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REVIEW KINO: „MaXXXine“

Abschluss einer verschlungenen Horrortrilogie, in der ein Pornostar Mitte der Achtziger Karriere als Schauspielerin machen will, während eine Mordserie die Stadt der Engel in Atem hält. 

CREDITS:
Land / Jahr: USA 2014; Laufzeit: 103 Minuten; Regie & Drehbuch: Ti West; Besetzung: Mia Goth, Elizabeth Debicki, Giancarlo Esposito, Kevin Bacon, Michelle Monaghan, Bobby Cannavale; Verleih: Universal; Start: 4. Juli 2014

REVIEW:
Als die MPAA 1970 im Streit um die Altersfreigabe um John Schlesingers „Asphalt-Cowboy“ befand, dass ein R-Rating nicht ausreiche für die traurige Großstadtballade um ein von Jon Voight gespieltes Landei, das nach New York City gekommen war, um als Callboy zu Wohlstand zu kommen, wurde das X-Rating erfunden. X für besonders erwachsene Filme, die Jugendliche auf keinen Fall zu Gesicht bekommen durften, um sie nicht sozial-ethisch zu desorientieren. Die Pornobranche reagierte umgehend und gab dem eigenen und weitaus expliziteren Content marktschreierisch den Tag XXX-Rated. Mehr erwachsen als erwachsen. Auf dieses auffällige Branding rekurriert nunmehr Ti West im Abschluss seiner mit „X“ und „Pearl“ begonnen Trilogie, die er mit seiner Muse Mia Goth, die Marlene Dietrich zu seinem Josef von Sternberg, ausgeheckt hat. Die Genealogie ist nicht ganz einfach: War „Pearl“ ein in den Zehnerjahren des letzten Jahrhunderts angesiedeltes Prequel zu dem in den Siebzigern spielenden „X“, das die Ursprünge von dessen greiser Killerin in den Mittelpunkt rückte, ist „MaXXXine“ jetzt eine Fortsetzung von „X“, in der die Folgegeschichte von dessen Heldin erzählt wird, eine Pornodarstellerin namens Maxine. 

„MaXXXine“ von Ti West (Credit: A24)

Von genau jener Schattenseite von Los Angeles erzählt „MaXXXine“, die von Van Halen in dem Song „Dirty Movies“ in ihrem Konzeptalbum „Fair Warning“ von 1981 besungen wurde: „Pictures on the silver screen / Greatest thing you’ve ever seen / Now her name is up in lights / Everything turns out all right“. Es ist Once Upon A Time in… Hollywood. Nur 16 Jahre später. Und eben nicht von Tarantino, sondern von Ti West, seinerseits ein Filmversessener, einer der die Textur des Kinos liebt, speziell des abseitigen, und intrinsisch in seine Erzählungen verwebt. Es ist ein Spiegelsaal, durch den West einen wandeln lässt, während er Maxine auch dann noch an ihrer Überzeugung festhalten lässt, sie sei zum Star bestimmt, wenn sich um sie die verstümmelten Leichen ihrer Freundinnen zu stapeln beginnen – was auch deshalb kein leichtes Unterfangen ist, weil das Hollywood der Achtzigerjahre Darstellerinnen aus der Adult-Branche mit der Kneifzange nicht anfassen will: Man sieht sich konfrontiert mit Paul Schraders Kino, mit „Hardcore“ und „American Gigolo“. Mit Brian De Palmas Kino, mit „Dressed to Kill“ und ganz besonders „Der Tod kommt zweimal“, für den der Regisseur tatsächlich den Pornostar Annette Haven hatte besetzen wollen, sich dann aber beim Studio die Zähne ausbiss und stattdessen Melanie Griffith engagierte. Mit dem Kino von Lucio Fulci, dessen „New York Ripper“ zitiert wird. Ein schmieriger Privatdetektiv mit aufdringlichem Südstaatenakzent wird von Kevin Bacon gespielt, der einst seine erste große Filmrolle in „Freitag der 13.“ gespielt hatte (Tom-Savini-Power) und dessen „Come out, come out, wherever you are“ De Niros Max Cady aus „Kap der Angst“ zitiert. Ein Angreifer, der den Frauen mit Klappmesser in einer dunklen Gasse auflauert, ist hergerichtet wie Buster Keaton. Und schließlich steht Maxine auf dem Universal-Studiogelände vor dem Bates-Motel und blickt nach oben zum Herrenhaus, wo sie eine ganz eigene Erscheinung hat. Film im Film in Filmen und immer weiter. „MaXXXine“ ist eine Fantasmagorie, die sich immer nur um sich selbst dreht. „Ein B-Movie mit A-Ideen“, wie es die von Elizabeth Debicki gespielte Regisseurin Elizabeth Bender formuliert. 

Und dann natürlich um seine Heldin und ihre Geschichte, die zwar in der Ahnenhalle des Kinos spielt, aber eben auch in einem realistischen Los Angeles des Jahres 1985, in das der Film nach einem Prolog eintaucht, ein Super-8-Film in Schwarzweiß, der Maxine Minx als Mädchen zeigt, das vor der Kamera das Lebenscredo ihres Vaters wiederholt, sich von nichts und niemanden aufhalten zu lassen. Das Setting ist stimmig. Heavy Metal wird vom PMRC als Teufelszeug vor Gericht geschleift, Dee Snyder von Twisted Sister setzt zu seiner berühmten Verteidigung seiner Kunstform an. In der Stadt treibt der Night Stalker sein Unwesen, der später als Richard Ramirez entlarvt wird, der von sich behaupten wird, im Auftrag Satans gehandelt zu haben. Könnte dieser Night Stalker hinter dem Verschwinden von Maxines Freundinnen stehen? „Until you’re known in my profession as a monster, you’re not a star.“ Das berühmte Zitat von Bette Davis steht „MaXXXine“ vor und stellt sogleich die Frage, wie weit die Titelfigur gehen wird, um sich ihre Träume zu erfüllen. Es ist ein Film von Ti West mit Mia Goth in der Rolle. Die Antwort liegt also auf der Hand: sehr weit. 

So viele schicke Gastauftritte es auch geben mag – Michelle Monaghan und Bobby Cannavale tauchen als L.A.-Cops auf, Giancarlo Esposito spielt den Manager und trägt eine Perücke, die man gesehen haben muss, um sie glauben zu können, Lily Collins lässt sich kurz in einem Albtraum in den Film schneiden -, Dreh- und Angelpunkt ist Mia Goth, die, wie wir in „X“ und vor allem „Pearl“ gelernt haben, in den Händen von Ti West über sich hinauswachsen kann. Und auch hier nicht enttäuscht, wenngleich sie ihre vormaligen Darstellungen nicht toppt, wenn sie in ihrem coolen Satinjacket und den engen schwarzen PVC-Jeans auf ihrer Suche nach Ruhm und Reichtum mit Verfehlungen der eigenen Vergangenheit konfrontiert und von einem Phantom mit schwarzen Lederhandschuhen, die ganz wundersam knarzen, wenn sie sich zu Fäusten ballen, gestalkt wird. Was wiegt schwerer? Dass ihr die Regisseurin Elizabeth Bender in ihrem neuen, kommerziell aussichtsreichen Trashwerk „The Puritan II“ die Hauptrolle anbietet – oder dass der verschollene Pornofilm, den sie in „X“ gedreht hatte, wieder aufzutauchen droht? Elisabeth Short sei auch nur deshalb berühmt geworden, weil sie als Mordopfer, als „Schwarze Dahlie“ in die Geschichte eingegangen sei, sagt eine Figur einmal wissend. Und gibt den Weg frei für einen Höllenritt durch, der unweigerlich am Hollywood-Zeichen enden muss, wo sich alle Träume erfüllen. Von Maxine Minx. Von Mia Goth. Von Ti West. Noch ein Van-Halen-Zitat zum Abschluss? Warum nicht? Es passt wie die Faust aufs Auge zu diesem Film, der „La La Land“ und „8MM: Acht Millimeter“ gleichermaßen umarmt und feiert: „This is home, well, this is Mean Street, it’s our home, the only one I know!“

Thomas Schultze