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REVIEW FESTIVAL: „Perfekt verpasst“

Höchste gelungene (anti-) romantische Komödie über zwei füreinander geschaffene einsame Seelen, die sich fortwährend verpassen.

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 8 x 30 Minuten; Regie: Sabine Boss, Nicolas Berse-Gilles; Drehbuch: Sebastian Colley (Headautor), Claudius Pläging (Headautor), Sintje Rosema, Fabienne Hurst; Executive Producer: Jule Everts, Anke Engelke, Bastian Pastewka, Philipp Käßbohrer, Matthias Murmann, Yannick Moll; Produktion: btf (bildundtonfabrik); Besetzung: Anke Engelke, Bastian Pastewka, Michael Wittenborn, Fritzi Haberlandt, Serkan Kaya; Plattform: Prime Video; Start: 15. August 2024

REVIEW:
Die Idee ist so pervers, so hintertrieben, dass man sie einfach lieben muss. Da schafft man es endlich, Anke Engelke und Bastian Pastewka erstmals gemeinsam für eine fiktionale Comedy-Serie zu gewinnen – und dann sorgt man qua gemeiner Prämisse dafür, dass sie sich über die (fast) gesamte Dauer nicht ein einziges Mal begegnen, sie immer haarscharf aneinander und damit auch an ihrem Glück vorbeischrammen zu lassen. Eine anti-romantische Comedy also, wenn man so will. In der es dennoch ganz arg um die Liebe geht, die Sehnsucht danach und um verpasste Chancen. In Grundzügen die Grundidee der schönen Hollywood-Komödie „Weil es Dich gibt“ von Peter Chelsom, aber noch ein entscheidendes Stück weiter gedreht, noch mehr auf die Spitze getrieben, eine Schicksalsmelodie, die aber ganz lieblich und mit leisen Zwischentönen gespielt wird und voller tiefempfundener Liebe für ihre Figuren ist, die immer weiter aufstehen, auch wenn es ihnen nicht unbedingt immer danach ist. 

„Perfekt verpasst“ mit Bastian Pastewka und Anke Engelke (Credit: Ben Knabe)

Weil die Comedy sich dann einerseits aus den Figuren entwickelt, die so punktgenau und fein gespielt werden von Pastewka und Engelke, wie man es sich von ihnen erwartet und erhofft, andererseits der Fun aber daraus entsteht, wie die Macher der Serie – Headautoren sind Claudius Pläging und Sebastian Colley; die weiteren Autoren sind Sintje Rosema und Fabienne Hurst – Situationen entwickeln, in denen es eigentlich unmöglich ist, dass sich die beiden Hauptfiguren nicht doch endlich begegnen, aber dann doch Dinge oder Situationen geschehen, die ein Zusammentreffen verhindern, obwohl es doch schier unmöglich erscheint, dass man sich in einer Kleinstadt wie Marburg nie über den Weg läuft. Ein bisschen wie die elaborierten Sterbesequenzen in den „Final Destination“-Filmen sozusagen, nur eben im Dienste bester Comedy, die das komplette Spektrum abdeckt, von hintergründigem Humor bis zu derbem Slapstick. 

Aber eben auch clever und klug dosiert, um ein Gegengewicht zu schaffen zu der bisweilen doch auch traurigen und durchgehend anrührenden Geschichte von Maria und Ralf, zwei einsame Seelen in Marburg, die an ihrem Alleinsein und verpassten Chancen zu leiden haben. Maria hat dreimal Heiratsanträge von Max, gespielt von Serkan Kaya, ausgeschlagen und kann jetzt nicht verwinden, dass er sie wegen ihrer besten Freundin Nikki – Fritzi Haberlandt mit viel komischem Talent – verlassen hat, mit der sie einst ihren Buchladen gegründet hatte. Ab und zu hat sie noch Sex mit Max und kompensiert ihr Singledasein ohne Freunde damit, dass sie versucht, am Leben ihrer irritierten Angestellten Sophie – ganz toll: Melodie Simina – teilzuhaben. Vor allem nagt an Maria, dass ihr eine einstmalige Studienfreundin ihrer Ansicht nach eine geniale Idee für einen Roman geklaut hat und nun an ihrer Statt die Lorbeeren abbekommt, während sie mit einer fortwährenden Schreibblockade zu kämpfen hat. Ralf, Inhaber eines Sportgeschäfts, in dem auch seine ältere Tochter arbeitet, will indes nicht wahrhaben, dass seine Frau ihn verlassen hat und seine beiden Töchter ihn zunehmend als tragische Figur sehen, wenn sie ihn denn überhaupt noch wahrnehmen: Fortwährend hadert er mit dem Schicksal und der Ungerechtigkeit des Lebens, wird obendrein mit seiner Sterblichkeit konfrontiert und fühlt sich längst als Fremder im eigenen Dasein. 

Was alles niemals so hätte sein müssen, wenn Maria und Ralf sich zehn Jahre vorher auf einer Kirmes getroffen hätten. Damit beginnt die Serie: Auf der einen Seite eines Fahrgeschäfts, das in hoher Geschwindigkeit tolle Loopings schlägt, sitzt er mit seinen drei besten Kumpels, mit denen er in einer Rockband spielt. Rücken an Rücken mit ihm sitzen Maria und Max, der die Gunst der Stunde nutzen will, um ihr seinen ersten Heiratsantrag zu machen. Als der Ride wegen einer Fehlfunktion auf dem höchsten Punkt steckenbleibt, greifen die beiden mit ihren Händen nach hinten und berühren sich. Zum ersten und vorerst einzigen Mal. Wäre alles anders für sie gekommen, wenn sie sich in die Augen hätten blicken können? Als Zuschauer weiß man jedenfalls, was sie nicht wissen: Sie sind füreinander geschaffen, sind die Richtigen füreinander. Wenn nicht ein kosmischer Zufall nach dem anderen verhindern würde, dass sie sich begegnen. „Perfekt verpasst“ zeichnet sich aus durch die geschickte Balance, wie Drama und Comedy sich hier förmlich umtanzen, ein elegant austarierter Pas de Deux, der das Drama nie bitter und die Comedy nie albern wirken lässt. 

Und Anke Engelke und Bastian Pastewka immer wieder Chance gibt, ihre Stärken auszuspielen, gleichzeitig aber wird den Nebenfiguren genug zu tun gegeben, dass auch sie immer mehr Kontur erhalten. Sehr bewegend ist Michael Wittenborn als Marias Vater, der wie Christopher Plummer in „Beginners“ im hohen Alter entdeckt, dass er eigentlich homosexuell ist. Und wenn Edin Hasanović in der dritten Folge einen kurzen Auftritt als Hundetrainer Hakan hat, hofft man, dass es nicht nur bei diesem einem Mal bleibt: Wenn er zu Maria sagt, gegenseitige Kommunikation bedeute „Senden und Empfangen“, dann fasst er kurz das Dilemma beider Hauptfiguren zusammen: Sie sind so sehr mit sich selbst und ihren Problemen beschäftigt, dass sie das Gespür für die Signale verloren haben, die die Außenwelt ihnen sendet. Wie es der Serie gelingt, das Publikum ganz unmittelbar teilhaben zu lassen, ist ein großes Geschenk. 

Thomas Schultze