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Anna Oeller & Luisa Lioi: „Es braucht Partner mit Leidenschaft und Vertrauen“

Auf dem Filmfest München feiern die Bavaria-Fiction-Produktionen „Mein Kind“ und „Ungeschminkt“ Weltpremiere. Produzentin Anna Oeller und Producerin Luisa Lioi geben Einblick, wie die bewegenden Filme zu Leihmutterschaft, Ukrainekrieg und Identitätsfragen entstanden.

Anna Oeller und Luisa Lioi
Das Bavaria-Fiction-Duo Anna Oeller (l.) und Luisa Lioi (Credit: Sabine Wanderburg/Moritz Brucker/Bavaria Fiction)

„Mein Kind – МОЯ ДИТИНА“ feiert am 2. Juli um 17.30 Uhr Weltpremiere auf dem Filmfest München. Die Weltpremiere von „Ungeschminkt“ ist am 5. Juli um 20.30 Uhr. Über die beiden Projekte sprach SPOT mit Produzentin Anna Oeller und Producerin Luisa Lioi von der Bavaria Fiction.

Die Bavaria-Produktionen „Mein Kind“ und „Ungeschminkt“ sind nicht nur durch Sie beide und die Weltpremieren auf dem Filmfest München verbunden, sondern auch dadurch, dass sie jeweils gesellschaftlich relevante Themen behandeln. Gibt es noch weitere Verbindungen?

Anna Oeller: „Mein Kind“ und „Ungeschminkt“ behandeln zwei unterschiedliche Themen. Bei „Mein Kind“ sind es die Themen Leihmutterschaft und unerfüllter Kinderwunsch. Beides sehr berührend und betrifft beide Seiten: Das Ehepaar, das gerne Kinder will, aber keine bekommen kann wie auch die junge Ukrainerin, die das Kind austrägt. Bei „Ungeschminkt“ sind es auch die Schicksale, die unterschiedlichen Lebenswege hinter den Menschen, die wir erzählen. Wir wollen konkrete Geschichten von Menschen erzählen, bei denen es im Leben richtig zur Sache geht. Das ist unser genereller Antrieb, Filme zu machen.

Luisa Lioi: Beide Projekte zeichnen sich durch ein starkes Miteinander im Team aus. Jedes Projekt hatte zwar seine eigene Dynamik und unterschiedliche Drehvoraussetzungen, doch die Herangehensweise an Herausforderungen und die wertvolle Zusammenarbeit mit den jeweiligen Departments, mit der Regie, den Autor:innen und den Redaktionen war bei beiden Projekten besonders.

In „Mein Kind“ spielen Lisa Maria Potthoff und Maximilian Brückner ein Paar, das die Hilfe einer ukrainischen Leihmutter in Anspruch nimmt. Dann bricht der russische Angriffskrieg aus. Wer kam bei dieser Idee auf wen zu?  

Anna Oeller: Die Idee entstand vor zwei Jahren. Ich traf mich in München mit dem ZDF-Redakteur Matthias Pfeifer. Es war gerade Kriegsbeginn, über den wir natürlich auch sprachen. Matthias Pfeifer hatte zum Thema Leihmutterschaft bereits viel gelesen und sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. Ich erinnere mich gut an eine SZ-Geschichte, die Fotos von den Leihmüttern mit deren Babys in den Kellern von Kiew zeigte, die wegen des Krieges nicht abgeholt werden konnten. Wir entschlossen uns, darüber eine Geschichte zu erzählen. Es ist ein schweres Thema. Bei der Frage, wer es schreiben könnte, kamen wir ganz schnell auf Katrin Bühlig, die auch im Dokumentarischen arbeitet. Mit Christine Hartmann als Regisseurin waren wir zu diesem besonderen Projekt auch schon sehr früh im Gespräch. Die perfekten Voraussetzungen für uns. Es galt, mit aller Behutsamkeit und Sensibilität für alle Beteiligten zu erzählen. Jetzt laufen wir damit beim Filmfest München, was schon eine kurze Zeitspanne von der Entwicklung bis zur Fertigstellung des Filmes ist.

Maximilian Brücker und Lisa Maria Potthoff
Maximilian Brücker und Lisa Maria Potthoff in „Mein Kind“ (Credit: Alexander Fischerkoesen)

Was bedeutet Ihnen die doppelte Einladung zum Filmfest München?

Anna Oeller: Es ist immer eine Ehre, eingeladen zu werden. Ich bin dankbar, weil die Konkurrenz groß ist. Die Bavaria Fiction-Filme „Mein Kind“ und „Ungeschminkt“ sind jetzt meine Filme acht und neun, die beim Filmfest laufen. Das macht auch demütig. 2002 wurde ich zum ersten Mal mit „Hannas Baby“ eingeladen, den ich noch mit der ndF machte.

Luisa Lioi: Ich arbeite nun seit vier Jahren als Producerin bei der Bavaria Fiction. Das sind die Filme zwei und drei für mich, die beim Filmfest Premiere feiern. Bereits bei „Faltenfrei“, der 2021 auf dem Münchner Filmfest lief, habe ich mitgewirkt. „Mein Kind“ und „Ungeschminkt“ sind absolute Herzensprojekte, die sich besonders anfühlen. Nicht nur, weil es zwei aktuelle und wichtige Themen sind, sondern auch, weil es sehr emotionale und berührende Filme geworden sind. Es freut mich, dass sie durch die Premieren diese Aufmerksamkeit und Reichweite bekommen.

Wann war klar, dass Sie für die beiden deutschen Hauptrollen bei „Mein Kind“ die so prominente Besetzung von Lisa Maria Potthoff und Maximilian Brückner haben?

Anna Oeller: Uns war klar, dass wir „Mein Kind“ wegen des aktuellen Themas mit dem fertigen Drehbuch schnell umgesetzt bekommen wollten, weil auch überhaupt nicht absehbar war, wie lange der Ukrainekrieg noch geht. Wir alle hofften damals noch, dass der Krieg bald vorbei ist. Zusammen mit Regisseurin Christine Hartmann, unserem Casting Director Siegfried Wagner und dem ZDF war dann schnell klar, wen wir am liebsten besetzen würden. Wir drehten im September 2023, im Sommer standen Lisa Maria Potthoff und Maximilian Brückner fest.

Luisa Lioi: Der längere Casting-Prozess war für die Rolle der jungen ukrainischen Leihmutter Oksana. Uns war wichtig, dass die Figur von einer Ukrainerin gespielt wird. Wir begannen zunächst mit E-Castings und machten dann Live-Castings. Für Alina Danko wurde es die erste große Rolle im deutschen Fernsehen. Sie kam im Zuge des Krieges 2022 nach Salzburg und konnte dort am Mozarteum ihre Schauspielausbildung abschließen. In Graz spielte sie dann Theater. Jetzt steht sie gerade am Ernst Deutsch Theater in Hamburg auf der Bühne.

Die Rolle hat ein spezifisches Profil. Wie groß oder klein war die Auswahlmöglichkeit im Casting?

Luisa Lioi: Wichtig war es uns, den Castingprozess authentisch anzugehen und die Rolle der Leihmutter Oksana mit einer Ukrainerin zu besetzen. Siegfried Wagner trat bundesweit an Agenturen, Theater, Schauspielschulen und Theaterakademien heran, um ukrainische Schauspielerinnen zu finden. Wir casteten sowohl Schauspielerinnen, die schon länger in Deutschlang leben und arbeiten, als auch ukrainische Schauspielerinnen, die 2022 vor dem Krieg geflohen sind. So gingen wir auch bei der Suche nach der jungen ukrainische Filmtochter Nadja mit unserer Kindercasterin Anne Walcher vor.

War es möglich, Szenen, die in der Ukraine spielen, überhaupt vor Ort zu drehen?

Anna Oeller: Der Film spielt in drei Ländern:  Deutschland, Polen und die Ukraine. Einen Großteil davon haben wir in Zagreb abbilden können. Wir hatten aber auch einen Drehtag in München und einen Drehtag in Kiew mit einer Service-Produktion, die für uns in Absprache mit der Regie Szenen filmte. Als diese Bilder dann bei uns gegen Ende der Produktion ankamen, berührte uns das nochmal ganz besonders.

V.l.: Eva Mattes, Adele Neuhause und Hayal Kaya
V.l.: Eva Mattes, Adele Neuhause und Hayal Kaya in „Ungeschminkt“ (Credit: BR/Jacqueline Krause-Burberg)

„Mein Kind“ behandelt ein wichtiges, aber auch emotional nicht einfaches Thema. Wie war das im Hinblick auf Ihren zweiten Film „Ungeschminkt“, in dem Adele Neuhauser die Figur Josefa spielt, die früher Josef hieß und ins Heimatdorf zurückkehrt: Brauchte es dafür Überzeugungskraft für einen Primetime-Platz im Ersten?

Anna Oeller: Mit „Ungeschminkt“-Hauptdarstellerin Adele Neuhauser drehten wir zusammen unser erstes gemeinsames Projekt „Faltenfrei“. Ich liebe Adele Neuhausers Bibi im „Tatort“ sehr und so ist vor einigen Jahren die Idee entstanden, für Adele etwas Neues zu entwickeln. Das war mir ein Herzenswunsch. Daraus entstand dann „Faltenfrei“, geschrieben von Uli Brée und inszeniert von Dirk Kummer für den Bayerischen Rundfunk. Nach der TV-Ausstrahlung von „Faltenfrei“ hatte Uli Brée die Idee zu „Ungeschminkt“, die wir mit Claudia Simionescu beim BR besprachen. Ihr gefiel der Gedanke, eine weitere, ganz neue Geschichte für Adele Neuhauser zu entwickeln. Wir wussten, dass Adele diese Figur spielen kann und den Film tragen würde. Mit dem Regisseur Dirk Kummer war dann von allen Seiten viel Lust und Mut vor der Kamera. Es braucht immer Partner, die Leidenschaft und Vertrauen haben, in den Sendern, am Set und in der Firma.    

Luisa Lioi: Von Anfang an, war es uns wichtig, für dieses Projekt eine fachliche Beratung mit an Bord zu holen. Julia Monro kam als Beraterin für das Sensitivity Reading für LSBTI Themen dazu, als es bereits die erste Drehbuchfassung gab. Es fand ein enger Austausch mit uns, Uli Brée und Dirk Kummer statt, der Julia auch entdeckt und vorgeschlagen hat. In regelmäßigem Austausch gab sie uns ihren fachlichen, wertvollen Input zu den Figuren und dem Inhalt. Wir haben großen Wert darauf gelegt, die LGBTIQA+-Community möglichst authentisch abzubilden, da leider viel zu oft Filme aus einer cis-heteronormativen Perspektive gemacht werden, die der Lebensrealität von Betroffenen oft nicht gerecht wird und auch zu Diskriminierungen führen kann. Es war absolut hilfreich und wertvoll, eine Person zu haben, die weiß, auf welche Feinheiten und Haltungen von Figuren es ankommt.

Anna Oeller: Das ist ein Thema, bei dem jeder schnell Unsicherheiten hat, weil man sich korrekt und richtig verhalten will. Julia Monro war auch am Drehort zu Besuch und ist jetzt bei der Premiere auf dem Filmfest dabei. Es war eine schöne und bereichernde Erfahrung mit ihr zu arbeiten und sich auszutauschen.

Welchen Ton wollten Sie mit dem Film „Ungeschminkt“ treffen? Die Thematik zu Genderfragen ist ernst. Gerade aber im Schlussdrittel erreicht das Ganze eine gewisse Leichtigkeit in der Erzählung.

Anna Oeller:  Wir wollten sowohl der Ernsthaftigkeit des Themas gerecht werden als auch komische, ja auch absurde Momente einfangen. Uli Brée hat sehr viel recherchiert und da er ein großer Menschenkenner ist und ganz genau hinhört, hat er auch hier den richtigen Ton getroffen.

Was war bei beiden Produktionen die größte produzentische Herausforderung?

Luisa Lioi: Bei unserem Film „Mein Kind“ ging es auch darum, dass wir den Krieg und die Zerstörung der Ukraine miterzählen. Wie eingangs gesagt, gab es dazu auch einen Drehtag in Kiew. Wir arbeiteten aber auch mit Nachrichten- und Archivmaterial. Hier war es im Rahmen der Postproduktion eine echte Herausforderung, das ganze Material zu sichten, die richtigen Momente zu finden und die Rechte zu klären. Es sind und waren grausame und traumatische Bilder, die einem nah gehen und verfolgen.

Anna Oeller: Mit die größte Herausforderung bei „Ungeschminkt“ war die Suche nach unserem Hauptmotiv, dem Bauernhof. Idyllisch gelegen, aber nicht zu bayerisch pittoresk sollte er sein und gleichzeitig gut anfahrbar aus von München. Nicht einfach, aber unsere Szenenbildnerin Debora Reischmann hat auch hier tolle Arbeit geleistet. Und dann war da das Wetter, der Regen, der die Regie und uns alle immer wieder neu herausforderte.

Sie, Frau Lioi, sind seit sechs Jahren bei der Bavaria. Gibt es einen vorgezeichneten Weg, wann Sie von der Producerin zur Produzentin aufsteigen?

Luisa Lioi: Ich habe mit Anna Oeller eine sehr gute Zusammenarbeit. Deswegen arbeite ich gerne als Producerin. Ich freue mich aber auch, wenn ich als Produzentin arbeiten werde. Bereits in meiner jetzigen Position überlege ich, welche Themen mich umtreiben und welche Geschichten wir gerne erzählen wollen. Der Weg ist es, vielfältige Erfahrungen als Producerin zu sammeln, um dann eine gute Produzentin zu sein.

Anna Oeller: Ich glaube, dass Luisa eine gute Produzentin wird, weil ich weiß, dass sie das auch kann. Wir beide arbeiten seit vier Jahren zusammen. Es ist eine Arbeitsbeziehung auf Augenhöhe.  

Das Interview führte Michael Müller