außen zugesehen und stand zur Verfügung, wenn es Fragen gab. Ich war Grandpa Joe, der immer einen guten Ratschlag parat hat. 

Aber wie sehen Sie Deutschland im Vergleich zu den Staaten, was den Blick auf True Crime anbetrifft?

Joe Berlinger: Die Attitüden sind schon unterschiedlich, was seine Gründe in der Gesellschaft und der Kultur hat. Ich muss sagen, dass ich „Crime Scene Berlin“ für sehr gelungen halte. Es ist den Beetz-Brüdern und ihrem Mitstreiter Georg Tschurtschenthaler sehr gut gelungen, unseren sehr besonderen Stil zu übernehmen und für deutsche Bedürfnisse zu adaptieren. Es ist immer „Crime Scene“. Aber es ist immer eben auch „Crime Scene Berlin“. 

Was antworten Sie Puristen, die „Crime Scene“ nicht als journalistisch genug, zu reißerisch betrachten?

Joe Berlinger: Wir halten uns immer an die Tatsachen, setzen die Geschichten aber nicht um, als würden wir eine Reportage für die Nachrichten drehen. Ich will Unterhaltung, ich will das Publikum abholen. Docutainment ist kein Schimpfwort für mich. Das ist das Ethos unserer Show, ihre Essenz. Sie wissen, dass ich ganz klassische Dokumentarfilme gemacht habe. Aber man würde doch Augenwischerei betreiben, wenn man behauptete, selbst die größten Dokumentarfilme der Geschichte seien objektiv. Sind sie ja gerade nicht, das macht sie so toll, sie haben eine Haltung. Wir wollen einen Cocktail mixen, der aufregend ist, aber trotzdem authentische Einblicke gibt, bei den Tatsachen bleibt. Das ist das Erfolgsrezept. 

Das Gespräch führte Thomas Schultze.