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REVIEW VENEDIG: „Maria“

Pablo Larraíns Abschluss seiner Berühmte-Frauen-Trilogie mit Angelina Jolie als legendäre Operndiva Maria Callas.

Pablo Larraíns „Maria“ mit Angelina Jolie (Credit: Pablo Larraín)

CREDITS:
Land / Jahr: Italien, Deutschland, Frankreich 2024; Regie: Pablo Larraín; Drehbuch: Steven Knight; Besetzung: Angelina Jolie, Pierfrancesco Favino, Alba Rohrwacher, Haluk Bilginer, Kodi Smit-McPhee, Stephen Ashfield, Valeria Golino; Verleih: kdV; Start: nkT

REVIEW:

16. September 1977. Exakt einen Monat davor war Elvis Presley gestorben, an einem Herzinfarkt, als er auf dem Klo saß. Zwei Wochen später starb Marc Bolan von T.Rex, dessen Lebensgefährtin ihren Mini um einen Baum wickelte. Aber an diesem Tag, diesem 16. September, war es Maria Callas, die legendäre Operndiva, eine der großen und prägenden Gesangsstimmen des 20. Jahrhunderts, die ihr Leben aushauchte, 53 Jahre alt, allein in ihrer Pariser Wohnung in der Avenue Georges-Mandel Nr. 36. Das erste Bild von Pablo LarraínsMaria“ gehört diesem Moment. Durch eine der Flügeltüren hindurch blickt die Kamera auf das tragische Stillleben, die sterblichen Überreste der Callas bedeckt von einem weißen Tuch. Wir hören die Stimme von Maria Callas. Ihr „Ave Maria“ begleitet eine Montage aus Momenten und Szenen des Lebens von Maria Callas, Triumphe auf der Bühne, „La Traviata“, „Anna Bolena“, Blitzlichtgewitter bei Premieren, Homemovies mit Onassis auf dessen Yacht, nachgestellt auf unterschiedlichem Filmmaterial, Super 8, Schwarzweiß, Nachrichtenclips. Eine Ouvertüre, eine Einstimmung. Und mehr oder weniger alles, was man über die Biographie von La Callas erfahren wird.

Angelina Jolie spielt Maria Callas in „Maria“ (Credit: Fremantle)

Um die letzte Woche im Leben von Maria Callas wird es im Anschluss gehen in dieser Filmbiographie, die klassisch konstruiert und gestaltet ist, sich aber den Konventionen eines gängigen Biopics verweigert. Es ist kein Fresko, kein Ritt durch die Triumphe und Niederlagen, sondern ein zartes und zärtliches Psychogramm eines isolierten und gebrochenen Menschen, der kunstvolle Versuch einer Innenansicht, feinfühlig und feingliedrig, voller geschliffener und bissiger Dialoge aus der Feder von Steven Knight, der für Larraín bereits „Spencer“ geschrieben hatte. Und doch will der Film auch immer Oper sein, gibt er dem Publikum, was es sich erwartet, wenn es um eine Diva geht, die von einer Diva gespielt wird, Superstar und Oscargewinnerin Angelina Jolie, ein Film über Exzellenz, Disziplin und Perfektion, der nicht zurückschreckt vor großen Gesten und großen Emotionen. Und der dabei ganz schön auf die Tube und Tränendrüsen drückt, eine Sinfonie des Leidens, bisweilen fast aufdringlich griechische Tragödie.

Der Abschluss von Larraíns Trilogie über berühmte Frauen des 20. Jahrhunderts, die immer auch über die Männer ihres Lebens definiert wurden, ist ein Film, der zu Beginn von draußen nach drinnen blickt, der die Kamera zunächst langsam durch die Türen in die Raume fahren lässt, auf seine Titelheldin zu, auf Angelina Jolie in ihrer ersten Filmrolle seit „Eternals“ im Jahr 2021. Ein Film über Räume, die prachtvoll sind, voller teurer Möbel und Dekors, aber doch auch ein Gefängnis, ein Käfig, der die Titelfigur zusammensperrt mit ihren Gedanken und Erinnerungen und den beiden letzten Vertrauten, die sie zu diesem Zeitpunkt in ihrem Leben hat, ihr Diener Ferruccio und ihre Haushälterin Bruna, gespielt von Pierfrancesco Favino und Alba Rohrwacher. In vier Kapitel aufgeteilt – „La Diva“, „Important Truth“, „Curtain Call“ und „The End (Ascend)“ -, folgt man Maria Callas durch ihre letzten Tage, eine Frau, die seit Jahren nicht mehr aufgetreten ist, nur mit Hilfe von Tabletten durch den Tag kommt, nie die Trennung von Aristotle Onassis verwunden hat, der sie für Jackie Kennedy verließ, und von einem Arzt gewarnt wird, ihr Herz und ihre Leber seien so geschwächt, dass ihr Körper es nicht aushalten würde, wenn sie noch einmal versuchen würde zu singen. 

Vor ihrem geistigen Auge gibt sie ein imaginiertes Interview mit einem von Kodi Smit-McPhee gespielten Journalisten, der vielsagend den Namen „Mandrax“ trägt: Alles nur in ihrem Kopf, wie die vielen Erinnerungen, die aufpoppen. Real ist nur ihr Umgang mit den beiden Angestellten, die sich rührend um die launische und anfällige Frau kümmern, die von Angelina Jolie mit spürbarem Respekt und Zurückhaltung gespielt wird, aber immer auch in dem Wissen, dass Steven Knight ihr tolle Dialoge auf den Leib geschrieben hat und Pablo Larraín sie auch und gerade in den Szenen, in denen sie mit großen Männern der Zeit konfrontiert wird, mit Onassis und Kennedy, blendend aussehen lässt. Dass ihr gesamter Look erste Sahne ist, muss nicht betont werden. Mehr noch als die beiden Frauenfilme Larraíns davor, ist da ein fortwährender Austausch zwischen der Callas und der Jolie, befruchten sich die Hauptfigur und die Hauptdarstellerin gegenseitig in einem wunderbaren Zusammenspiel, in einer Symbiose, die nur möglich ist, wenn eine Diva eine Diva spielt. Darüber wird man sprechen. Und das sollte „Maria“ bei der Kinoauswertung – die in Deutschland gewährleistet ist – zu einem noch stärkeren Angebot machen, als es die beiden Filme davor ohnehin schon waren. 

Thomas Schultze