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REVIEW STREAMING: „Penelope“

Auf dem Seriesly Berlin feierte die amerikanische Indie-Serie „Penelope“ über die Naturerfahrung einer Teenagerin ihre Europa-Premiere. Herausgekommen ist ein entschleunigt erzähltes Coming-of-Age-Format, das mehr als einen Blick wert ist.

Penelope
Megan Stott überzeugt als „Penelope“ (Credit: Nathan M. Miller)

CREDITS:
Produktion: Duplass Brothers Productions; Creator: Mel Eslyn, Mark Duplass; Cast: Megan Stott, Austin Abrams, Cynthia Gery; Weltpremiere: Sundance Januar 2024; Dt. Festival-Premiere: 17.9.24; US-Start: 24.9.24

REVIEW:
In seinem ersten Jahr hat das neue Serienfestival Seriesly Berlin auf eine konzentrierte Auswahl gesetzt: Unter den ersten sechs Premieren befand sich auch die unabhängig produzierte US-Serie „Penelope“ von Creator Mel Eslyn und der Duplass Brothers Productions von Mark und Jay Duplass, die für Indie-Hits wie „Safety Not Guaranteed“ stehen. Mark Duplass, der zusammen mit Mel Eslyn die Idee für die Serie „Penelope“ hatte, hat inzwischen aber auch mehr als einen Zeh im Hollywood Game. Gerade war er wieder für den Emmy als Bester Nebendarsteller für „The Morning Show“ nominiert.

In „Penelope“ geht es um die 16-jährige Titelheldin (aus 400 Kandidatinnen ausgewählt: Megan Stott), die als Digital Native der allgegenwärtigen Technik abschwört, sich mit der Kreditkare ihrer Helikopter-Mutter ein Camping-Set für mehrere hundert Dollar kauft und sich auf eigene Faust in die Natur aufmacht. Nach einigen kleineren Begegnungen und Eskapaden kommt sie an ihrem Ziel an: Einem Naturreservat in Washington. Dann beginnt aber erst das Abenteuer.

Die erste 30-minütige Episode kommt fast ganz ohne Dialog aus. Showrunnerin Mel Eslyn („Biosphere“) setzt auf die Reduzierung der Mittel. Die Nachwuchsschauspielerin Megan Stott, ihr rund-naives Gesicht und die großen, sich nach mehr im Leben sehnenden Augen stehen im Fokus der so schlichten wie schönen Szenen. Moment für Moment setzt die Serie dabei mehr auf eine Entschleunigung, die sich durch den ruhigen Erzählrhythmus auf das Publikum überträgt.

Penelope
„Penelope“ ist keine One-Woman-Show: Megan Stott (l.) und Karisha Fairchild (Credit: Nathan M. Miller)

Der Moment, wenn Penelope dann das erste Mal in den Wald eintaucht, ist wie ein Erweckungserlebnis inszeniert: Sphärische Musik trifft auf staunende Zeitlupenaufnahmen, wenn die Titelheldin einen der großen Bäume wie einen nach langer Zeit wiedergefundenen Freund umarmt und sogar mit ihm zu sprechen beginnt. Die Serie erinnert dabei an das Frühwerk der amerikanischen Ausnahme-Regisseurin Kelly Reichardt, die einst mit „Old Joy“ ihren Durchbruch in Sundance feierte. Es ist kein Zufall, dass auch das Format „Penelope“ im Januar 2024 seine Weltpremiere beim gleichen amerikanischen Indie-Festival feierte.

Wobei Mel Eslyn, die, wie sie bei Seriesly Berlin auf der Bühne erzählte, die gesamte Produktion mit einem kleinen Team von einer Handvoll Mitarbeiter gestemmt bekam, die zusammen im Unterholz übernachteten. Um die Kontrolle über die Produktion zu behalten und selbst entscheiden zu können, ob es eventuell eine zweite Staffel gibt, entschied die Produktion auch, die Serie nicht weltweit, sondern in einzelnen Territorien zu verkaufen. So läuft „Penelope“ ab 24. September in den USA auf Netflix. Für europäische Märkte wie Deutschland sei man dagegen noch in Verhandlungen, wo das Format eventuell aufschlagen könnte.  

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Entfremdet von der Welt: Penelope (Credit: Nathan M. Miller)

Eslyn setzt in ihrer Schilderung der Naturerfahrung aber auf mehr dramaturgische Mittel als etwa Kelly Reichardt. Die Musik wird zum Beispiel stärker für Spannungsmomente als Verstärkung herangezogen. Das Szenario des jungen Mädchens, das auf eigene Faust in der Wildnis überleben will, wurde in der Pandemie-Zeit dadurch inspiriert, weil sowohl Esyln als auch Mark Duplass viele Survival-Shows schauten.

So könnten einem die Handlungen der ersten Episoden von „Penelope“ sehr vertraut vorkommen, falls man in den vergangenen Jahren beim Survival-Phänomen „7 vs. Wild“ mal reingeschaut hat: Trinkwasser finden, Feuer machen, Feuerstahl ausprobieren, Schmutzwasser abkochen, Beeren sammeln, Unterkunft herrichten, erste Begegnungen mit Tieren. In Episode zwei, das kann an dieser Stelle wohl schon verraten werden, trifft Penelope auf einen jungen Bären. Die Interaktion ist sehr natürlich. Eslyn wollte für die Szenen kein dressiertes Tier. So holte man sich ans Set einen Jungbären, bei denen ungezwungen auf die richtigen Momente zwischen der Schauspielerin und dem Tier gewartet wurde. Das merkt man der Serie positiv an.

„Penelope“ ist eine wunderschön gefilmte Coming-of-Age-Serie, die einen nach einem harten Alltag in der digitalen Arbeitswelt und der Reizüberflutung herunterkocht. Sie könnte auch gerade unter jüngeren Menschen einen Nerv treffen, wenn sie denn vernünftig platziert und beworben würde. Aber solange sie noch keinen deutschen Streaming- oder TV-Start hat, bleibt sie eines der Highlights des diesjährigen Seriesly Berlin.

Michael Müller