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REVIEW FESTIVAL: „Micha denkt groß“

Die neue, in den Dialogen wieder improvisierte Gemeinschaftsproduktion von Lars Jessen, Charly Hübner und Jan Georg Schütte, „Micha denkt groß“, ist eine unterhaltsame Dramödie über ein ernstes Umweltproblem geworden, die zuerst ins Kino kommt und dann bei der ARD läuft.

Jan Georg Schütte und Charly Hübner in Micha denkt groß
Jan Georg Schütte und Charly Hübner in „Micha denkt groß“ (Credit: ARD Degeto/MDR/Florida Film/ Pandora Film/Thomas Leidig)

CREDITS:

Produktion: Florida Film – Maren Knieling, Lars Jessen; Regie: Lars Jessen, Jan Georg Schütte; Drehbuch: Lars Jessen, Christian Riedel, Jan Georg Schütte, Charly Hübner; Redaktion: ARD Degeto – Stefan Kruppa, MDR – Adrian Paul; Cast: Charly Hübner, Natalia Rudziewicz, Jördis Triebel, Ulrich Brandhoff, Peter Kurth, Annett Sawallisch, Bärbel Schwarz, Jan Georg Schütte; Kinostart: 22.8.24 (Pandora Film); TV-Start: vrs. Oktober 2024

REVIEW:

Der produzierende Regisseur Lars Jessen, der schauspielende Regisseur Jan Georg Schütte und der inzwischen auch gern Regie führende Schauspieler Charly Hübner sind ein eingespieltes Team bei Florida Film. Ihre erste intensive kreative Trio-Zusammenarbeit „Für immer Sommer 90“, die schnell aus der Hüfte geschossen in der Corona-Pandemie entstand und von einem Geschäftsmann handelte, der in die Provinz zurückkehrt, wurde mit Preisen überschüttet und hatte auch eine gute Einschaltquote im Ersten.

Die Drei legen jetzt auf dem Filmfest München mit der Weltpremiere „Micha denkt groß“ ihre neue gemeinschaftliche Arbeit vor, bei der auch Christian Riedel am wieder größtenteils improvisierten Drehbuch beteiligt war. Wieder spielt Charly Hübner einen Geschäftsmann, der die Provinz mit seinen Ideen heimsucht. Dieses Mal heißt die Figur Micha aus der Großstadt, der Erfinder eines der ersten süchtig machenden Internetspiele war und so vor Jahren zu einem gewissen Wohlstand kam. Er kehrt in seinen Heimatdorf in Sachsen-Anhalt zurück, um dort das Erbe seiner Eltern anzutreten, die ihm ein verfallenes Hotel hinterließen, das in seinem wilden Zustand von besseren Zeiten der Region erzählt.

Allerdings will er die Immobilie nicht nur verkaufen, sondern gleich eine Art Freizeitpark und Erlebnis-Kurstätte für überarbeitete Berliner Großstädter daraus machen. Dafür baut er auf die Unterstützung der skeptischen Dorfbevölkerung: Jördis Triebels Figur Tina, die den örtliche Aerobic-Kurs leitet und ihre Massagebank immer unter dem Arm dabeihat, soll im Service-Bereich beschäftigt werden, Peter Kurths Bauernfigur soll die regional produzierte Milch liefern. Vermehrt Probleme bei dem Projekt treten aber auf, als plötzlich das Wasser im Ort wegbleibt. Das versiegte Grundwasser gefährdet nicht nur das angedachte Luxusressort, sondern auch das Überleben der im Dorf Zurückgebliebenen.

Nur sechs Tage Drehzeit

Unter dem Arbeitstitel „Nichts mehr wie es war“ entstand „Micha denkt groß“ als Small-Talk-Gespräch über Wasserknappheit in Ostdeutschland zwischen Hauptdarsteller Charly Hübner und dem Programm-Redaktionsleiter der Degeto, Christoph Pellander. Daraus erwuchs in nur sechs Tagen Drehzeit eine unterhaltsame Dramödie mit teils beißendem Witz, die im August zuerst von Pandora Film ins Kino gebracht wird, bevor sie knapp zwei Monate später auch dank des MDR ins Fernsehen zur ARD kommt.

Im Zentrum der Geschichte steht der orientierungslose und titelgebende Geschäftsmann Micha, an dessen körperlichen Verfall Charly Hübner in der Darstellung sichtlich Spaß hatte. Er besteht eigentlich nur aus Werbe-Sprechblasen und einer Vertreter-Attitüde, die ihm in besseren Zeiten im Kapitalismus voranbrachte. Im Dorf trifft er damit aber auf echte Menschen, die ganz unterschiedlich auf seinen Größenwahn reagieren: Manchmal wollen sie ihm sogar glauben, unterstützen ihn mit Geld, während andere gerade in der Wassersituation zu erbitterten Konkurrenten um das nasse Element werden. Dabei sind die Figuren mit unterschiedlicher Sorgfalt gezeichnet. Während zum Beispiel Jan Georg Schüttes Reichsbürger-Verschnitt Bernd in seiner comichaften Eindimensionalität mit der Zeit eher anstrengend ist, holt Jördis Triebel dagegen wahnsinnig viel Lebendigkeit aus der Figuren-Skizze der gut gelaunten Fitness-Biene des Ortes heraus.

Dorfbürgermeisterin ist an Angela Merkel angelehnt

Die improvisierten Rede-Duelle werden abgelöst von majestätischen Drohnenflüge über das Land, das ähnlich wie Charly Hübners Figur immer stärker beschädigt gezeigt wird. Die Stoßrichtung des Projekts ist klar: Auf kurzweilige Weise auf einen ernstzunehmendes Umweltproblem aufmerksam zu machen. Mit der überforderten Bürgermeisterin Monika (Annett Sawallisch), die sich zur Motivation immer eigene Sprachnachrichten sendet, gibt es sogar eine optisch und in der Rhetorik an die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel angelehnte Figur, die einige der größten Lacher bei der Weltpremiere im Kinosaal generierte. Wenn „Micha denkt groß“ auch nicht das aufregende erzählerische Flirren von „Für immer Sommer 90“ erreicht, ist es auf jeden Fall eines der stärkeren Projekte des Trios Charly Hübner, Jan Georg Schütte und Lars Jessen, das immer dann am besten ist, wenn es mehr den eigenen Bildern als den Improvisationen vertraut.

Michael Müller