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REVIEW SAN SEBASTIÁN: „Modi – Three Days on the Wing of Madness”

Eigenwillige und unangepasstes Biopic über drei entscheidende Tage im Leben und der Karriere des berühmten Malers Modigliani.

„Modi – Three Days on the Wing of Madness“, die zweite Regiearbeit von Johnny Depp, feiert auf dem San Sebastian Film Festival seine Weltpremiere (Credit: San Sebastian Film Festival)

CREDITS:
Land / Jahr: UK, Italien, Ungarn, Saudi-Arabien 2024; Laufzeit: 110 Minuten; Regie: Johnny Depp; Drehbuch: Jerzy Kromolowski, Dennis McIntyre, Mary Olson-Kromolowski; Besetzung: Riccardo Scamarcio, Antonia Desplat, Bruno Gouery, Ryan McParland, Stephen Graham, Al Pacino, Luisa Ranieri, Sally Phillips

REVIEW:
Was immer man auch sagen mag über „Modi – Three Days on the Wing of Madness”, langweilig ist sie nicht, die zweite Regiearbeit von Johnny Depp. Vielleicht hat der Superstar ja auch seine Lektion gelernt aus seiner ersten und 27 Jahre lang einzigen Regiearbeit: „The Brave“, seinerzeit im Wettbewerb des Festival de Cannes, war zäh wie Molasse und wurde von der Presse in einer Form vernichtet, dass der Film in den meisten Ländern – Deutschland war eine Ausnahme – gar nicht erst ausgewertet wurde. Die neue Arbeit Depps ist das, was man gerne all over the place nennt, startet mit dem hohen Tempo eines Actionfilms, der Energie von Slapstick und der Tonalität eines Schwanks und lässt seinen Titelhelden Amedeo Modigliani im Jahr 1916 bei der Flucht vor Kellnern und der Polizei in einem Pariser Nobelrestaurant über Tische und Stühle fliehen, als sei er ein naher Verwandter von Captain Jack Sparrow höchstpersönlich. Von wegen ernstzunehmender Künstler! Ein Schelm ist er, ein Hallodri und Draufgänger – und deshalb natürlich ein Seelenverwandter des ewigen Rebellen Johnny Depp, der auf einen eigenen Auftritt vor der Kamera verzichtet und die Bühne dem italienischen Star Riccardo Scamarcio überlässt. Kurioserweise sah man ihn gerade erst als Caravaggio in „Der Schatten von Caravaggio“, nähert sich diesmal dem Genie eines Künstler mit einer ganz anderen Energie, immer ein bisschen begnadet, immer ein bisschen wahnsinnig. 

Um 72 Tage im Leben Modiglianis wird es gehen, was dem Film deutlich mehr Drive und Richtung gibt, als wenn sich Depp an einem konventionellen Biopic versucht hätte: Daran war 2004 Mick Davis mit „Modigliani“ mit Andy Garcia als Titelheld gescheitert, ein fürchterlich fader Film. Hier geht es um ein Rennen mit der Zeit und ein Feiern des rebellischen Spirits von Modigliani, der kurz davor ist, seine Karriere als Künstler an den Nagel zu hängen, hier aber auf Anraten seines Mäzens, polnischen Kunsthändler und Freund Leopold Zborowski, gespielt von dem immer sehenswerten Stephen Graham, versucht, seine Arbeiten einem amerikanischen Sammler anzudienen, der von Al Pacino gespielt wird – ein augenzwinkernder Auftritt, weil Pacino in einer früheren Inkarnation des seit langen in verschiedenen Konstellationen geplanten Film selbst die Titelrolle hatte übernehmen wollen. Das ist der Rahmen des polternden und manchmal trunken torkelnden Films, in dem Modigliani wie ein Tambourmajor mit zwei Künstlerkollegen, dem Franzosen Maurice Utrillo und dem in Weißrussland geborenen Chaim Soutine – kuriose und etwas irre Auftritte von Bruno Gouery aus „Emily in Paris“ und Ryan McParland -, kopfüber in die Nächte eintaucht und mit sich und seiner Muse und seinem Selbstverständnis hadert. Dazu kommt erschwerend noch seine nicht ganz einfache Beziehung mit der Britin Beatrice Hastings, gespielt von der schönen Antonia Desplat aus der kurzlebigen Apple-Serie „Shantaram“. 

Kurz muss der Modi dieses Films einmal husten und damit seinen viel zu frühen Tod im Alter von 35 Jahren an den Folgen einer Tuberkolose weg. Hier wird indes eher das Leben gefeiert, mit einer gewissen Punk-Energie, die Johnny Depps enthusiastischer Inszenierung sehr gut entspricht. Manchmal knattert es etwas, manchmal wirken die Versuche, dem persönlichen Vobild und Mäzen Terry Gilliam zu entsprechen, etwas bemüht. Aber Fear and Loathing in Paris? Warum nicht? Am besten genießt man den Film mit ein bisschen Augen zu und durch. Und der Freude daran abzugleichen, wie sehr der nunmehr 61-jährige Johnny Depp doch auch sich selbst sieht in diesem Film, der unverstandene, unterschätzte Künstler, der doch nicht unseren Argwohn, sondern unsere Liebe und unseren Applaus verdient hätte. 

Thomas Schultze