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REVIEW KINO: „Alles Fifty-Fifty“

Beschwingte Sommerkomödie über einen Jungen im Italienurlaub, der zwischen seinen getrennten, sich fortwährend kabbelnden Eltern durchsetzen muss.

CREDITS:
Land/Jahr: Deutschland, 2024; Laufzeit: 109 Minuten; Drehbuch: Alireza Golafshan; Regie: Alireza Golafshan; Cast: Moritz Bleibtreu, Laura Tonke, David Kross, Axel Stein, Valentin Thatenhorst; Ramona Kunze-Libnow; Verleih: Leonine; Filmstart: 29. August 2024

REVIEW:
Alles ist „fifty-fifty“ in Alireza Golafshans neuer Kinokomödie, die zur Hälfte von einem Kind im sensiblen Alter der Vorpubertät, zur Hälfte von seinen geschiedenen Eltern handelt, und von einem Bademeister erzählt wird, der halb griechischer Philosoph, halb italienischer Gigolo ist. Er lernt Milan (Valentin Thatenhorst) und das geschiedene Anwaltspaar Marion (Laura Tonke) und Andi (Moritz Bleibtreu) in der Poollandschaft eines All-Inclusive-Tophotels in Apulien kennen, und dass die Familie trotz Trennung zusammen Urlaub macht, liegt eben an dem „Fifty-Fifty“-Sorgerecht, das die Erziehungsberechtigten im Sinne der Gleichberechtigung ausgehandelt haben. Es enthält allerdings einen gravierenden Rechenfehler, und damit nimmt die Geschichte ihren Anfang: Milan sei zu mindestens zwanzig Prozent gar nicht erzogen, erklärt die Schulpsychologin, die Marion und Andi ins Lehrerzimmer zitiert und mit Suspendierung droht, weil ihr Sohn eine ungehörige Feindseligkeit gegenüber Mädchen entwickelt habe. Die Eltern, die bei jeder Begegnung aneinandergeraten, als seien sie noch halbverheiratet, beschließen, mit vereinten Kräften das Erziehungsdefizit auszugleichen, die geplanten Ferien zusammenzulegen und gemeinsam mit Marions neuem Freund, dem Fitnesstrainer Robin (David Kross), in den Urlaub zu fahren.

„Alles Fifty-Fifty“ mit Moritz Bleibtreu und Laura Tonke (Credit: Leonine)

Milan gefällt die doppelte Aufmerksamkeit gar nicht, denn das Halb-Halb-System hat ihm einige Vorteile verschafft: Er behauptet ständig, das andere Elternteil hätte es ihm erlaubt, wenn er im Restaurant einen Espresso bestellt oder beim Essen auf sein Tablet starrt, und spielt Marion und Andi gnadenlos gegeneinander aus. Außerdem klafft da eine viel größere Bildungslücke, wie sich herausstellt: Er kann nicht schwimmen. Marion und Andi sind sich ausnahmsweise einig, das Problem muss gelöst und outgesourct werden, womit Paris, der Bademeister, ins Spiel kommt. Da dieser mehr an philosophischen Lehren interessiert ist und der verwöhnte Milan sich strikt weigert, seine Angst vor tiefen Gewässern abzulegen, lässt ihn Paris Trockenübungen am Beckenrand machen, lenkt seine Aufmerksamkeit auf das Wesentliche – und damit auf eine der wundervollsten Szenen des Films, in der eine Truppe Kinder wie aus einer anderen Welt aus dem Gebüsch kriecht, mit wehenden Fahnen, Kriegsbemalung und Batik-T-Shirts, einer Anführerin, die einem auf der Stelle das Herz bricht, und ihrem kleinen Bruder, der mit seiner dicken Brille direkt aus dem Pfadfinderlager von „Moonrise Kingdom“ oder „Stand by Me“ kommen könnte. Es riecht nach Abenteuer, Gefahr und tiefem Wasser, und Milan stellt fest, dass sich darin auch die Liebe verbergen kann. Sie heißt ausgerechnet Mila (Aennie Lade), verbringt die Ferien mit ihrer eigenen Patchworkfamilie, ihrem Vater Jens (Axel Stein) und Oma Elke (Ramona Kunze-Libnow) auf dem Zeltplatz nebenan, und von nun an mischt sich die subversive „White Lotus“-Atmosphäre des Adults-Only-Hotels mit herrlich wildem Summercamp-Feeling. Milan erlebt seine erste Sommerromanze und seinen ersten Liebeskummer, und seine Eltern kommen sich auch wieder näher, was weder ihm so richtig passt noch Robin, der sich seinen Urlaub ohnehin ganz anders vorgestellt hat.

Alles Fifty-Fifty“ geht mit Vorschusslorbeeren an den Kinostart, Alireza Golafshan wurde dafür bereits mit dem Bayerischen Filmpreis für die beste Regie ausgezeichnet. Es ist seine dritte Zusammenarbeit mit Wiedemann & Berg Film und zugleich der Abschluss einer Komödien-Trilogie nach „Die Goldfische“ und „JGA – Jasmin. Gina. Anna.“, beide erfolgreiche und erfreuliche Ausnahmeerscheinungen in der deutschen Wohlfühlkomödien-Landschaft. Wieder hat Golafshan selbst das Drehbuch geschrieben, er ist außerdem für den Schnitt verantwortlich, und der Film trägt noch mehr als die Vorgänger seine eigene Handschrift, selbstbewusst und in allen Details hochwertig inszeniert, mit einem großartigen, komödiantischen Timing, klug und scharf beobachteten Figuren und Themen, die nah am Puls der Zeit und gleichzeitig universell sind, und in diesem Fall die bislang wohl größte Zielgruppe ansprechen dürften – vor allem mit den „Zugpferden“ Moritz Bleibtreu und Laura Tonke, die schon in „Caveman“ ein Paar waren und ein perfekt eingespieltes Team sind. Man nimmt Laura Tonke, die so gut darin ist, die Sorgen und Nöte normaler erwachsener Frauen auszusprechen, auch die leicht hysterische, erschöpfte Helikoptermutter ab, ihre Schlagfertigkeit lässt Bleibtreu noch mehr um Worte ringen als in „Viktor bringt’s“, und im Zweifelsfall entzieht er sich jeder Aussage mit einem „Ich misch mich da nicht ein“. 

Dank Golafshans liebevollem Blick auf Menschen und ihre Schwächen haben seine Charaktere, all die Marions und Andis, eine Wahrhaftigkeit, in der man sich mitunter selbst wiedererkennt. Man hat das Gefühl, man hätte selbst Axel Steins alleinerziehenden Hippie-Rocker-Vater im Airbrush-Wolf-T-Shirt gerade erst an der Supermarktkasse oder in der ersten Reihe eines Tollwood-Konzerts gesehen. Ramona Kunze-Libnows Oma Elke ist selbst dann komisch, wenn sie nur mit ihrer Solariumbrille auf der Campingliege in der Sonne schwitzt. David Kross, der nicht müde wird, Moritz Bleibtreu mit „Herr Hauptkorn“ anzusprechen, bringt ein für einen Fitnesstrainer absurdes, körperliches Unbehagen mit, er ist wie im falschen Film, das fünfte Rad am Wagen und landet irgendwann auf einem aberwitzigen Slapstick-Niveau – so wie es in „Die Goldfische“ und „JGA“ ebenfalls die ein oder andere Figur gibt, die über die Stränge schlägt. Aber das ist gut für das Gleichgewicht einer Komödie, in der es auch um ernsthafte und tiefgründige Fragen geht. Marion und Andi müssen sich mit ihrer gescheiterten Ehe und zu hohen Erwartungen auseinandersetzen, was mehr auf Kosten statt zugunsten ihres Sohnes geschieht, doch der Film verliert in keinem Moment seine Leichtigkeit – und Valentin Thatenhorsts Milan nicht das unverschämt schelmische Grinsen. Er lässt alles mit Gelassenheit und Würde über sich ergehen, selbst die demütigenden Trockenübungen, man glaubt ihm den verwöhnten Snob genauso wie die kindliche Angst und Unsicherheit, und er ist am Ende nur ein kleiner Junge, der vor einem Mädchen steht und es bittet, ihn zu lieben. 

Ein- oder zweimal schlägt das Drehbuch noch einen Haken und findet noch eine weitere Wendung, weil es nicht damit getan ist, dass Milan endlich schwimmen kann, Marion und Andi müssen sich ebenfalls in tiefere Gewässer wagen und Berührungsängste mit anderen Menschen und Campingplätzen abbauen. „Alles Fifty-Fifty“ ist letztlich ein Coming-of-Age-Film, in dem Erwachsene erzogen werden und in dem ein Kind die Lücke zwischen seinen Eltern schließt, eine hundertprozentig wundervolle Sommerkomödie über Trennungen und Wiedervereinigungen und über Millennials, die verlernt haben, was schon der Vater des Bademeisters wusste: Man muss sitzen und aushalten, denn die Liebe braucht Zeit. (Insofern machen dann auch die leichten Längen im letzten Akt dieses schönen Films wieder Sinn.)

Corinna Götz