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REVIEW STREAMING: „The Beautiful Game“

Gelungenes Emotionskino über ein Fußballteam, das England in Rom an der WM der Obdachlosen teilnimmt.

CREDITS: 
O-Titel: The Beautiful Game; Land/Jahr: Großbritannien 2024; Laufzeit: 125 Minuten; Regie: Thea Sharrock; Drehbuch: Frank Cottrell Boyce; Besetzung: Bill Nighy, Micheal Ward, Callum Scott Howells, Sheyi Cole, Valeria Golino; Plattform: Netflix; Start: 29. März 2024

REVIEW:
Oft wird es ein Regisseur nicht erleben, dass im Anstand von einem Tag zwei neue Filme von ihm an den Start gehen. Thea Sharrock ist genau das gelungen: Am 28. März startete ihre verschmitzte Schimpfwörterkomödie „Schmutzige kleine Lügen“ in den deutschen Kinos (lesen Sie die SPOT-Besprechung hier), am Tag darauf folgt ihr ungewöhnlicher Fußball-Feelgood-Film „The Beautiful Game“ bei Netflix. Man kann nur hoffen, dass sich die beiden Titel gegenseitig bei der Publikumsresonanz befruchten. Natürlich sind sie nicht zeitgleich entstanden: „The Beautiful Game“ hat die renommierte Theaterregisseurin Thea Sharrock, die 2016 mit ihrem Filmdebüt „Ein ganzes halbes Jahr“ in Deutschland einen tollen Sommerhit mit mehr als zwei Mio. Ticketverkäufen landete, unmittelbar nach ihrem zweiten, deutlich weniger erfolgreichen Film, „Der einzig wahre Ivan“ mit Sam Rockwell in der Hauptrolle, gedreht, bereits im Frühjahr 2021. Ursprünglich sollte die Auswertung bereits 2022 erfolgen. 

Bill Nighy führt sein Team zu Fußballweltmeisterschaft der Obdachlosen nach Rom (Credit: Netflix)

Warum es dann noch weitere zwei Jahre dauerte, bis der Film tatsächlich das Licht der öffentlichen Welt erblicken konnte, ist nicht kolportiert. Einer der Gründe mag sein, dass er trotz einer sensationellen Besetzung mit Bill Nighy und Micheal Ward in den namhaften Hauptrollen und einem Drehbuch von Vollprofi Frank Cottrell-Boyce, der von 1995 bis 2006 als verlässlicher Mitstreiter an sieben Filmen von Michael Winterbottom beteiligt war, darunter die Meisterwerke „Willkommen in Sarajevo“ und „24 Hour Party People“, und einer eigentlich unwiderstehlichen Prämisse kein rasend guter Film geworden ist. Wenngleich ein Film, vor dem man sich als Zuschauer nicht sperren kann: Jedes denkbare Klischee gängiger Sportfilme und britischer Underdog-Komödien wird hier ausgereizt, gnadenlos und so schonungslos berechnen, dass man die Waffen strecken muss: Wie kann man emotional nicht berührt sein, von diesem Füllhorn bewegender menschlicher Schicksale, basierend auf realen Ereignissen, das Sharrock und Cottrell-Boyce gesammelt und in ihre Geschichte gegossen haben, in dem ein bunt zusammengewürfelter Haufen liebenswerter Typen von London nach Rom aufbricht, um England als Fußballmannschaft bei Weltmeisterschaft der Obdachlosen zu vertreten. 

Keine Angst, ich musste das auch googeln. Aber es handelt sich tatsächlich ein „ein von der UNO und UEFA unterstütztes und vom International Network of Street Papers (INSP) ausgerichtetes internationales Straßenfußball-Turnier, das seit 2003 jährlich ausgetragen wird und Obdachlose bei der Reintegration in die Gesellschaft unterstützen soll“. Ebenso tatsächlich ist „The Beautiful Game“ nach zwei Dokumentationen und der letztjährigen koreanischen Produktion „Dreams“ bereits der vierte filmische Anlauf, der im Schulterschluss mit der Organisation für diese gute Sache wirbt. Sommerliche, sonnengetränkte Bilder finden Thea Sharrock und ihr Kameramann Eley für ihre Geschichte eines von Micheal Ward aus „Lovers Rock“ und „Empire of Light“ gespielten jungen Mannes, der eigentlich zu sehr von sich eingenommen und viel zu unverlässig ist, um in einer Mannschaft zu funktionieren, aber wegen seines außergewöhnlichen Talents trotzdem von Trainer Bill Nighy mit zum Turnier genommen wird, wo er letztlich so manche Lektion fürs Leben lernt, nicht nur im Verbund mit seinem Team, sondern auch den vielen anderen Spielern aus Ländern wie Japan, den USA und Südafrika, die anreisen, um Selbstvertrauen zu tanken und vielleicht zu gewinnen. 

„The Beautiful Game“ hat viel zu viele Subplots, um jeden einzelnen von ihnen einen zufriedenstellenden Bogen zu geben, und öffnet von #metoo über Flüchtlingsproblematik und Drogensucht hin zu generellen Topoi wie Solidarität und Völkerverständigung deutlich zu viele thematische Dosen. Und doch steckt da auch etwas Genuines in der deutlich an „Cool Runnings“ oder „Eddie the Eagle“ angelehnten Erzählung, die auf interessante Weise dafür wirbt, dass auch in Niederlagen Gnade und Würde stecken können: Gewinner ist man, wenn man dabei ist. Das ist Kino, das den kleinsten gemeinsamen Nenner bedient, sich dessen aber auch immer bewusst ist. Wie sonst würde man es sich selbst durchgehen lassen, den emotionalen Höhepunkt auch noch mit Aretha Franklins Version von „Bridge over Troubled Water“ zu begleiten?

Thomas Schultze