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Linda Dudacy und Faysal Omer: „Ein Raum, in dem sich Ideen frei entfalten können“

Unter der Überschrift „Risk & Reward“ steht der diesjährige Auftakt der Industry Days des Filmfest Hamburg, die mit der Explorer Konferenz eingeläutet werden. Wir sprachen mit Faysal Omer und Linda Dudacy über den Austausch in einer spannenden Zeit.

Linda Dudacy kursiert erstmals die Explorer Konferenz, Faysal Omer verantwortet seit 2023 den Bereich Fachveranstaltungen beim Filmfest Hamburg (Credit: Privat/Filmfest Hamburg)

Austausch befördern, Netzwerke schaffen, Wissen teilen und Innovation befördern: Das ist die grundlegende Mission, mit der die Filmfest Hamburg Industry Days und die Explorer Konferenz als deren diesjähriger Auftakt am 30. September an den Start gehen. Wir sprachen im Vorfeld mit Faysal Omer, der seit 2023 den Bereich Fachveranstaltungen beim Filmfest Hamburg leitet, und mit Linda Dudacy, die 2024 erstmals für die Kuratierung der Explorer Konferenz verantwortlich zeichnet.

Das diesjährige Filmfest Hamburg und mit ihm die Industry Days finden in einer extrem spannenden Zeit statt. Wie herausfordernd ist es, Aufmerksamkeit für die Themen in einer Zeit zu setzen, in der eine komplette Branche wie gebannt nach Berlin und auf die noch ungewisse Zukunft der Filmförderung blickt?

Faysal Omer: Die Unsicherheit hinsichtlich der Filmförderung betrifft die Branche in ihrer ganzen Breite und geht auch an uns nicht ganz spurlos vorbei. Es ist tatsächlich nicht einfach, Themen zu setzen, wenn die Basis infrage gestellt ist. Die Frage nach der Finanzierung von Projekten ist insoweit omnipräsent. Allerdings darf man sich nicht ausschließlich darauf kaprizieren. Wir wollen nicht permanent nur über Unsicherheiten sprechen, sondern über Geschichten, über Vielfalt, über eine diverse Filmkunst. Ideen und Netzwerke zu entwickeln, ist gerade jetzt so wichtig wie nie.

Linda Dudacy: Aufgabe der Explorer Konferenz kann es natürlich nicht sein, so grundlegende Fragen wie jene nach einer Förderreform zu lösen. Es geht vielmehr darum, sich gerade in einer angespannten Zeit gegenseitig zu stärken und die Chance zu nutzen, gute Impulse für das kommende Jahr zu setzen.

 Welcher Stellenwert kommt der Explorer Konferenz im Rahmen der Industry Days zu?

Faysal Omer: Ein ganz besonderer. Im mittlerweile fünften Jahr hat sich diese Konferenz – in diesem Jahr als Auftakt der Industry Days – als eine eigene Veranstaltungsform etabliert, die sich an Produzent:innen richtet und sie zum Festival nach Hamburg einlädt. Unsere Industry Days haben ein sehr großes Potenzial. Hamburg war dank des Hafens schon immer ein Fenster in die Welt. Es ist eine ausgesprochen divers geprägte Metropole, deren Nähe zu den innovativen skandinavischen Filmnationen nicht zu unterschätzen ist. Explorer Konferenz und Filmfest Hamburg Industry Days gehören zusammen und werden auch in Zukunft die wichtigsten Branchenthemen reflektieren.

Diversität in der Filmbranche, die Sichtbarmachung von Talentfilmen und die Zukunft des Fernsehens stehen mit im Fokus der diesjährigen Industry Days (Credit: Michael Kottmeier/Filmfest Hamburg)

Wie gestaltet sich die gemeinsame Arbeit – und wie sehr befruchten sich die jeweiligen Erfahrungen gegenseitig?

Linda Dudacy: Ich bin ja zum ersten Mal dabei. Aber was ich vom ersten Moment an wahrgenommen habe, war eine enorme gegenseitige Wertschätzung – und eine ebenso große Bereitschaft, nicht nur die Netzwerke und das Wissen zu teilen. Sondern auch die Leidenschaft, mit der man hinter den Projekten steht. Dieser Spirit prägt aber nicht nur die Arbeit hinter den Kulissen, sondern ist genau jener, den wir bei den Teilnehmenden hervorrufen wollen. Tatsächlich haben wir aus diesem Grund auch bewusst viele Pausen eingebaut. Denn es geht nicht darum, Branchenthemen nur von einer Bühne herab verhandeln zu lassen. Sondern wir wollen mit offenen Formaten zur Diskussion und gegenseitigen Inspiration einladen, wir wollen ausreichend Zeit für Austausch und Vernetzung geben. Das ist ein gleichwertiger Teil des Angebots neben dem Bühnenprogramm. 

Faysal Omer: In unserer Branche arbeiten wir viel aus dem Bauch heraus, umso wichtiger ist die persönliche Begegnung. Austausch ist das A und O – vor allem auch ein ungezwungener Austausch. Ich denke es ist psychologisch sehr wichtig, informelle Formate anzubieten, die organisierte Meetings oder ein Matchmaking ergänzen. Formate, die völlig unerwartete Begegnungen ermöglichen und die quasi gänzlich ohne Erwartungsdruck daherkommen. Vielfalt zu ermöglichen, bedeutet zuallererst einen Raum zu schaffen, in dem sich Ideen frei entfalten können. Linda und ich ergänzen uns in unseren Ansätzen daher sehr gut – und ich freue mich schon darauf, die weitere Verzahnung von Industry Days und Explorer Konferenz gemeinsam zu gestalten.

Anders als die Tincon oder die Re:Publica ist die Explorer Konferenz, die sie in ihrer fünften Auflage nun erstmals kuratieren, ein Branchenevent. Wie unterscheidet sich Ihrer Herangehensweise, Frau Dudacy?

Linda Dudacy: Die Explorer Konferenz ist ein sehr kompaktes Format, wir haben einen Tag Zeit, um uns dem Thema „Risk & Reward“ in rund 15 Sessions zu widmen. Da muss man wahnsinnig gute Entscheidungen hinsichtlich der Frage treffen können, welchen Aspekten man zu mehr Sichtbarkeit verhelfen und wem man eine Bühne geben will. Da wir von einem Branchenevent sprechen und ich selbst keine Produzentin bin, muss ich noch viel stärker im Austausch mit den Akteurinnen und Akteuren bleiben, nicht zuletzt mit meinem tollen Co-Kurator Fabian Massah, der selbst Produzent ist. Vor allem führe ich vorab sehr viele Einzelgespräche, um herauszufinden, welche Perspektiven es zu unserem Motto und zu den aktuellen Themen in der Filmindustrie gibt. Ich höre erst einmal sehr viel zu – und puzzle mir aus diesem Input dann Stück für Stück die Geschichte zusammen, die ich über den Tag hinweg erzählen will. 

Hoch hinaus geht es im wahrsten Sinne des Wortes gleich zum Auftakt der Explorer Konferenz. Was können Filmschaffende von einer Astronautin lernen?

Linda Dudacy: Die Kombination aus All und Filmproduktion klingt im ersten Moment sicherlich überraschend. Aber ich bin mir sicher, dass wir zahlreiche Gemeinsamkeiten entdecken werden, gerade wenn es um die Notwendigkeit intensiver Planung und klarer Kommunikationsregeln, um Teamwork und Neugier auf Innovation geht. Ich persönlich bin besonders gespannt, was Dr. Insa Thiele Eich über Krisenmanagement zu erzählen hat, schließlich müssen Astronautinnen extrem darauf trainiert sein, mit unerwarteten Situationen umzugehen und schnelle, pragmatische Lösungen zu entwickeln. Das ist beim Film ganz ähnlich: Welche Skills benötigt man, um auch mit schwierigen Situationen ruhig umzugehen, vor allem am Set?

„Risk & Reward“ ist übergeordnetes Thema der Explorer Konferenz. An wen richtet sich der Appell zu mehr Risikobereitschaft in erster Linie?

Linda Dudacy: An Alle, die Lust auf eine ökologisch und sozial nachhaltige Gesellschaft von morgen haben. Wir sprechen über Risiko – aber vor allem über das Verständnis davon. Was bedeutet Risiko in der Filmbranche eigentlich? Wer kann es sich leisten, es einzugehen? Daraus ergibt sich die wichtige Folgefrage, wie man Risiko künftig kollektiv teilen kann – und damit letztlich neu definieren. Weg vom Risiko, hin zu kollektiver Verantwortung. Das ist ein Schlüssel, um mehr Kreativität und mehr Diversität zu fördern.

2019 ins Leben gerufen, findet die Explorer Konferenz 2024 zum fünften Mal im Rahmen des Filmfest Hamburg statt – diesmal als Auftakt der Industry Days (Credit: Martin Kunze/Filmfest Hamburg)

Generell glänzen die Industry Days mit Blicken über den sprichwörtlichen „Tellerrand“, beispielhaft sei die Keynote von Daniel Lamarre genannt, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des Cirque Du Soleil. Wie wichtig ist es, Verbindungen zwischen unterschiedlichen Kreativbranchen zu schaffen?

Faysal Omer: Wer Wissen teilt, vermehrt es. Das ist ein simpler Grundsatz, den eigentlich jeder unterschreiben können sollte. Trotzdem hat man es aus meiner Sicht noch nicht ausreichend verinnerlicht, wirklich kooperativ zu sein, themenübergreifend und interdisziplinär zu arbeiten. Offenbar gibt es nach wie vor die Angst, etwas zu verlieren. Aber sie ist irrational. Umso mehr, als auch im Filmbereich alle Tätigkeiten inzwischen so komplex sind, dass man sie nur mit unterschiedlichsten Expertisen erfüllen kann. Ich denke, dass es eine wichtige Aufgabe ist, sich an die Hürden heranzutasten, herauszufinden, was daran hindert, den Schritt weg von einem Wettbewerbsdenken und hin zu mehr Kooperation zu gehen.

Linda Dudacy: Ich nehme das auch so wahr, dass sich die Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft immer noch zu sehr als solche wahrnehmen, nicht als Ganzes. Das ist umso bedauerlicher als diese Branche, die eine zentrale Rolle in der Innovationslandschaft spielt, geradezu prädestiniert für Kooperation ist. Wir wollen dazu beitragen, den Schnittstellen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, die Teilbranchen in gemeinsame Experimentierräume holen, um so das voll kreative Potenzial ausschöpfen zu können.

Das Thema Diversität wird bei den Industry Days insgesamt großgeschrieben. Hoffen Sie auf den Tag, an dem derartige Debatten kein essenzieller Bestandteil einer solchen Konferenz mehr sein müssen – und sehen Sie über die vergangenen Jahre hinweg denn entscheidende Fortschritte?

Linda Dudacy: Unsere heutige Gesellschaft ist leider mehr denn je von Rassismus und Hass durchzogen, deswegen denke ich, dass diese Themen in den kommenden Jahren nur noch präsenter werden. Wir müssen tatsächlich noch lauter werden! Wir dürfen das aber nicht etwa als isolierte Diversitäts-Tracks behandeln, sondern das muss sich wie ein roter Faden durch alle Themen ziehen.

Faysal Omer: Ich würde mir natürlich wünschen, dass man längst nicht mehr so grundsätzlich darüber diskutieren müsste, sondern dass man Diversität als das sehen sollte, was sie ist: ein Vorteil, ein echter Mehrwert. Nun kann man natürlich feststellen, dass es grundlegendes Recht marginalisierter Menschen ist, Teilhabe zu bekommen. Man kann aber vor allem auch sagen – und das ist bewiesen – dass divers angelegte Unternehmen leistungsfähiger sind. Das steht nicht in Zweifel. Die Frage ist vielmehr, wie man das stärker verinnerlichen und leben kann. Veränderung zu akzeptieren, ohne sie als zusätzliche Last zu empfinden – das muss gelernt sein.

Was liegt Ihnen bei den Industry Days und der Explorer Konferenz jeweils besonders am Herzen?

Faysal Omer: Es sind wirklich die Menschen, die motiviert sind, in der Branche zu arbeiten, die ihre Geschichten teilen, die das Gefühl geben, dass etwas Gemeinsames entsteht – und wenn es zunächst auch nur der Austausch sein mag. Das jedes Jahr aufs Neue zu unterstützen, motiviert wiederum mich immens.

Linda Dudacy: Ich sehe das ganz ähnlich. Mir ist vor allem daran gelegen, dass sich die Gäste wohlfühlen, dass neue Kontakte entstehen. Und dass man aus dem Tag etwas mitnimmt.

Ein Blick in die Glaskugel: Wie sehr wird KI die Themen 2025 bestimmen?

Linda Dudacy: Angesichts der Rasanz der Entwicklung würde ich von „sehr stark“ ausgehen. Auch die nächsten Monate werden wahnsinnig davon geprägt sein, wie KI auf kreative Schaffensprozesse einwirkt. Inhalte werden immer dynamischer, wir sprechen von kurzen Aufmerksamkeitsspannen von Hyperindividualisierung, gleichzeitig gibt es Gegentrends wie „Long Form Content“, einer der Programmpunkte auf unserer Konferenz. Ich bin wahnsinnig neugierig, wie sich bestehende Extreme weiterentwickeln, werde aber vor allem auch die Grauzonen beobachten. 

Faysal Omer: Natürlich wird KI das nächste Jahr mitbestimmen. Programmatisch gedacht würde ich gerne den ethischen Aspekt sehr viel stärker in den Fokus rücken. An dieser Stelle könnten wir 2025 ansetzen.

Linda Dudacy: Beim Explorer Impuls im August haben wir unter anderem die Angst adressiert, dass KI Jobs in der Filmbranche ersetzt und Beispiele aufgezeigt, wo KI-Anwendungen als kreative Partner:innen fungieren. Aber wir müssen sicherlich auch an den Anfang zurück und uns anschauen, wer KI mittels welcher Daten erstellt.

Faysal Omer: Es gibt konkrete Ängste, das Arbeitsplätze verloren gehen, aber noch die viel weitreichenderen Ängste, dass Persönlichkeitsrechte verloren gehen. Das sind tiefgreifende Fragestellungen, die da zu beantworten sind – und die noch zu kurz kommen. Das könnten wir uns durchaus zur Aufgabe machen.

Das Gespräch führte Marc Mensch