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REVIEW KINO: „Back to Black“

Emotional aufwühlendes Biopic über das viel zu kurze Leben der unvergessenen Amy Winehouse.

CREDITS:
O-Titel: Back to Black; Land/Jahr: Großbritannien 2024; Laufzeit: 122 Minuten; Regie: Sam Taylor-Johnson; Drehbuch: Matt Greenhalgh; Besetzung: Marisa Abela, Jack O’Connor, Eddie Marsan, Leslie Manville, Juliet Cowan; Verleih: Studiocanal; Start: 11. April 2024

REVIEW:
Wer Amy Winehouse einmal gesehen hat, der konnte sie nicht mehr vergessen. Unverkennbar war ihr Look, eine kleine, spindeldürre Frau mit einer verwegen aufgetürmten Beehive-Frisur, die größer schien als die ganze Person, expressiv dick aufgetragenem Lidstrich und markanten Tätowierungen, die unter ihren lässigen Sixties-Klamotten zu sehen waren. Ebenso gilt aber auch: Wer Amy Winehouse einmal gehört hat, der konnte sie nicht mehr vergessen. Ihre rauchige, eindringliche Stimme, die man einem so kleinen Persönchen niemals zugetraut hätte, ragt heraus aus dem Meer austauschbarer Popsternchen, transportiert die Essenz ihrer Vorbilder, der Jazzikonen Billie Holliday oder Dinah Washington. Und doch sind es Exzess und Absturz, Drogen und Alkohol, ihr viel zu froher Tod mit Ankündigung im Alter von 27 Jahren, am 11. Juli 2011 in London, an die man denkt, wenn man ihren Namen hört: ein rasend schnelles Leben, geführt im fortwährenden Blitzlichtgewitter der Paparazzi.

Amy Winehouse, gespielt von Marisa Abela (Foto: Studiocanal)

Schon Asif Kapadias mit dem Oscar ausgezeichneter Dokumentarfilm „Amy“ hatte versucht, das Bild zurechtzurücken, eine andere Amy Winehouse zu entdecken, die nicht im Rampenlicht von einem Skandal zum nächsten torkelte, eine Amy Winehouse, die ihr Leben für die Musik führte, die witzig war und schlagfertig, aber eben auch sensibel und schüchtern, nicht gemacht für eine Weltkarriere im Licht der Öffentlichkeit, verschlungen von der Krake Popmusik. Hier setzt auch die Filmbiographie von Sam Taylor-Johnson an, die mit Drehbuchautor Matt Greenhalgh, der schon dem ebenfalls früh verstorbenen Joy-Division-Sänger Ian Curtis mit „Control“ ein anhaltendes filmisches Denkmal gesetzt hatte, zuvor bereits „Nowhere Boy“ über den jungen John Lennon realisiert hatte (beim Dreh hatte die Filmemacherin ihren heutigen Ehemann Aaron Taylor-Johnson kennengelernt). Sie ist nicht an der Katastrophe auf zwei Beinen interessiert, der Skandalnudel, der Schnapsdrossel, dem weiblichen Pete Doherty, mit dem sich Amy Winehouse zumindest in den Augen der Yellow Press ein Wettrennen um den früheren Tod geliefert hatte. Sie will den Menschen entdecken, die Frau, die Sängerin. Und hat einen Film gemacht, der Amy Winehouse nicht nur in den Arm nimmt, sondern auch behutsam beschützt, ohne sie jemals heiligsprechen oder eine Hagiographie sein lassen zu wollen.

Entsprechend eröffnet der Film mit Bildern, die man nicht kennt aus den Magazinen oder Fernsehauftritten: Die junge Amy Winehouse lässt sich von ihrer Großmutter frisieren und von ihr Geschichten erzählen, der wichtigste Mensch in ihrem Leben, eine Leitfigur, deren Tod nach einer Krebserkrankung der Sängerin jeden Halt raubte und den Absturz beschleunigte. „Back to Black“ hat natürlich alle Hits, alle wichtigen Songs und nutzt ihre kluge Montage, um das Narrativ voranzutreiben oder zu kommentieren, weil Amy Winehouse eben immer auch ihre Musik war, in ihren Texten ungeschminkt und direkt über ihr aufgewühltes Innenleben erzählt, ihre Enttäuschungen und Wünsche. Gleichzeitig nutzt er ihre vielen Tätowierungen als eine Unterteilung der Erzählung, als begänne mit jedem neuen Tattoo auch ein neues Kapitel. So entsteht ein Film über Familie – gerade ihr beispielsweise in „Amy“ sehr kritisch betrachteter Vater kommt hier gut weg, allein schon, weil er von einem Sympathieträger wie Eddie Marsan gespielt wird. 

Und dann ist es auch ein Film über die Liebe, über die tragische Beziehung mit Blake Fielder-Civil, ein Hallodri und Adabei, der unverkennbar nicht gut war für Amy Winehouse. Aber wie sich die beiden kennenlernen in einem Londoner Pub, er, gespielt von Jack O’Connell, ihr mit einer Playbackdarbietung von „The Leader of the Pack“ von den Shangri-Las den Hof macht, das ist eine Wucht, eine Szene wie aus einem Film von Kenneth Anger. Aber vor allem ist es – das Beste kommt zum Schluss – der Film von Marisa Abela, eine Neuentdeckung der überirdischen Art, die förmlich verschmilzt mit ihrer Rolle: So und nur so, denkt man sich nach dem Film, kann Amy Winehouse gewesen sein. „We only said goodbye with words / I died a hundred times”, singt Amy Winehouse in „Back to Black“. Der Film transportiert dieses Gefühl genau. 

Thomas Schultze