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REVIEW KINO: „A Quiet Place: Tag eins”

Prequel zu den erfolgreichen „A Quiet Place“-Schockern, in dem Lupita Nyong’o die Invasion der außerirdischen Killer mitten in New York City überleben muss.

CREDITS:
O-Titel: A Quiet Place: Day 1; Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 100 Minuten; Regie & Drehbuch: Michael Sarnoski; Besetzung: Lupita Nyong’o, Joseph Quinn, Alex Wolff, Djimon Hounsou, Thea Butler; Verleih: Paramount; Start: 27. Juni 2024

REVIEW:
Wie soll man eine ehrliche Besprechung schreiben, wenn einem beim Betrachten des Films gleich in der allerersten Szene der Verdacht beschleicht, sie könne sich um einen Spoiler handeln, um eine Schlüsselszene, die vorbestimmt, was im Folgenden passieren wird, die so schwerwiegend ist, dass alles Weitere danach unweigerlich in ihrem Schatten stattfindet? Vielleicht sollte man sich nicht so viele Gedanken machen. Michael Sarnoski hat sich mit seinem Vorgänger, dem raffinierten „Pig“ mit Nicolas Cage in der Hauptrolle, auf jeden Fall so viel Kredit verdient, dass man ihm vertrauen kann, dass er weiß, was er macht. Und dass er sich das vorher genau überlegt hat, dass man die Hauptfigur des Films, Samira, gespielt von der subtilen und feingliedrigen Oscarpreisträgerin Lupita Nyong’o, im Kreis mit wundersamen Alten in einem Sterbehospiz zeigt. Etwas später werden wir erfahren, dass sie nicht nur unsterblich krank, sondern ihre Uhr eigentlich schon abgelaufen ist, sie bereits auf geborgter Zeit lebt, von jedem Lebensmut verlassen: Die Verzweiflung und Angst steht ihr ins Gesicht geschrieben, wenn sie ihren Kater umarmt, ihren stetigen Begleiter, und dem entgegenblickt, was kommen mag. Eine Heldin, die nichts mehr vom Leben zu erwarten hat?

Lupita Nyong’o und Djimon Hounsou in „A Quiet Place: Tag eins“ (Credit: Paramount Pictures)

Es ist ein genialer Schachzug, dem Publikum gleich am Anfang den Boden unter den Füßen wegzuziehen, einen Hieb mitten in die Magengrube zu versetzen: Sofort ist „A Quiet Place: Tag Eins“ ein ganz anderer Film, als man es sich erwartet hätte, speziell nach den Trailern, die die apokalyptische Ankunft der lautstärkeempfindlichen Aliens in den Mittelpunkt rücken, die Action, die sich auf einer größeren Leinwand ausbreitet als in den ersten beiden „A Quiet Place“-Filmen, mit denen John Krasinski Paramount ein unerwartetes Franchise beschert und sich selbst als Goldjunge der Kinokassen in Stellung gebracht hat. Da steckt jetzt eben im Kern der albtraumhaften Szenerie ein, naja, ganz leiser Film, der parallel zu der lautlosen Reise Samiras durch ein verwüstetes New York noch von einer weiteren Reise erzählt. Nun könnte man meinen, dass die Anteilnahme des Zuschauers abnehmen würden, wenn man einer Sterbenden zusieht: Was soll schon passieren? Das Gegenteil ist der Fall: Mitzuerleben, wie Samira um jede Sekunde ihres Daseins kämpft, erhöht noch den Wert des Lebens: Gerade mit dem sicheren Ende vor Augen hängen wir daran. 

Samira war nur widerwillig mitgekommen auf den Ausflug ihres Hospizes in einem alten Bus nach Manhattan, ließ sich nur überreden, weil ihr Pfleger ihr vor der Heimfahrt eine Pizza auf die Hand versprach. Nun findet sie sich im Chaos der ersten Angriffswelle wieder, die Luft ist staubgeschwängert, zum Schneiden dick, man erkennt die Szenerie nur schemenhaft. „A Quiet Place: Tag Eins“ gelingen da Bilder von großem Schrecken und doch erhabener Schönheit. Danach gibt es kein Rückzugsgebiet mehr, die Bedrohung ist permanent, ein einziges Geräusch nur kann eine regelrechte Invasion der an den Wänden der Wolkenkratzer wuselnden Feinde auslösen. Der Banker Eric, gespielt von Joseph Quinn aus „Stranger Things“, in Kürze auch in „Gladiator II“ und als Johnny Storm im neuen „The Fantastic Four“, taucht aus einem überfluteten U-Bahn-Schacht auf und ist fortan Samiras Begleiter und mit der Zeit auch Vertrauter, wenn sie sich den Weg durch die Stadt bahnen, um an Bord eines der rettenden Schiffe zu gelangen: Alle Brücken sind gesprengt, die Außerirdischen können nicht schwimmen. 

Nun könnte man meinen, ein dritter Teil eines Franchise, auch wenn es sich um ein Prequel handelt, würde nicht unbedingt versuchen, neue Wege zu gehen, etwas Neues zu wagen, sondern Erreichtes zu verwalten, vielleicht leicht zu variieren, aber sonst: Nummer sicher! Man weiß, was kommt. Aber Michael Sarnoski hat sich nicht damit zufriedengegeben. Er behält die bekannte Prämisse – wer einen Laut von sich gibt, ist dem Tod geweiht. So weit, so bekannt. Aber er arrangiert den Rest neu, baut um die erschütternden Attacken der Aliens inmitten des Big Apple einen Film über einen Überlebenskampf, der sich anders anfühlt, anders schmeckt, eine andere Textur hat. Und vor allem etwas Anderes erzählt, eine Elegie in Nebel, Staub und Grau, zupackend und, schluck, poetisch zugleich, mit Anklängen an 9/11 (das staubverschmierte Gesicht von Lupita Nyong’o!), aber mehr als nur ein Stich ins Herz von New York City, sondern seine komplette Okkupation, seine Übernahme durch Horden von Außerirdischen. Am Schluss hören wir „Feeling Good“ von Nina Simone, wenn der Film endlich offenbart, was er die ganze Zeit über bereits erzählt hat. Der Song, den man auch am Schluss von Wim Wenders‘ „Perfect Days“ hört, auch ein Film über den Wert des Lebens. Aber ohne Außerirdische und nackten Horror.

Thomas Schultze