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REVIEW KINO: „Blink Twice“

Raffiniert-cleverer Thriller über eine scheinbar endlose Party auf der Privatinsel eines High-Tech-Milliardärs, die auf drastische Weise aus dem Ruder läuft. 

CREDITS:
O-Titel: Blink Twice; Land/Jahr: USA, 2024; Laufzeit: 102 Minuten; Drehbuch: Zoë Kravitz, E. T. Feigenbaum; Regie: Zoë Kravitz; Besetzung: Naomi Ackie, Channing Tatum, Alia Shawkat, Adria Arjona, Christian Slater, Simon Rex, Haley Joel Osment, Levon Hawke, Geena Davis, Kyle MacLachlan; Verleih: Warner Bros. Pictures; Start: 22. August 2024

REVIEW:
Man hat ja in den letzten Jahren im Kino gelernt, dass man einem Milliardär nicht über den Weg trauen darf. Was man schnell wieder vergisst, wenn er von einem sympathischen Charismatiker wie Channing Tatum gespielt wird. Dessen Besetzung ist einer der Clous von „Blink Twice“, dem vielleicht am heißesten erwarteten Regiedebüt des Jahres, erdacht, inszeniert und produziert von der übercoolen Schauspielerin Zoë Kravitz, der „Catwoman“ zu Robert Pattinsons „The Batman“, der hinreißend nerdigen Hauptdarstellerin der Serienadaption des Kultromans „High Fidelity“. Der Film, der ursprünglich „Pussy Island“ heißen sollte, was dann aber doch zu provokant für die Vermarktung gewesen sein soll, führt eine Gruppe junger Frauen auf die paradiesische Privatinsel eines weltbekannten Tech-Tycoons und lässt sie damit in eine Falle tappen wie Daniel Kaluuya in Jordan Peeles Schocker „Get Out“. Und es ist ein weiterer, unverschämter Clou des smarten Drehbuchs, das Kravitz gemeinsam mit ihrem „High Fidelity“-Co-Autor E.T. Feigenbaum verfasst hat, dass alles von Anfang an und schon im Trailer auf diesen Twist hindeutet. Die Frage ist nur, wie frau hier wieder herauskommt. 

Naomi Ackie in „Blink Twice“ von Zoë Kravitz (Credit: Zachary Greenwood / © 2024 Amazon Content Services)

Naomi Acki, die zuletzt in dem Biopic „Whitney Houston: I Wanna Dance With Somebody“ glänzte, spielt die frustrierte Aushilfskellnerin und angehende Naildesignerin Frida, die lustig naive Tierfiguren auf Fingernägel klebt und diese „A-nail-mals“ nennt, immer knapp bei Kasse ist und urlaubsreif. Sie soll bei einer Spendengala eigentlich Drinks servieren und dabei – dieses Mal – möglichst unsichtbar bleiben, verlangt ihr Chef, vor allem gegenüber dem superattraktiven und superreichen Gastgeber Slater King (Tatum), der eben noch im Prolog reumütig seinen Rücktritt als CEO des Konzerns wegen eines unverzeihlichen Falls von Machtmissbrauch verkündet hat. Frida hat andere Pläne, sie crasht mit ihrer Mitbewohnerin Jess (Alia Shawkat) den VIP-Bereich, fällt direkt vor Slaters Füße, der die Freundinnen spontan zu einem Trip auf seine Insel im Golf von Mexiko einlädt. Nach durchzechter Nacht landen sie mit einer feierfreudigen Entourage (unter anderem Christian SlaterHaley Joel OsmentLevon Hawke) und deren Dates – Survival-Show-Star Sarah (Adria Arjona), die coole Camilla (Liz Caribel) und Kiffer-Queen Heather (Trew Mullen) – in der unfassbar schönen und unglaublich symmetrischen Luxusvilla, wo bereits für alle Frauen die gleichen strahlend weißen Bikinis, Strandkleider, Abendroben bereit liegen und ein Parfüm mit dem verheißungsvollen Namen „Desideria“. Der Champagner fließt in Strömen, die Candlelight-Dinner, zubereitet von Slaters Freund Cody (Simon Rex) aus eigenhändig erlegtem Wild und Zutaten aus dem Selbstversorgergarten, hat mehrere Sterne verdient, die Bettwäsche eine Fadenstärke von tausendundirgendwas, es werden gezielt fantastische psychedelische Drogen eingeworfen, alle sind dauervaporisiert, lassen sich bereitwillig ihre Handys abnehmen, lächeln wie Flugbegleiterinnen in den 1960ern, bestätigen, dass sie einen Mordsspaß haben, und ignorieren alle Warnsignale, Paradiesfrüchte und Versuchungen, die Zoë Kravitz in jeder Einstellung bis an den Bildrand verteilt.

Die titelgebende Redewendung „Blinzle zweimal, wenn du in Gefahr bist“ ist Programm, der Film hört mit dem Augenzwinkern gar nicht mehr auf, über dem Produktionsdesign, das dem Farbschema von Stanley Kubricks „Shining“ folgt, liegt ein angsteinflößender Score von Chanda Dancy, jede Dialogzeile enthält eine Doppeldeutigkeit, die nichts Gutes ahnen lässt, und als Jess nach dem Biss einer Giftschlange spurlos verschwindet, will sich niemand daran erinnern, dass sie überhaupt da war. Frida muss sich eingestehen, dass die merkwürdigen Vorkommnisse nicht länger damit zu erklären sind, dass reiche Leute tun, was reiche Leute so tun, sie wird von expliziten Flashbacks heimgesucht, die sie an ihrem Geisteszustand zweifeln lassen. Trotz aller Ankündigungen trifft einen die Wahrheit, der sie schließlich ins Auge blicken muss, heftig und unvermittelt wie ein Schlag in die Magengrube. Es ist ein Schock, mit dem man so auf keinen Fall gerechnet hat, und der die „Spring Breakers“-Partystimmung in der zweiten Filmhälfte in blanken, blutdurchtränkten Horror verwandelt.

Kravitz lässt in ihrem Debüt viele Einflüsse durchscheinen, und es ist in der Tat ein Vergnügen zu sehen, mit welcher Chuzpe sie daraus ihre eigene Vision kreiert, den Zuschauer auf scheinbar vertrautes Psychothriller-Terrain führt und dann doch ganz woanders hin, in eine Realität, die über das Eat-the-Rich-Genre hinausgeht, einen wutentfesselten Kommentar zur #MeToo-Bewegung offenbart, eine brutale Abrechnung mit männlicher Macht und Gewalt. „Blink Twice“ ist wie das weibliche Empowerment des James-Brown-Hits „The Boss“, der den Ton des Soundtracks angibt und so stilsicher und subversiv ist wie der Rest des Films (und ironischerweise auch von Guy Ritchies in seinem „Lock, Stock and Two Smoking Barrels“ verwendet worden war), der seinen schrägen, verdrehten Humor bis zur atemberaubenden Schlusswendung beibehält, was sowohl Kravitzs Talent als auch dem Darstellerensemble zu verdanken ist. 

Manche Stars sprechen nicht mehr als drei Sätze, allein die Anwesenheit von Kyle Maclachlan als Psychotherapeut Dr. Rich ist ein Rätsel, Oscar-Preisträgerin und Gleichstellungsaktivistin Geena Davis sorgt für eine Art Subtext in der Rolle von Slaters Schwester und Assistentin, die ständig einen Stapel mysteriöser roter Geschenktüten fallen lässt. Die Rich Kids bemühen sich auf unterhaltsame Weise darum, nicht toxisch, sondern auf eine verspielt kindische Art hedonistisch zu wirken, während die weiblichen Charaktere klug genug sind, das Spiel mitzuspielen, weil allein Slaters Frage, ob sie sich auch gut amüsieren, wie eine Drohung wirkt. Channing Tatum verkörpert die psychopathische Creepiness seiner Figur so unheimlich natürlich wie deren geläuterte Aufrichtigkeit, doch die eigentliche Macht des Films ist die Dynamik, die sich zwischen Frida und der „Dschungelcamp“-Gewinnerin Sarah entwickelt. Vor allem Adria Arjona, die einen gerade erst in „A Killer Romance“ umgehauen hat, legt ein denkwürdiges komödiantisches Timing an den Tag und einen schier mitreißenden Vergeltungsdrang. Am Ende ist „Blink Twice“ auch eine Rachefantasie, die Zoë Kravitz so cool serviert, als hätte Quentin Tarantino bei ihrem Regiedebüt Pate gestanden.

Corinna Götz