Login

REVIEW KINO: „Bon Schuur Ticino“

Augenzwinkerndes Schelmenstück über einen einfachen Polizisten, der im Kanton Tessin eine Widerstandsgruppe ausheben soll – der erfolgreichste Schweizer Film des Jahres 2023.

CREDITS:
Schweiz-Verleih: DCM; Land/Jahr: Schweiz 2023; Laufzeit: 88 Minuten Regie & Drehbuch: Peter Luisi; Besetzung: Beat Schlatter, Vincent Kucholl, Catherine Pagani, Pascal Ulli, Leonardo Nigro

REVIEW:
Das Tessin erklärt dem Rest der Schweiz den Krieg, nachdem in einer Volksabstimmung bestimmt wurde, dass im Land der Eidgenossen künftig nur noch eine Sprache gesprochen wird, und zwar Französisch. Das ist nicht nur eine simple, sondern auch eine denkbar griffige Prämisse für eine Kinokomödie in zerstrittenen Zeiten und Anlass genug für (fast) alle Schweizer, in die heimischen Kinosäle zu strömen, ob im jeweiligen Eck des Landes nun Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch gesprochen wird: Mehr als 200.000 Tickets konnten bereits abgesetzt werden für das Schelmenstück, ein moderner „Soldat Schweijk“, im dortigen Verleih von DCM – ein Sensationserfolg wie unlängst in Österreich mit Thomas Stipsits’ „Griechenland“, der Topumsatzbringer 2023. Was auch heißt: ein Selbstläufer im Heimatland, vermutlich eher gewöhnungsbedürftig für ein Publikum in Deutschland. Es sei denn, ein findiger deutscher Produzent findet einen schönen Ansatz für ein Remake. Warum sollte man nicht darüber lachen können, wenn per Dekret entschieden würde, dass in Deutschland künftig Plattdeutsch gesprochen wird und Bayern den Aufstand plant?

„Bon Schuur Ticino“ sorgte für turbulente Unterhaltung (Foto: DCM)

In ihrer zweiten engen Zusammenarbeit nach „Flitzer“ aus dem Jahr 2017, bei dem Regisseur Peter Luisi und der in der Schweiz ungemein beliebte Kabarettist Beat Schlatter schon einmal in der Konstellation zusammengearbeitet hatten, dass Luisi das Drehbuch für eine augenzwinkernde Satire nach einer Idee Schlatters schrieb (nachdem die beiden im Kino erstmals schon bei „Der Sandmann“/„Ein Sommersandtraum“ aus dem Jahr 2011 miteinander zu tun hatten), legt das gut aufeinander abgestimmte Erfolgsduo in jedem Fall schon einmal ein gut funktionierendes Gerüst vor, mit dem sich jederzeit arbeiten lässt, und das so sympathisch und witzig ist, dass sich die Kinosäle in der Schweiz biegen vor Lachen. Der kompakt 88-minütige Film verschwendet auch keine Zeit, um in medias res zu gehen. Gleich in den ersten Szenen strengt der fadenscheinige Politiker Bachmann besagtes Referendum an, dass das gesamte Land sprachlich einen soll, aber doch nur einen tiefen Keil in die Gesellschaft treibt.

Der liebenswerte Bundespolizist Egli rückt in den Mittelpunkt der Handlung, gespielt von Beat Schlatter als ultimative Identifikationsfigur: Normaler geht nicht als der brave Beamte, der selbst seine liebe Not hat, sich mit der französischen Sprache anzufreunden. Schließlich wird er mit einem Kollegen vom Geheimdienst in den Kanton Tessin geschickt, um eine Widerstandsgruppe auszuheben, die sich nicht länger vom Staat gängeln lassen will und den „Schweizit“ plant: einfach den Gotthardtunnel sprengen und die Unabhängigkeit erklären. Der Witz ist, dass die Revoluzzer so gar nicht dem gängigen Klischee eines Freiheitskämpfers entsprechen wollen, sondern auch ganz normale Typen sind und Egli sein Herz an die sympathische Gastwirtin Francesca verliert, was ihn zusehends in die Bredouille bringt: Pflichterfüllung oder Überzeugungsarbeit?

Worauf die Handlung hinausläuft, mag jeder ahnen, der schon mehr als fünf Komödien in seinem Leben gesehen hat. Aber wie „Bon Schuur Ticino“ seinen Weg geht, ist entscheidend, der liebevolle Blick auf die widerborstigen aber aufrechten Menschen und das pure Vergnügen an der babelhaften Sprachverwirrung: Alle Schweizer Sprachen und diverse Mundarten kommen zu ihrem Recht in dieser turbulenten Klamotte. Und natürlich schlägt die Story dann auch noch ein paar geschickte Volten, um die zusammenführen zu können, die auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Allen voran natürlich Beat Schlatter in einer Doppelrolle – neben Egli spielt er auch den Antagonisten Bachmann, in dessen Haut Egli in einem entscheidenden Moment schlüpfen muss. Ebenso gefallen Catherine Pagani als Francesca und Vincent Kucholl als Kollege an Eglis Seite, der als Geheimdienstmann über die eine oder andere doch sehr überraschende Eigenschaft verfügt. Umgeben hat Peter Luisi diese Drei mit einem Ensemble griffiger und schriller Typen, nicht zuletzt Eglis lebenslustige Mama, die von Anfang an auf der Seite der Aufständischen steht. Man ahnt schnell, warum „Bon Schuur Ticino“ an den Kinokassen funktioniert. Es werden nicht filmisch Bäume ausgerissen und keine Bilder für die Ewigkeit komponiert – es ist Sehnsuchtskino, das in schwierigen Zeiten für Zusammenhalt plädiert und gleichzeitig Schweizer Individualität feiert, wie das nur klugem Mainstreamkino gelingen kann. 

Thomas Schultze