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REVIEW KINO: „Es sind die kleinen Dinge“

Engagierte französische Komödie über die Bürgermeisterin einer 400-Seelen-Gemeinde, die nichts unversucht lässt, ihr bedrohtes Dorf zu retten.

Michel Blanc spielt sein Können aus in „Es sind die kleinen Dinge“ (Foto: Happy Entertainment)

CREDITS:
O-Titel: Les petites victoires; Land/Jahr: Frankreich 2023; Laufzeit: 89 Minuten; Regie: Mélanie Auffret; Drehbuch: Mélanie Auffret, Michaël Souhaité; Besetzung: Michel Blanc, Julia Piaton, Lionel Abelanski, Marie Bunel, Marie-Pierre Casey; Verleih: Happy Entertainment (24 Bilder); Start: 18. April 2024

REVIEW: 
Manchmal reicht es aus, wenn ein Film sich daran erinnert, einfach nur eine schöne, menschliche Geschichte zu erzählen. Was nicht heißen soll, dass „Es sind die kleinen Dinge“ gefällig oder gar gefallsüchtig wäre, sich mit kleinen Dingen zufriedengeben würde. Wenn Mélanie Auffret in ihrem zweiten Film einen liebevollen Blick auf die Figuren wirft, die ein fiktives 400-Seelen-Dorf namens Kerguen im Herzen der Bretagne bevölkern, dann tut sie das mit der Absicht, die berechtigten Nöte und Ängste von Dorfbewohnern Frankreichs zu thematisieren, ein allemal sehenswertes Plädoyer für Gemeinschaft und Solidarität. 

Julia Piaton überzeugt in „Es sind die kleinen Dinge“ als Bürgermeisterin in allen Gassen (Foto: Happy Entertainment)

Und obendrein eine Steilvorlage für Michel Blanc, seit mehr als 40 Jahren nicht aus dem französischen Kino wegzudenken und eine Legende seit Hauptrollen in Filmen wie „Abendanzug“ oder „Die Verlobung des Monsieur Hire“, sein komödiantisches Talent in den Dienst einer Rolle zu stellen, in der man sich auch Louis de Funès in dessen bester Zeit gut vorstellen könnte: Das 60-jährige Rumpelstilzchen Émile ist eine Paraderolle, versteckt sich hinter seiner jähzornigen Art doch nur die große Angst, nach dem Tod seines älteren Bruders, der sich immer um alles für ihn gekümmert hat, könnte bekanntwerden, dass er weder Lesen noch Schreiben kann. 

Émile hat Alice gerade noch gefehlt, der patenten, guten Seele von Kerguen, die Bürgermeisterin und Dorflehrerin ist, sich aber auch um die Eheprobleme ihrer Schäfchen kümmert, Straßen ausbessert und vermittelt, wenn Streit im Verzug ist. Dass sie ganz froh um die Dauerbelastung ist, weil ihr dann nicht genug Zeit bleibt, sich mit den Defiziten in ihrem eigenen Leben zu befassen, würde sie sich niemals eingestehen, zumal bald schon die Schließung der Schule droht, weil sie die nötigen 13 Schüler nicht vorweisen kann. Tatsächlich ist es erstaunlich, wie bei der Anhäufung der vielen Probleme und zahlreichen Themen, keines von ihnen einfach oder auf die leichte Schulter genommen, so ein leichter, bisweilen fast beschwingter Film herauskommen konnte. Aber viele der Szenen mit Blanc und den Kindern der Schulklasse sind entzückend komisch und rührend. Vor allem aber ist Julia Piaton, die das deutsche Publikum vor allem aus dem Millionenerfolg „Monsieur Claude und seine Töchter“ kennt, als Tänzerin auf allen Hochzeiten des Dorfes ein echtes Erlebnis. Ihre Alice schließt man sofort in Herz. 

Mühelos trägt sie den Film, dem man in jedem Moment ansieht, wie sehr ihm seine Anliegen zu Herzen gehen, eine Art liebenswerte Antwort auf „Wie die Tiere“, ein naher Verwandter von Rainer Kaufmanns „Eine ganz heiße Nummer 2.0“, der sich auf seine Weise ebenfalls mit Landflucht und Verödung der Provinz auseinandergesetzt hatte. „Es sind die kleinen Dinge“ beklagt sich nicht, steckt nicht den Kopf in den Sand, sondern sucht nach Erzählansätzen, wie man der Misere entgegenwirken könnte. Daraus entwickelt er viel Humor und Tempo. Und schließlich auch einen Showdown, der einem verblüffend zu Herzen geht. Manchmal reicht es eben aus, wenn ein Film sich daran erinnert, eine schöne, menschliche Geschichte zu erzählen.

Thomas Schultze