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REVIEW STREAMING: „Un/Dressed“

Deutscher Erotikthriller über die neue Geschäftsführerin eines Modeimperiums, die eine heiße Affäre mit einem Security-Guard hat, hinter der mehr stecken könnte.

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 102 Minuten; Regie: Tim Trachte; Drehbuch: Stefanie Sycholt; Besetzung: Lena Meckel, Gerrit Klein, Malik Blumenthal, Brigitte Karner, Roman Knižka; Plattform: Prime Video; Start: 20. September 2024

REVIEW:
Sex liegt in der Luft. Zumindest, wenn man den amerikanischen Trades Glauben schenken darf. „Erotic Movies Are Back“, titelte Variety am 6. September und referenzierte dafür „Babygirl“, „Queer“ und „Emmanuelle“, die zu den großen Titeln der diesjährigen Herbstfestivalsaison zählen. Insofern könnte das Timing gar nicht besser sein für den neuen Film von Tim Trachte („Dem Horizont so nah“, „Biohackers“), eine Produktion von W & B Television, ein deutscher Erotikthriller, der als solches bei der Programmvorschau von Prime im März in Berlin angekündigt worden war und nun am 20. September auf Sendung geht. Nun wäre es vermessen, einen Film zu erwarten, der so abgründig und relevant ist wie Halina Reijns „Babygirl“ oder wie die großen Klassiker des Subgenres, auf die man sich heute beruft, wenn man Verruchtheit und erotische Gefahr evozieren will im Kino, auf Adrian Lynes „Eine verhängnisvolle Affäre“ oder „Untreu“ oder eben Paul Verhoevens „Basic Instinct“ und Barry Levinsons „Enthüllung“.

Tim Trachtes „Un/Dressed“ mit Malik Blumenthal und Lena Meckel (Credit: Prime Video)

Dafür ist „Un/Dressed“ zu sehr Oberfläche und trotz der ein oder anderen Sexszene doch auch sehr keusch, sehr Mainstream, eher ein Abziehbild, eine Anmutung, als würde sich einer der genannten Filme im Spiegel anschauen und mögen, was er da sieht. Aber das Gefällige, das Leichte, also eher die Idee von Gefahr und Sinnlichkeit als Gefahr und Sinnlichkeit selbst, die Idee des Abgründigen und Verbotenen als das Abgründige und Verbotene selbst macht die DNS des Films aus und letztlich auch das, warum man ihn sich gerne ansieht: Man droht nie, von den sauber und sorgfältig komponierten Bildern von Kameramann Fabian Rösler verschlungen zu werden, man bleibt sicherer Zuschauer:in, immer etwas auf Abstand, wenn man den attraktiven Schauspieler:innen zusieht, wie sich nach dem Drehbuch der „Inga Lindström“-erfahrenen Stefanie Sycholt eine Dreiecksgeschichte entwickelt zwischen Elle, die gerade Geschäftsführerin des von ihrer Großmutter aufgebauten Modeimperiums geworden ist, und ihrem millionenschweren, weltgewandten Verlobten und einem Security-Mann/Bodyguard mit animalischer Ausstrahlung. Eine Frau zwischen zwei Männern in einer kühlen, blau-grauen Welt, in der Rot immer wieder wie ein Ausrufezeichen hervorknallt: Achtung, Gefahr!

Nun will man nicht der Creep sein, der in einer Filmbesprechung darüber räsoniert, wie attraktiv und durchtrainiert die Hauptdarsteller sind oder ob sie in Reizwäsche eine gute Figur abgeben. Brrr. Aber darum geht es auch nicht. Die Erotik, das Spiel mit dem Feuer und der Leidenschaft ist hier vielmehr das Salz in der Suppe, gibt der Geschichte um dunkle Geheimnisse und abgekartete Spiele in der Welt der Hochfinanz eine besondere Würze, einen eigenen Spin, der „Un/Dressed“ mehr sein lässt als eine handwerklich hochstehend umgesetzte Soap. Dass dabei keine nennenswerten Abgründe ausgelotet werden oder die Schauspieler sich selbst veräußern wie im letzten wirklich nennenswerten Erotikthriller von Format aus Deutschland, nämlich Nico Hofmanns unterschätzten „Solo für Klarinette“ mit Götz George und Corinna Harfouch aus dem Jahr 1998, ist nicht der Punkt: Es geht hier nicht um einen Pas de deux zwischen Eros und Thanatos, ein kleiner Tod nach dem anderen, sondern eher um einen geschickten Tanz zwischen Leidenschaft und Täuschung, ein gefälliger Krimiplot mit Schauspielern, die ihre Rollen perfekt ausfüllen.

Tim Trachtes „Un/Dressed“ mit Malik Blumenthal und Lena Meckel (Credit: Prime Video)

Allen voran natürlich Lena Meckel als Elle, die eine wunderbare Identifikationsfigur ist, eine ambitionierte junge Frau, die jederzeit mit ihrem Körper punkten könnte, aber auf Köpfchen setzt, auch wenn da ein inneres Feuer brennt, das sie nicht länger ignorieren kann. Und die hin- und hergerissen ist zwischen bravem Jungen und Bad Boy, zwischen Stabilität, Sicherheit und Risiko, Abenteuer. Gerrit Klein und Malik Blumenthal sind gut besetzt als Antipoden im Leben der Heldin von „Un/Dressed“, die schließlich erkennen muss, dass sie nur eine Bauernfigur in einem schmutzigen Spiel sein soll, die notfalls auch geopfert wird – und für sich entscheiden muss, auf welcher Seite sie steht, wer und was gut ist für sie und was nicht. Ganz straight, ganz klar. Und mit dem Bonus, dass über Sex nicht nur wohlfeil geredet wird. 

Thomas Schultze