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Sektion „Wettbewerb CineMasters“: Zeit für Schwergewichte

Nur vom Besten, was das Filmfest München für seine Reihe „Wettbewerb CineMasters“ ausgewählt hat, darunter Preisträger aus Cannes und San Sebastián und überhaupt viel filmischer Stoff, der seiner Entdeckung harrt.

Payal Kapadias „All We Imagine As Light“ (Credit: petit chaos)

Die CineMasters tragen ihren Namen nicht von ungefähr: Hier versammeln sich auf dem Filmfest München die ganz großen Namen des Weltkinos und treten in den Wettstreit in den mit 50.000 Euro dotierten Preis. Kein Name dürfte klingender sein als der von Yorgos Lanthimos, letztjähriger Gewinner des Goldenen Löwen mit dem Arthouse-Hit „Poor Things“, der nicht einmal ein Jahr später wieder am Start ist mit einem neuen Film mit seinen „Poor Things“-Stars Emma StoneMargaret Qualley und Willem Dafoe plus Jesse Plemons und Hong Chau: „Kinds of Kindness“ (hier unsere SPOT-Besprechung) ist ein wilder Dreistünder, bei dem man wiederholt seinen Augen nicht trauen will, aber doch fortwährend feststellt, dass die Entscheidung der Cannes-Jury, Plemons als besten Darsteller auszuzeichnen, absolut gerechtfertigt war. 

Kurioserweise tritt auch der Gewinner der Darstellerpreises von Venedig bei den CineMasters an: Peter Sarsgaard wurde ausgezeichnet für seine erstaunliche Leistung an der Seite von Jessica Chastain in Michel Francos „Memory“ (hier unsere SPOT-Besprechung), der eine Liebesgeschichte aus einem Winkel hervorzaubert, die man beim besten Willen nicht erwartet hat. Aus Venedig tritt überdies „Holly“ von Fien Troch an, ein kleiner, aber jederzeit sehenswerter belgischer Film über ein unscheinbares Mädchen, das offenkundig Katastrophen vorhersehen kann. Aber zurück nach Cannes: Vom 77. Festival de Cannes stammt nämlich auch einer der (meiner Meinung nach) tollsten Filme des laufenden Kinojahres: Payal Kapadias „All We Imagine As Light“ (hier unsere SPOT-Besprechung) über drei Frauen, die in einem Krankenhaus in Mumbai arbeiten, gewann völlig zurecht den Großen Preis der Jury, hätte aber auch die Goldene Palme verdient gehabt. Im Wettbewerb von Cannes startete auch der erste Film von Jia Zhang-ke seit acht Jahren: „Caught by the Wind“ (hier unsere SPOT-Besprechung) ist ein faszinierender Remix der Arbeit des chinesischen Chronisten der Arbeiterklasse, der Material aus 25 Jahren völlig neu anordnet. Und noch ein Bringer aus Cannes, der das Premierenpublikum zum Toben brachte: Coralie Fargeats Body-Horror „The Substance“ (hier unsere SPOT-Besprechung) mit Demi Moore und Margaret Qualley ist ein verrückter, visuell exaltierter Ritt, an dessen Ende buchstäblich alles Blutsuppe ist. Holte sich in Cannes den Drehbuchpreis. „When the Light Breaks“ von Rúnar Rúnarsson zählte zu den Entdeckungen bei Un Certain Regard. 

Einen Hauptpreisgewinner eines europäischen A-Festival gibt es ebenfalls im Angebot: Nach seiner Weltpremiere in Toronto konnte das eindringliche Abtreibungsdrama „O Corno“ von Jaione Camborda in San Sebastián die Goldene Muschel gewinnen, ein ungewöhnlicher Film, der Weiblichkeit auf ganz eigene Weise deutet. „Sujo“ von Astrid Rondero und Fernanda Valadez wiederum gewann beim Sundance Film Festivl den Großen Preis der Jury und erzählt von einem Jungen, dessen Leben nach dem Tod seines Vaters, der für ein mexikanisches Drogenkartell arbeitete, in einer Spirale aus Gewalt vorbestimmt scheint. „Shadow of Fire“ markiert die Rückkehr des legendären „Tetsuo“-Regisseurs Shinya Tsukamoto, der mit diesem Film Premiere in der Reihe „Orizzonti“ in Venedig feierte. Dort ging der Hauptpreis an „Eine Erklärung für alles“ des ungarischen Filmemachers Gábor Reisz, der ein „bissiges und vielschichtiges Abbild eines gesellschaftlich gespaltenen Ungarns“ abliefert mit seiner Geschichte eines Hochschülers, der mit seiner Abschlussarbeit und seinen Gefühlen für ein Mädchen zu kämpfen hat. Und dann noch ein Highlight aus dem letztjährigen Wettbewerb in Venedig: „Frau aus Freiheit“ von Małgorzata Szumowska und Michał Englert, der 50 Jahre polnische Geschichte aus einem betont queeren Blickwinkel verfolgt. Lilith Stangenberg spielt die Hauptrolle in „Europa“, dem neuen Film der Österreicherin Sudabeh Mortezai, die vor sechs Jahren mit „Joy“ einen großen Wurf abgeliefert hatte. Und schließlich gibt es noch mit „100 Yards“ von Haofeng Xu und Junfeng Xuein furioses Martial-Arts-Spektakel aus dem China der 1920er-Jahre.

Thomas Schultze