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Caroline Vignal: „Vielleicht sind wir Franzosen weniger heuchlerisch“

Mit „It’s Raining Men“, den X Verleih am 9. Mai in die Kinos bringt, hat die französische Filmemacherin Caroline Vignal ein sympathisches feministisches Sittengemälde inszeniert. Wir sprachen mit ihr über diese Arbeit und ihr Verhältnis zum Kino.

Caroline Vignal (Credit: X Verleih)

Sie haben Ihre Karriere Ende der 90er Jahre begonnen, aber dann 20 Jahre lang keinen Film mehr gemacht. Stattdessen haben Sie sich dem Theater und dann dem Fernsehen zugewandt. Warum wollten Sie zum Kino zurückkehren?

Caroline Vignal: Ehrlich gesagt, wollte ich eigentlich nie aufhören, Kinofilme zu machen. Aber manchmal ist das Leben eben kompliziert. Bei meinem ersten Film, „Les autres filles“, war ich sehr jung, 29 Jahre. Er erzählt über ein Mädchen, das seine Jungfräulichkeit verlieren will. Und das ist ja nie so leicht. Ähnlich fühlte ich mich mit meinem Film, er war mein Debüt und lief 2020 auf der Semaine de la Critique in Cannes. Auf den ganzen Trubel mit Premiere und Presse war ich nicht vorbereitet. Nach diesem Film fühlte ich mich einfach komplett leer. Ich hatte auch überhaupt keine Zeit, mir Gedanken über ein Folgeprojekt zu machen. Ich war jung und nicht so zielstrebig und mir fiel es damals schwer, eine neue Idee zu finden. Dann wurde ich Mutter und ich wollte mich um mein Kind kümmern. Beim Filmemachen steckt man schon immer wie in einem Tunnel. Das wollte ich meinem Kind nicht antun, ich hätte mich unwohl dabei gefühlt. Also habe ich mir Zeit gelassen, schrieb nur Drehbücher, was auch nicht einfach war. Bis das Kino wieder an meine Tür klopfte. Nach zehn Jahren ohne neuen Kinofilm war ich auch etwas frustriert und habe immer öfter dran gedacht, bis ich an den Punkt kam: Jetzt oder nie. Ich war etwa 45 Jahre alt, als es mich wieder packte und mir die Idee zu „Mein Liebhaber, der Esel & ich“ in den Sinn kam, ein Film, der nicht sehr teuer sein würde. Also setzte ich mich hin und schrieb.

Und es blieb ja nicht bei „Mein Liebhaber, der Esel & ich“. Sehr rasch legten Sie mit „It’s Raining Men“ nach. Wie persönlich sind diese beiden Filme?

Caroline Vignal: Oh, die sind sehr persönlich. Ich hätte gar nicht die Fantasie, mir das alles auszudenken. Wobei die Geschichte und die Figuren natürlich nicht eins zu eins meiner Realität entnommen sind. Es ist immer noch Fiktion. Trotzdem sind sie sehr persönlich, beide. Sie kamen aus mir heraus. Bei „Mein Liebhaber, der Esel & ich“ geht es um emotionale Abhängigkeit und wie man sich davon befreit. Die Hauptfigur Antoinette lernt das durch die neue Beziehung zu einem Esel, der sie aus ihrem Suchtverhalten befreit. Das mag sich komisch anhören, das Thema hat mich aber sehr beschäftigt.

Und „It’s Raining Men“?

Caroline Vignal: Dieser Film ist vermutlich noch persönlicher. Es geht darum, wie man in einer langjährigen Ehe miteinander umgeht, ein Blick auf das Begehrt-werden oder nicht Begehrt-werden bzw. wie man mit seinen eigenen Wünschen nach Begehrt-werden umgeht. 

(Credit: Julien Panie/Chapka Films/La Filmerie/France 3 Cinema/X Verleih)

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Beides sind Filme über Frauen in einem bestimmten Alter, die vor wichtigen Entscheidungen stehen, wie sie ihr Leben weiterführen sollen. Mir hat sehr gefallen, wie Sie bei „It’s Raining Men“ die Lust auf Sex bei Ihrer Hauptdarstellerin ohne Tabu oder Vulgarität erzählen.

Caroline Vignal: Und das ist ja immer noch ein Tabuthema, obwohl es nach außen den Anschein hat, es nicht zu sein. Aber in Wahrheit sprechen gerade verheiratete Paare oder generell Paare sehr selten über ihr Sexualleben, weil es einfach schwierig ist. Man ist ja nicht allein, da ist immer noch der Partner oder die Partnerin involviert. Deshalb fällt es nicht leicht, darüber zu sprechen, sondern man hüllt sich in den Mantel des Schweigens.

In Frankreich hatte „It’s Raining Men“ bereits Anfang des Jahres seinen Kinostart. Wie fiel die Reaktion des Publikums aus, welches Feedback haben Sie erhalten? Und kam das nur von Frauen oder auch von Männern?

Caroline Vignal: Mich hat durchaus auch Feedback von Männern erreicht. Allgemein waren die Reaktionen sehr positiv. Überrascht hat mich, dass mein Film auch Menschen anspricht, die wesentlich jünger sind als meine Hauptfigur Iris. Klar, Frauen mochten ihn besonders, weil sich viele in Iris wiedererkannten. Es gab auch einige, die etwas verstört waren, weil Iris eine Frau ist, die selbstbestimmt handelt und sich nimmt, was sie in diesem speziellen Moment ihres Lebens braucht – ohne schlimme Konsequenzen zu erleiden. Das war mir sehr wichtig. Alles, was sie macht, ist ok. Damit sind einige Zuschauer nicht klargekommen, weil uns eigentlich immer gezeigt wird, dass Frauen, die wie Iris handeln, leiden müssen und die Sache ein schlimmes Ende nehmen muss. Normalerweise würden ihre Aktionen in einem Film nicht auf ein Happy End hinauslaufen. Ich finde, das Kino ist da etwas hintendran. Unsere Gesellschaft ist viel freier, Menschen tun viel mehr Dinge, als was wir im Kino – vor allem im großen Mainstreamkino – vorgesetzt bekommen. Natürlich nicht im Autorenkino – da sind die Thematiken sehr divers und man kann alles erzählen. Ich habe aber den Anspruch, Kino für ein großes Publikum zu machen und Menschen mit Themen zu konfrontieren, bei denen sie vielleicht am Anfang nicht auf meiner Seite stehen.

„Als ich jung war, war Kino alles für mich.“

Caroline Vignal

Laure Calamy ist die Hauptfigur in Ihren beiden jüngsten Filmen. Was macht sie zur perfekten Heldin für Ihre Geschichten? 

Caroline Vignal: Laure bringt als Schauspielerin einfach alle Qualitäten mit, die ich mag. Sie ist sehr lustig und unglaublich talentiert, die richtigen Emotionen auf die Leinwand zu bringen. Außerdem hat sie einen richtigen Körper. Das war mir wichtig. Sie hat einen sehr sinnlichen Körper und ist eine brillante Komödiantin mit der notwendigen Tiefe. Mit Blick auf „It’s Raining Men“ habe ich die Figur von Iris mit der Absicht geschrieben, dass das Publikum sie liebt, sich mit ihr identifiziert. Das ist mir auch dank Laure gelungen. Man liebt Laure einfach in dieser Rolle, sie ist so charmant und voller Freude, obwohl das, was sie tut, eigentlich nicht dem Moralkodex entspricht.

Als Außenstehender ist man überrascht von der Offenheit und Ehrlichkeit, mit der Sie und Ihre Figuren an die Sexualität herangehen. Haben Sie das Gefühl, dass dies eine sehr französische Einstellung ist?

Caroline Vignal: Schwer für mich zu sagen, weil ich Französin bin. Aber klar, Frankreich ist ein Land, das sich in Literatur, Film oder Theater schon immer offen über Intimität, Sex und Liebe ausgedrückt hat. Vielleicht sind wir weniger heuchlerisch als andernorts. 

Was ist für Sie beim Filmemachen wichtig? Hat das Kino immer noch den gleichen Stellenwert als damals zu Ihrer Anfangszeit?

Caroline Vignal: Schwierige Frage. Als ich jung war, war Kino wirklich alles für mich. Es war damals eine andere Zeit. Das Kino heute ist nicht mehr so wie in den 1990er Jahren, wo jede Woche mehrere tolle Filme auf die Leinwand kamen. Viele Kollegen wollen nun für die Streamer arbeiten. Natürlich gibt es noch gute Kinofilme, aber nicht mehr so viele wie früher. Heute gehe ich weniger leidenschaftlich ins Kino. Ich merke, dass ich mich als Konsumentin wieder eher zu anderen kulturellen Angeboten hingezogen fühle, zum Theater, der Musik und der Malerei. Andererseits liebe ich es, weiterhin Filme zu machen und werde auch dabeibleiben.

Ist es einfach, Ihre Filmprojekte vom Boden zu bekommen? Da ich selbst fast 50 bin, habe ich mich gefragt, wie Produzenten oder Finanziers reagieren, wenn sie gebeten werden, Filme über Frauen zu machen, die nicht am Anfang ihres Erwachsenenlebens stehen?

Caroline Vignal: Ich hatte das Glück, dass „Mein Liebhaber, der Esel & ich“ sehr erfolgreich war, sowohl in Frankreich als auch in vielen anderen Märkten. Das ebnete die Finanzierung von „It’s Raining Men“. Wäre er mein erster Film seit 20 Jahren gewesen, wäre das sicher nicht so einfach gelaufen. Das Alter meiner Hauptfigur war auch kein Thema, weil wir in Frankreich immer wieder Komödien haben, in denen die Protagonistinnen älter sind. Vielmehr ging es um die weit verbreitete Meinung, dass eine weibliche Hauptfigur nicht so viele Besucher in die Kinos lockt wie eine männliche, und um das sehr feminine Thema.

Ist es für Frauen in der Filmbranche im Allgemeinen leichter geworden? Was sind Ihre eigenen Erfahrungen in einem traditionell eher männlichen Umfeld?

Caroline Vignal: Ich habe bei diesem Projekt mit einer Produktionsfirma gearbeitet, in der es nur Männer gibt. Und auch, wenn sie sich sehr gut benehmen und so weiter, war es schwieriger für mich, in diesem Stadium der Arbeit, männliche Gesprächspartner zu haben. Überhaupt waren alle Entscheidungsträger, seien es die Vertriebe, die internationalen Verkäufer, Männer. Manchmal hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass sie sich intellektuell anstrengen müssen, um den Film zu verstehen, um den Film zu fühlen. Sie fühlen nicht wirklich. Ich habe das Gefühl, dass er ihnen nicht wirklich gefällt, aber sie sagen sich: Ja, das muss gut sein. Es gibt also Momente, in denen ich versuche, nicht zu viel darüber nachzudenken, aber wir befinden uns immer noch in einem ziemlich männlichen und letztlich machistischen Milieu, vor allem wenn es sich um hohe Positionen handelt, die Entscheidungsträger, außer zum Beispiel der Fernsehsender. Der Fernsehsender France Télévision, der Geld in den Film gesteckt hat, wird zufällig von einer Frau geführt, Canal Plus wiederum von einem Mann. Es gibt überall viele Männer und manchmal geht es um Themen, die ihnen völlig fremd sind, und das ist es, was ich verrückt finde, denn wir leben seit unserer frühesten Kindheit mit männlichen Helden und Themen, von denen wir denken könnten, dass sie uns nicht betreffen, aber in Wirklichkeit können wir die Dinge seit jeher empfinden. Als ich als Kind „Tim und Struppi“ gelesen habe, konnte ich das verstehen, ich habe mich mit Tim identifiziert. Ich habe nicht gedacht, das ist ein Junge. Wir sind noch weit entfernt von einer Ausgeglichenheit.

Barbara Schuster

Caroline Vignal

Hier geht’s zu unserer Besprechung von „It’s Raining Men“.