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Tax Incentive – Die Zeit läuft ab

Die Politik muss bis zum Beginn des Produktionsjahres 2025 das versprochene steuerliche Anreizsystem verabschieden, um Deutschland wieder auf die Landkarte der internationalen Produktionswirtschaft zu bringen. Den technisch-kreativen Dienstleistern droht sonst eine Insolvenzwelle, wie VTFF-GF Achim Rohnke – begleitet von zahlreichen Stimmen aus dem Verband – in einem exklusiven Beitrag für SPOT media & film beklagt.

VTFF-Geschäftsführer Achim Rohnke (Credit: Michael Tinnefeld/VTFF)

„Operation gelungen, Patient tot.“ Diese bittere Pointe eines alten Ärztewitzes fällt einem bei der Betrachtung der aktuellen Situation der deutschen Film- und Fernsehindustrie unwillkürlich ein. Nach langem Zagen und einigen Verschiebungen hat das Bundeskabinett Ende Mai die von Claudia Roth, Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM), vorgelegte Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG) beschlossen. Zum 1. Januar 2025 soll das Gesetz in Kraft treten. Ein wichtiger Beschluss, soll doch mit der Reform des FFG alles „flexibler, effizienter und transparenter“ und der „deutsche Film deutlich gestärkt“ werden, um Claudia Roth zu zitieren. An weiteren für den Produktionsstandort Deutschland essenziellen Bausteinen der mehrsäuligen Filmförder-Reform wird jedoch mühsam gebastelt, u. a. an der Einführung eines Steueranreizmodells für große Film- und Serienproduktionen (Tax Incentive), nach dem die Branche geradezu lechzt. Hier liegen 16 Monate nach der Ankündigung durch die BKM nur „Diskussionsentwürfe“ vor, die intensiv innerhalb der Bundesregierung und mit den Ländern erörtert werden müssen. Mithin steht das Gesetzgebungsverfahren für die Einführung von Tax Incentives ganz am Anfang und hat noch nicht einmal das Reifestadium eines offiziellen Referentenentwurfes erreicht. Allein das Abstimmungsverfahren zwischen der BKM und dem für Steuermodelle zuständigen Finanzministerium dauert nun schon eine kleine Ewigkeit.  Dies alles in einer Situation, in der der „Patient“ deutsche Film- und Fernsehwirtschaft, speziell die technisch-kreativen Dienstleister, ums Überleben kämpfen. Kurz gesagt: der Dienstleisterszene, den Technik-Rentals, Kostümverleihern, Bild- und Ton-Postproductionern, VFX- und Virtuellen Studios droht eine Insolvenzwelle, wenn der Gesetzgeber nicht endlich Vollgas gibt, das Steueranreizmodell zum Produktionsjahr 2025 verabschiedet und den Dienstleistern so eine Perspektive für ein auskömmliches unternehmerisches Handeln gibt.

Technische und kreative Dienstleister in dramatischer Situation

Bereits 2023 war für die technisch-kreativen Dienstleister ein hartes Jahr, wie das Herbstbarometer des Verbandes der Technischen Betriebe Film- und Fernsehen (VTFF) zeigte, mit dem die wirtschaftliche Situation der Verbandsmitglieder jedes Jahr abgefragt wird. Schon damals bezeichneten 42 Prozent der befragten Unternehmen ihre wirtschaftliche Situation als „verbesserungswürdig“, 40 Prozent gar als „prekär“. Seitdem hat sich die Situation nicht verbessert, im Gegenteil. „Die Stimmung in der Branche ist so schlecht, wie ich sie in 25 Jahren noch nicht erlebt habe“, erklärt Frieda Oberlin, Head of Production bei der BASIS BERLIN Postproduktion, deren Lage noch gut ist. Die schlechte Auftragslage, immenser Kostendruck durch gestiegene Energie- und Lohnkosten, die allgemein schwache Konjunktur, die mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Film- und TV-Industrie aufgrund fehlender attraktiver Förderinstrumente haben sich zu einem perfekten Sturm zusammengebraut, in dem viele der technischen und kreativen Dienstleister Schaden nehmen oder gar unterzugehen drohen.

So hatte beispielsweise der Rückzug des Senders Sky Mitte 2023 aus der fiktionalen Eigenproduktion fatale Folgen. „Der Schritt von Sky hatte Signalwirkung“, erklärt Heiko Müller, geschäftsführender Gesellschafter der Wavefront Tonstudios in München. Die Nachfrage nach Content sei nahezu abgerissen. Nicht nur die privaten Sender, auch Streamingdienste wie Netflix oder Disney sowie die öffentlich-rechtlichen Sender fuhren und fahren ihr Produktionsvolumen nach unten. „Aus sechs Folgen für eine TV-Serie mach vier, aus vier zwei, aus zwei Null“, rechnet ein Filmstudiobesitzer das neue Einmaleins von ARD und ZDF vor. Im Mai wurde bereits der letzte frische „Tatort“ gesendet, die Renommierreihe und viele andere TV-Serien werden stattdessen immer öfter in die (Endlos)- Wiederholungsschleife geschickt. Gleichzeitig wandern viele, auch große Film- und Serien-Produktionen ins Ausland ab. Egal ob Tschechien, Ungarn, Luxemburg, Belgien, Österreich oder Großbritannien – während in Deutschland noch des Langen und Breiten über Anreizmodelle diskutiert wird, locken viele Länder rund um den deutschen Filmstandort mit attraktiven steuerlichen Anreizmodellen Film- und TV-Projekte an. „Die Fördersummen in Luxemburg und Belgien sind deutlich höher“, beschreibt Filmtonpostproduzent Stephan Colli aus Köln seine Erfahrungen.

Der Wettbewerbsdruck hat sich laut Achim Rohnke noch einmal „deutlich verschärft“. (Credit: VTFF)

Beispiel Österreich: Dort können Produzenten einen nicht rückzahlbaren Zuschuss in Höhe von 30 Prozent der förderfähigen Ausgaben geltend machen. Kombiniert man diese Förderung mit weiteren Fördermöglichkeiten, etwa für das „grüne Filmen“, kann man bis zu 40 Prozent Förderung der anfallenden Kosten erhalten – Produktionsbedingungen, von denen man in Deutschland nur träumen kann. Nicht zuletzt die öffentlich-rechtlichen Sender lassen immer mehr der aus Gebührengeldern finanzierten Produktionen im Ausland abwickeln, wie der VTFF wiederholt beklagt hat. 

Preisdumping, Kurzarbeit, Arbeitsplatzabbau

Die Möglichkeiten der zumeist kleinen und mittleren Dienstleister der Film- und TV-Wirtschaft auf die Krise im Inland und die Investitionsflucht ins Ausland unternehmerisch zu reagieren, sind begrenzt. Wer kann, folgt den Fördertöpfen und eröffnet Dependancen in Ländern mit attraktiven Fördermöglichkeiten. In Österreich soll es bereits zu Friktionen zwischen den „Platzhirschen“ und der eindringenden deutschen Konkurrenz gekommen sein. Die Werbefilmproduktion liegt wegen der allgemeinen Konjunkturflaute ebenfalls danieder, die Audio-Produktion, etwa im Bereich Podcast, bieten den Studios und Post-Productionern keine auskömmlichen Margen. „Das kompensiert nicht die alten Etats aus Film und Fernsehen“, erläutert Tobias Farshim, einer der Gesellschafter der Tonik Postproduktion in Hamburg. Mit einem entsprechenden „Notruf“ hatte sich der VTFF bereits vor Monaten an die Produzentenverbände und Sender gewandt.

„Es werden Preise aufgerufen, die nicht einmal kostendeckend sind.“

Frieda Oberlin

Die aktuelle Marktsituation hat für die technisch-kreativen Dienstleister der Film- und TV-Wirtschaft dramatische Folgen. So hat sich der ohnehin hohen Wettbewerbsdruck noch einmal deutlich verschärft. „Es werden Preise aufgerufen, die nicht einmal kostendeckend sind“, analysiert Frieda Oberlin von der Postproduction BASIS BERLIN. Preisdumping ist eine Folge, Kurzarbeit und Arbeitsplatzabbau, eine Verlagerung von Projekten Richtung Ausland sind weitere. Die ersten Dienstleister mussten schon den bitteren Weg in die Insolvenz antreten, andere stehen kurz davor. Diejenigen, die noch die Kraft haben in nachhaltige grüne Technologien, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, kurz in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu investieren, zögern – es fehlt die Perspektive, Investitionen auch zu amortisieren. Der Filmproduktionsstandort Deutschland mit seinen hochspezialisierten Ressourcen droht in Gänze dauerhaft Schaden zu nehmen!

Die Politik muss endlich etwas tun, um diese Spirale nach unten zu brechen. Vor allem Finanzminister Christian Lindner und die BKM Claudia Roth sind aufgefordert, sich zu verständigen und koordiniert zu handeln. Eine der tragenden Säulen der Reform der Filmförderung, eben das steuerliche Anreizsystem, muss spätestens im dritten Quartal 2024 alle gesetzgeberischen und parlamentarischen Hürden genommen haben. „Wir brauchen endlich Planungssicherheit“, fordert beispielsweise Mike Zimmermann, Chef der LichtHaus-Gruppe in Berlin. „Sonst geht auch das Produktionsjahr 2025 verloren.“ 

Tax Incentives bringen mehr Wertschöpfung

Nicht nur die Produzenten, auch die technisch-kreativen Dienstleister müssen bei Film- und TV-Produktionen in Zukunft Anspruch auf eigenständige, nicht gedeckelte Steuervergütungen haben. Nur wenn Studios, Postproduktionsfirmen, VFX-Dienstleister etc. für die durch sie akquirierten Produktionsumsätze diese Steuervergütungen geltend machen können, können sie – auch ohne Einbindung eines deutschen Koproduzenten – Projekte für neue Filme und Hochglanzserien direkt aus dem Ausland nach Deutschland holen. Nur so kann Deutschland den attraktiven Förderbedingungen der ausländischen Konkurrenz Paroli bieten. Die positiven Effekte würden über die Film- und Fernsehwirtschaft hinauswirken. Die Unternehmensberatung Deloitte hat in einer Studie im Auftrag des Branchenverbandes Bitkom ausgerechnet, dass für jeden durch das steuerbasierte Anreizmodell investierten Euro ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen von vier bis fünf Euro in Form von zusätzlicher Bruttowertschöpfung geschaffen wird. Am Ende rechnet Deloitte sogar mit einem Steuermehraufkommen. Das würde auch Finanzminister Lindner freuen.

Die erfolgte Zustimmung des Bundeskabinetts zum Filmförderungsgesetz (FFG) aus dem Hause Roth ist ein guter, ein wichtiger Schritt. Die Reform ist damit aber nicht beendet. Auch die von allen Marktpartnern geforderte Säule „Tax Incentive“ muss für das Produktionsjahr 2025 stehen. Sonst droht dem Patienten „deutsche Film- und Fernsehwirtschaft“ ein langes Siechtum. Oder Schlimmeres.