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Pressekonferenz „The Brutalist“: „Der Film tut alles, was man nicht machen darf“

„The Brutalist“ ist ein Brett im Wettbewerb der 81. Mostra. Das auf 70mm gedrehte Vierstundenwerk taucht ein in Nachkriegspsychologie und Nachkriegsarchitektur. Die PK war sehr emotional.

Adrien Brody und Brady Corbet bei der PK zu „The Brutalist” (Credit: B. Schuster)

Mit „The Brutalist“ bringt Brady Corbet ein Meisterwerk auf den Lido, ein beeindruckendes Porträt eines ungarisch-jüdischen Architekten, der Mitte der 1940er-Jahre vor dem Naziregime flieht und in den USA versucht, sein Leben als Künstler neu aufzubauen. Die Hauptrolle spielt Adrien Brody, dessen darstellerische Leistung phänomenal gut ist. In der Pressekonferenz von „The Brutalist“ ging es erst einmal sehr emotional zu. Brady Corbet war gleich zu Beginn zu Tränen gerührt (wobei er seine Augen hinter einer Sonnenbrille versteckte). Es war ihm ein Anliegen, nicht direkt auf die erste Frage zu antworten, sondern erst einmal dem Festival zu danken. Dieser Dank kam aus tiefstem Herzen. Das hörte man, weil seine Stimme so zitterte. „Als niemand an meine Filme geglaubt hat, Alberto Barbera und das Venedig Film Festival haben es. Ich bin ihm ewig dankbar. Sein Glaube an mich hat meine Filme erst möglich gemacht.“ Schöne Geste.

Dann sprang er hinein in die PK, zu der er neben Brody auch Felicity Jones, Guy Pearce, Joe Alwyn, Raffey Cassidy, Stacy Martin, Isaach De Bankolé, Alessandro Nivola und Emma Laird mitbrachte. Corbet erzählte, was ihn dazu angetrieben habe, seine Geschichte in einem Setting aus Nachkriegspsychologie und Architektur zu verankern. Corbets Antwort war nicht weniger emotional als zu Beginn. Eine wichtige Inspirationsquelle sei das Buch „Architecture in Uniform“ von Jean-Louis Cohen gewesen, den Corbet auch kannte (er hat auch das bekannte Taschen-Buch „Le Corbusier“ geschrieben) und bei dem er sich Rat geholt habe (leider ist Cohen mittlerweile verstorben) „,The Brutalist‘ handelt von der physischen Manifestation des Traumas im 20. Jahrhundert. Jean-Louis war ein Experte in Sachen Architektur und ich habe ihm eine Frage gestellt: Ich wollte von ihm wissen, ob er mir ein Beispiel von jemandem geben könne, der im Sumpf des Zweiten Weltkriegs feststeckte und in der Lage war, sein Leben in Amerika erfolgreich neu aufzubauen. Und er antwortete: Nein, es gibt in der Architektur kein einziges Beispiel.“ Das hat den amerikanischen Filmemacher gepackt. „Es gab so viele Architekten aus der Bauhaus-Schule, die so großes Potenzial und so großes Talent hatten. Von denen wir aber nie zu sehen bekommen haben, was sie bauen wollten, wozu sie in der Lage gewesen wären.“ Und er fügte an: „Dieser Film ist – leider! – ein Fantasyfilm. Es ist eine virtuelle Geschichte, weil es für mich die einzige Möglichkeit war, Zugang zur Vergangenheit zu bekommen. Immer, wenn man eine Geschichte anfängt zu schreiben, entsteht Fiktion. ,The Brutalist‘ ist all diesen Künstlern gewidmet, die ihre Visionen nie realisieren konnten.

Auf die Frage, warum Corbet diese Geschichte nicht als Miniserie erzählen wollte, sondern ihn als einen dreieinhalbstündigen Film auf 70mm geboren hat, sagte er: „Für mich ist Fernsehen kein Medium für Autoren, sondern ein Medium für Executives. Ich wollte Kino machen, in einem Format, das in den 1950er Jahren erfunden wurde. Das machte für mich am meisten Sinn, Zugang zu der erzählten Zeit zu bekommen.“

Für Hauptdarsteller Adrien Brody hat „The Brutalist“ einen besonderen Platz in seinem Herzen. Die Figur des Laszló Tóth habe sofort zu ihm gesprochen. „Erst einmal war der von mir verkörperte Charakter bereits im Drehbuch fantastisch geschrieben und gebaut. Ich hatte sofort eine Beziehung zu Laszló. Denn wie vielleicht einige wissen, hat meine Mutter, Sylvia Plachy, die Fotografin ist, eine ähnliche Erfahrung gemacht. Sie ist auch eine ungarische Immigrantin, ist 1956 während der ungarischen Revolution geflohen, kam wie Laszló als Geflüchtete in die USA, um dort von vorne anzufangen, setzte alles daran, ihren Traum zu verfolgen, Künstlerin zu sein – mit all den Auswirkungen, die es auf ihr Leben und auf ihre Kunst hatte. Hier habe ich viele Parallelen zu Laszló gesehen.“ Obwohl „The Brutalist“ Fiktion ist, fühle sich die Geschichte so echt an, so Brody weiter. „Das half mir dabei, in meine Figur zu schlüpfen, meine Figur echt werden zu lassen. Der Film soll nicht nur die Vergangenheit repräsentieren, sondern alle an die Vergangenheit erinnern.“

Corbet wurde wieder sehr emotional, als er darüber sprach, warum „The Brutalist“ für ihn so wichtig ist. „Ich hatte ein sehr dringendes Bedürfnis, diesen Film zu machen. Ich habe sieben Jahre daran gearbeitet und bin einfach nur allen Menschen dankbar, die gestern in den Pressevorführungen und heute bei der Premiere dreieinhalb Stunden ihrer Zeit herschenken.“ Zum Faktor Zeit und Lauflänge sagte der amerikanische Filmemacher: „Dieser Film tut alles, was uns immer eingebläut wird, nicht machen zu dürfen. Es ist so engstirnig, einen Film aufgrund seiner Laufzeit zu kritisieren. Das ist, als wenn ich ein Buch kritisiere, weil es 700 anstatt 100 Seiten hat. Ich habe tolle Kurzgeschichten gelesen, ich habe aber auch tolle mehrbändige Meisterwerke gelesen. Ich richte mich danach, wie viel Geschichte da ist, die erzählt werden muss. Vielleicht wird mein nächster Film 45 Minuten lang. Das sollte doch alles erlaubt sein. Sich in eine Schublade stecken zu lassen, in eine scheinbar passende Box, ist ziemlich dumm. Wir leben im Jahr 2024! Um mit Harmony Korines Worten zu schließen: Kino steckt im Geburtskanal fest. Dem stimme ich zu. Wir müssen dem Kino da raushelfen.“

Der Dreh auf Film war für alle Beteiligten etwas Besonderes. An das Geräusch der Kamera musste man sich erst gewöhnen. „Man arbeitet einfach mit echten Maschinen. Der Dreh auf Film ist ein sehr organischer Prozess“, so Guy Pearce, der im Film Lazlós den Mäzenen Van Buren spielt. „Es fühlt sich old fashioned an, was toll ist für einen alten Typen wie mich.“

Aus Venedig berichten Barbara Schuster & Thomas Schultze