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REVIEW KINO: „The Fall Guy“

Furiose Filmadaption der Kultserie „Ein Colt für alle Serie“, in der Ryan Gosling als Stuntman Colt Seavers nach dem spurlos verschwundenen Star seiner aktuellen Produktion fahnden muss.

CREDITS:
O-Titel: The Fall Guy; Land/Jahr: USA 2024; Laufzeit: 126 Minuten; Regie: David Leitch; Drehbuch: Drew Pearce; Besetzung: Ryan Gosling, Emily Blunt, Aaron Taylor-Johnson, Hannah Waddington, Stefanie Hsu, Teresa Palmer; Verleih: Universal Pictures; Start: 30. April 2024

REVIEW: 
Es ist nicht bar einer gewissen Ironie, dass Hollywood in den fünf Jahren von 1981 bis 1986, in denen Lee Majors für den Sender ABC auf dem kleinen Bildschirm als Stuntman Colt Seavers in 112 Folgen der launigen und zunehmend augenzwinkernden Serie „Ein Colt für alle Fälle“ unverdrossen Kopfgeldjagd auf flüchtige Verbrecher machte, auf der großen Leinwand die Kunst des Sommerblockbusters zunehmend verfeinerte und perfektionierte in der Hochglanz-Ära von Simpson/Bruckheimer und Amblin Entertainment. Denn abgesehen vom Titel sowie Namen und Beruf der Hauptfigur hat David Leitchs Adaption wenig zu tun mit der Serie, viel aber mit dem Unterhaltungskino jener Ära, das unbeschwertes Vergnügen versprach, auf Oberflächen, die zu einem Maximum an kommerziellem Hochglanz poliert worden waren.

Zunächst ist „The Fall Guy“ eine zutiefst romantische Liebeserklärung an die Profession des Stuntmans, der eben genau das ist, ein „fall guy“, ein Prügelknabe. Einer, der hinfällt und wieder aufsteht. Der den Kopf hinhält für andere, die sich in seiner harten Arbeit sonnen, während er abseits des Rampenlichts blaue Flecken und Prellungen zählt. Bevor er 2014 mit seinem Kompagnon Chad Stahelski sein Regiedebüt gab mit „John Wick“, war Leitch selbst einer der gefragtesten Kaskadeure im Geschäft, unter anderem als Double von Brad Pitt in fünf von dessen Filmen. Er weiß also, wovon er spricht und was er zeigt. Er kennt die Ängste und Nöte eines Stuntmans. Er kennt aber auch das Handwerk, weiß, was hinter einem Stunt steckt, wie sie organisiert und umgesetzt werden. Wenn Leitch nun also Ryan Gosling losschickt als Colt Seavers, dann sieht man keine moderne Version von Lee Majors, sondern eher eine idealisierte Version seiner selbst, einer, der sich in den letzten zehn Jahren mit den zunehmend selbstbewusst umgesetzten Erfolgsfilmen „Atomic Blonde“, „Deadpool 2“, „Hobbs & Shaw“ und „Bullet Train“ als versierter Handwerker und mehr und mehr auch als Actionvisionär einen so guten Markennamen gemacht hat, dass er nun seinem einstigen Berufszweig (und sich) das filmische Denkmal setzen kann, das es verdient. 

Und wieder eine Paraderolle für Ryan Gosling (Credit: Universal)

Dass David Leitch diesen Film als persönliches Statement empfindet, eine ganz private Leistungsschau, wie weit er gekommen ist als Filmemacher in den letzten zehn Jahren, stellt er gleich in der allerersten Szene von „The Fall Guy“, wenn er zum Einstieg Ryan Gosling als Colt Sivers in einer aberwitzigen ungeschnittenen Plansequenz vorstellt, wie er sich am Set seines neuesten Films in einem Fahrstuhl mehrere Stockwerke nach oben fährt, sich auf einer Empore verdrehten und anseilen lässt und schließlich rückwärts mit Blick in die Kamera in die Tiefe stürzt. Alles, was den Film ausmacht, steckt in dieser Szene, die Lust am Zeigen, die Freude daran, ans Äußerste zu gehen, der Spaß an purer Unterhaltung und der Fun, seine Schauspieler dabei immer so gut aussehen zu lassen, wie es Superstars eben gerne tun – der verschmitzte Meta-Kommentar ist immer gleich eingebaut. 

Gosling und an seiner Seite Emily Blunt haben sichtlich Spaß an dem selbstironischen Treiben. Wobei Aaron Taylor-Johnson, gerade erst in Leitchs „Bullet Train“ zu sehen und aktuell hochgehandelt als potenzieller neuer Bond, sich am meisten aus dem Fenster lehnt als Hollywoodstar Tom Ryder, ein selbstverliebter Gockel, wie er im Buche steht, immer nur auf seine Erscheinung bedacht. Um ihn wird es bald schon gehen in der Rahmenhandlung des Films. Aber erst einmal folgt man Colt Seavers bei seiner ganz persönlichen Höllenfahrt: Besagter Stunt in der Eröffnungssequenz geht schief, Colt steigt mit gebrochenem Rücken und Selbstbewusstsein aus der Filmszene aus, nimmt dabei auch in Kauf, die Entfremdung von der von ihm geliebten Regieassistentin Jody Moreno nimmt er in Kauf, arbeitet als Einparker für ein mexikanisches Restaurant. 

Erst die Anfrage, ob er nicht bei Jodys Regiedebüt für einen verhinderten Stuntman einspringen wolle, löst ihn aus der Schockstarre. Er tritt an, um seinen ramponierten Ruf wiederherzustellen und Jody zurückzugewinnen, erlebt dabei einen Rückschlag nach dem anderen, einer spektakulärer und lustiger in Szene gesetzt als der andere, und muss schließlich eingreifen, als Tom Ryder spurlos verschwindet und die gesamte Produktion auf dem Spiel steht. Alldieweil dreht David Leitch an der Schraube, fährt das gesamte Arsenal auf, was Stuntmänner und -frauen zu leisten in der Lage sind. Und doch ist es nie Selbstzweck, nie Nummernrevue, nie Schaut-mal-her-was-wir-alles-können-ohne-Hände-ohne-Zähne. Anhand der Stuntsequenzen lässt sich Colts Kampf zurück aus der Talsohle ablesen. Ryan Gosling, der hier noch komischer ist als als Ken in „Barbie“, ist wunderbar, wie er anhand seiner schieren Körperhaltung bei den Stunts von der Genesung seiner Figur erzählt. Und auch hier unmögliche Jacken trägt, die definitiv nur an ihm gut aussehen.

Dass dabei auch noch die Liebesgeschichte funktioniert, die Chemie zwischen Gosling und Blunt so perfekt funktioniert, ist das Tüpfelchen auf dem I. Wenn sich die beiden Stars küssen und im Hintergrund in den schönen Kulissen von Sydney Explosionen und Feuerwerke abgebrannt werden, dann ist das immer auch Ausdruck ihres Gemütszustands. Diese Liebe ist HEISS. Das ist der wahre Triumph von David Leitch: Action ist schon immer sein Metier, der menschliche Körper als frei verbiegbare Leinwand. Nun schlägt erstmals auch ein Herz in einem seiner Filme, entdeckt man erstmals Menschen und nicht Figuren in den atemberaubenden Tableaus, die er entwirft wie kein Zweiter (abgesehen von Chad Stahelski, der gleich zu Beginn auf einen Gastauftritt vorbeischaut), so offensichtlich liebevoll und einer Aufmerksamkeit für Details, die regelrecht fetischistisch ist. „The Fall Guy“ ist das, was Hollywood einmal am besten konnte: unbeschwerter, beschwingter, hedonistischer Fun. Wenn am Schluss „The Unknown Stuntman“ ertönt in einer modernisierten Fassung, muss man neidlos anerkennen: Diese Wiedergeburt ist gelungen. Mehr als gelungen. 

Thomas Schultze