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REVIEW TV: „Festmachen“

Am 7. Juni startet in der ARD-Mediathek ein echter Serien-Geheimtipp. Die Miniserie „Festmachen“ mit Salka Weber als ehrgeizige Kapitänsanwärterin gehört schon jetzt zu den besten deutschen Formaten der Saison.

Salka Weber in der NDR-Serie Festmachen
Salka Weber als Kapitänsanwärterin Malika Machoy (Credit: NDR/Claudia Konerding)

CREDITS:

Produktion: Leitwolf Filmproduktion im Auftrag des NDR; Länge: 5x 25 Minuten; Produzentin: Anette Unger; Buch und Regie: Hilke Rönnfeldt; Redaktion: Philine Rosenberg und Ira Neukirchen; Cast: Salka Weber, Nils Rovira-Munoz, Nina Petri, Lea Willkowsky, Karsten Antonio Mielke, Sonja Richter, Jochen Nickel, Joy Ewulu, Magnus Mariuson, Peter Plaugborg, Meryem Ebru Öz, Start in der ARD-Mediathek: 7. Juni 2024; Start auf One: 7. Juni 2024 um 22.30 Uhr; Start im NDR: 10. Juli 2024 um 23.45 Uhr

REVIEW:

In einem sowieso schon überaus starken Jahrgang für ARD-Serien mit „Die Zweiflers“, „Player of Ibiza“, „30 Tage Lust“ oder „Herrhausen“ gesellt sich jetzt ganz unscheinbar die vielleicht mit schönste deutsche Serie des Jahres hinzu: Die bittersüße Miniserie „Festmachen“ über die junge Kapitänsanwärterin Malika Machoy (Salka Weber) entstand im Rahmen des Nordlichter-Programms des NDR. Mastermind hinter dem Projekt ist die junge deutsche Filmemacherin Hilke Rönnfeldt, die auch dänisch-isländische Wurzeln besitzt und bereits zweifach mit Kurzfilmen im Wettbewerb des Max-Ophüls-Preis-Festivals vertreten war. Start ist am 7. Juni in der ARD-Mediathek und auf dem Spartensender One.

Die Hauptrolle spielt die Wiener „Deadlines“- und „Oh Hell“-Durchstarterin Salka Weber, die in „Festmachen“ deutlich weniger glamourös oder schrill, sondern viel geerdeter daherkommt, was auch am Setting liegt: Hier spielt sie einen Ehrgeizling, der in die Arbeit vernarrt ist. Als Kapitänsanwärterin Malika ist sie Perfektionistin und glaubt fest an ihre Beförderung. Ihre Vorgesetzte sieht das allerdings ganz anders. Sie vermisst menschliche Dimensionen und Einfühlungsvermögen, die beim Führen einer Schiffscrew genauso wichtig wie die fachliche Kompetenz sind. Malika wird deswegen strafversetzt: Sie soll einen Sommer lang bei den sogenannten Festmachern am Bremer Hafen arbeiten und sich sozial bewehren.

Die Miniserie „Festmachen“ besitzt nur fünf eher 20 als 30 Minuten kurze Episoden. Regisseurin Hilke Rönnfeldt versteht es aber ausgezeichnet, so ökonomisch und auf den Punkt Handlungsbögen und Charaktere zu erzählen und gleichzeitig dem Format die Luft zum Atmen zu lassen. Denn das Sozialbiotop der Festmacher, die Schiffsleinen los- und festmachen, ist eine entschleunigte und idyllische Welt, in der es vor allem darauf ankommt, dass man sich auf den anderen verlassen kann. Das ist als Umfeld pures Gift für die aufstrebende Karrieristin, die eigentlich nur in Ich-Kategorien denkt.

Das Festmachen-Team
Fremdkörper in der eingeschworenen Gruppe der Festmacher (Credit: NDR/Claudia Konerding)

Die Geschichte an sich wirkt auf dem Papier wie ein altbackenes Hollywoodklischee: Eine egomane Aufsteigerin wird dazu gezwungen, sich in eine fremde Welt zu integrieren und lernt dabei den Wert des Menschseins schätzen. Aber es ist die Art, wie Hilke Rönnfeldt das Ganze mit Salka Weber im Zentrum inszeniert, was „Festmachen“ so aufregend werden lässt.

Wie sie Salka Weber in Räumen, Szenen oder der Natur isoliert und als Fremdkörper inszeniert, wie sie lieber Dialoge weglässt, wundervolle Atmosphären in der Hafenkulisse aufbaut, viel und gut über die Bildsprache inszeniert und wie durchscheint, dass diese Lernerfahrung im pittoresken Beruf der Festmacher gelebte biografische Hintergründe hat.

Bei den Festmachern trifft Salka Webers Figur der Kapitänsanwärterin auf eine eingeschworene Gemeinschaft, die eine wundervolle Chemie hat und die so uneitel und natürlich auftritt, dass man erst im Laufe der Folgen merkt, dass die Festmacherin mit dem zu dicken Lippenstift die große Nina Petri ist, die aber überhaupt nicht als Nina Petri auffällt, sondern sich organisch in die Gruppe an großartigen Schauspielern integriert hat.  

Am Bremer Hafen in Festmachen
Gesten zählen mehr als Worte in „Festmachen“ (Credit: NDR/Claudia Konerding)

Eine der besten Szenen der gesamten Serie ist, wenn Salka Webers vom Ehrgeiz zerfressende Figur einfach früh morgens bei aufgehender Sonne mit offenem Fenster im Dienstwagen am Hafen unterwegs ist, das erste Mal so etwas wie Lebensfreude ausstrahlt und ein Liedchen im Radio mitträllert. Ganz ohne Dialog. Nur pures Schauspiel, das lässig aus der Hüfte geschossen von der Kamera eingefangen wirkt. Regisseurin Rönnfeldt hat auch ein Talent dafür, teils nur angedeutete Beziehungen sinnlich und subtil über Blicke oder Handberührungen zu erzählen.

„Festmachen“ ist als Miniserie ein spannendes Charakterporträt, das zeitgemäß über die Probleme in der heutigen überspannten Arbeitswelt reflektiert. Es ist aber auch eine charmant liebenswerte Schilderung des selten in den Fokus gerückten Berufs der Festmacher am Bremer Hafen. Vor allem aber ist es eine Traumrolle für Salka Weber und eine cineastische Visitenkarte für Regisseurin und Drehbuchautorin Hilke Rönnfeldt, von der in der Zukunft bestimmt noch viel zu erwarten ist.

Michael Müller