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Torsten Neumann vom Filmfest Oldenburg: „Die Zuschauer auf eine Abenteuerreise einladen“

Am 11. September startet das 31. Internationale Filmfest Oldenburg, das seit jeher mutiges und innovatives Indiekino feiert. Wir haben Festivalleiter Torsten Neumann nach den diesjährigen Besonderheiten und Highlights sowie nach Veränderungen im Markt des unabhängigen Films gefragt. Außerdem verrät er, warum er Thierry Frémaux sehr schätzt.

Torsten Neumann ist Gründer und Leiter des Internationalen Filmfest Oldenburg. Aus der Taufe gehoben hat er es 1994 (Credit: Filmfest Oldenburg)

Das 31. Internationale Filmfest Oldenburg steht vor der Tür. Was zeichnet die diesjährige Ausgabe aus? Was sind Auffälligkeiten?

Torsten Neumann: Ich hoffe, alles, was auch die Vorherigen ausgezeichnet hat: ein Programm voller Entdeckungen, voller ungewöhnlicher Stories und Erzählweisen. Mutiges, innovatives unabhängiges Kino, mit dem wir die Zuschauer auf eine Abenteuerreise einladen. Wir wollen gerne einen Teil dazu beitragen, dass es weiterhin neue Stimmen im Kino gibt, die sich trauen, andere Perspektiven und Blickwinkel zu eröffnen und Erwartungen zu unterwandern. Das genau ist wohl auch unser Merkmal, bzw. Alleinstellungsmerkmal – denn es gibt nicht mehr so viele Festivals, die diesem Kino eine Plattform bieten. 

Sie feiern den internationalen Independent Film. Wie hat sich dieser Markt seit Corona verändert? 

Torsten Neumann: Die Schere zwischen Indie und Mainstream wird größer. Die Independent Filme sind teilweise nicht low-budget, sondern micro-budget – die Laufzeiten der Indies sind recht häufig zwischen 60 und 75 Minuten, während es im Mainstreamkino kaum noch Filme unter zweieinhalb Stunden gibt. Die Überlegenheit im Budget auf der einen Seite könnte ein Vorteil der ökonomischen Erzählweise auf der anderen Seite sein. Was den Markt angeht, muss man leider sagen – das Mainstreamkino wird dank der Vorgaben der großen Streamer immer konformistischer und stromlinienförmiger – während die besseren Filme diese Vorgaben natürlich nie erfüllen. Ergo: Die Auswertungschancen für unabhängiges Kino werden zunehmend gering. Es scheint also die Welt des Films nur mal wieder auf den einen ganz eigenständigen, innovativen und Erwartungen unterlaufenden Indiefilm zu warten, der einen Initialfunken setzt. Dann dreht sich das ganze hoffentlich wieder und man traut dem Publikum wieder mehr zu. Kino für Erwachsene halt.

Sie haben auch die deutschen Produktionen „Flieg Steil“ oder „Jenseits von Schuld“ im diesjährigen Line-up. Wie nehmen Sie den deutschen (unabhängigen) Filmmarkt wahr? 

Torsten Neumann: Wenn ein Filmland so stark vom Fördersystem geprägt und abhängig ist, ist es noch schwerer, ein funktionierendes Independent-Ökosystem vorzufinden. Auch hier gilt: ohne Förderungen in der Produktion, werden die Auswertungschancen noch kleiner, da auch die Verleiher auf Fördermöglichkeiten angewiesen sind. Entsprechend ist die Wahrnehmung eines solchen Filmmarktes kaum wahrnehmbar. Es gibt vereinzelte Filme, von einer Kultur kann man hier noch nicht sprechen. 

Gab es besondere Herausforderungen bei der diesjährigen Programmierung? 

Torsten Neumann: Eigentlich nicht – wir suchen nach tollen Filmen, nach Filmen, die ihre Zuschauer ernst nehmen, herausfordern und überraschen. Da haben wir einiges gefunden und sind sehr glücklich, diese Filme mit auf den Weg zu bringen.

Was sind Highlights? Auf was freuen Sie sich persönlich am meisten?

Torsten Neumann: Die Retrospektive für Dominik Graf ist ein ganz großes Highlight für mich. Ich bin ein großer Bewunderer seines Werkes, seiner Liebe zum Kino allgemein. Im Programm gibt es etliche Entdeckungen zu machen, da kann ich gar nicht anfangen, einzelne Filme herauszupicken. Der Eröffnungsfilm „Traumnovelle“ ist schon sehr bemerkenswert: wenn man sich als junger Filmemacher mit seinem zweiten Spielfilm traut, sich direkt mit niemandem geringeren als Stanley Kubrick vergleichen zu lassen, ist das allen ein Statement. Mich hat der Film wirklich überrascht, denn ich finde, Florian Frerichs Adaption der „Traumnovelle“ ist der bessere Film geworden. 

Welche Festivals sind für Sie am wichtigsten, um das Programm für Oldenburg zusammenzustellen? Die Sie selbst auch inspirieren?

Torsten Neumann: Das hat es vor langer Zeit sicher intensiver gegeben, inzwischen sind wir als „Entdeckungsfestival“ weltweit ganz etabliert und anerkannt, man sucht also nicht mehr nach Inspiration woanders, man findet sie in den Filmen, die sich an uns wenden. Ansonsten ist es wohl so, dass ich Thierry Frémaux‘ unbedingte Liebe zum Kino und das Bewusstsein seiner Verantwortung gegenüber Filmen, die er allein mit einer Einladung auf eine komplett andere Reise schicken kann, wirklich sehr schätze. Darum finde ich in Cannes eine Haltung in der Auswahl und Präsentation der Filme, die ich mag und entsprechend teile.

Inwiefern hat sich das Filmfest Oldenburg als Liebhaberfestival, als Festival, das das unabhängige Filmschaffen feiert, verändert? Wächst genug junges Publikum nach? Haben Sie stabile Partnerschaften, die die Finanzierung langfristig sichern?

Torsten Neumann: Nein, das kann man so in der Tat nicht sagen. Das junge Publikum geht, wie wir alle wissen, sehr leicht an die Bequemlichkeit des Streamings verloren – dieser scheinbar so idealen Welt, in der man alles zu jeder Zeit haben kann. Und das Thema Sponsoring im Bereich Kultur ist nie einfach, es ist da auch eher eine Abwärtsbewegung zu beobachten, die man nicht mit dem Begriff „stabil“ umschrieben kann. Unsere Filmförderung, die nordmedia, hat allerdings ein sehr schönes Signal an uns ausgesendet, wir haben nach einer Evaluation sehr gute Noten in vielen Bereichen unserer Arbeit erhalten und daraus resultierend eine Erhöhung der Fördermittel. 

Die Fragen stellte Barbara Schuster

31. Filmfest Oldenburg