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REVIEW KINO: „Touch“

Isländische Bestsellerverfilmung über einen an Demenz erkrankten Koch, der noch einmal eine Weltreise antritt, um die Rätsel seiner Vergangenheit zu klären.

CREDITS:
O-Titel: Touch; Land/Jahr: Island, 2024; Laufzeit: 120 Minuten; Regie: Baltasar Kormákur; Drehbuch: Ólafur Jóhann Ólafsson, Baltasar Kormákur; Besetzung: Egill Ólafsson, Kōki, Pálmi Kormákur, Masahiro Motoki, Yoko Narahashi, Meg Kubota, Ruth Sheen; Verleih: Universal Pictures; Start: 11. Juli 2024

REVIEW:
Mit dem schrägen, schwarzhumorigen Festivalhit „101 Reykjavík“ gelang Baltasar Kormákur 2000 ein fulminanter Karrierestart, er verschaffte dem isländischen Kino international Beachtung und sich selbst schon bald darauf ein Ticket nach Hollywood. Während er dort mit Action-Thrillern wie „Contraband“ und „2 Guns“ keine großen Spuren hinterließ, bewies er ein beeindruckendes Gespür für bildgewaltige Survival-Dramen. Seine bislang erfolgreichste Produktion, das 3D-Bergsteigerepos „Everest“ mit Jason Clarke und Jake Gyllenhaal, spielte weltweit über 200 Millionen US-Dollar ein, gefolgt von „Die Farbe des Horizonts“ mit Shailene Woodley als Weltreisende, die auf einem Segelboot im Pazifik einen Hurrikan überlebt, und „Beast – Jäger ohne Gnade“ mit Idris Elba, der seine Kinder in Südafrika vor Löwen rettet. Auch in seinem neuen Film begibt sich der Protagonist auf eine abenteuerliche Odyssee, aber „Touch“ kommt ganz ohne Naturgewalten und ohne internationale Starbesetzung aus. 

„Touch“ mit Egill Ólafsson und von Baltasar Kormákur (Credit: Baltasar Breki Samper / © 2024 FOCUS FEATURES LLC)

Die Lovestory basiert lose auf dem preisgekrönten Bestsellerroman „Berührung“ von Ólafur Jóhann Ólafsson, der gemeinsam mit Kormákur das Drehbuch verfasst hat, und sie beginnt im Frühjahr 2020 mit der Covid-19-Pandemie. Der verwitwete Koch Kristófer schließt zum letzten Mal die Tür zu seinem Restaurant in Reykjavík. Nicht nur der bevorstehende Lockdown zwingt ihn in den Ruhestand: Er ist an Demenz erkrankt, sein Arzt hat ihm geraten, sich dringend um möglicherweise unerledigte Dinge in seinem Leben zu kümmern. Tatsächlich gibt es einen Ort und eine Zeit in seiner Vergangenheit, die er gerne zurückholen würde: 1969 studierte er an der Universität in London und verliebte sich in die Japanerin Miko, deren Vater das kleine Lokal betrieb, in dem er als Tellerwäscher jobbte – bis sie plötzlich von einem auf den anderen Tag auf mysteriöse Weise verschwand. Schon einmal hat sich Kristófer vergeblich darum bemüht, die Familie ausfindig zu machen. Nun beschließt er – wann, wenn nicht jetzt – die Spur wieder aufzunehmen: Er trotzt der Virus-Panik und bucht kurzerhand einen One-Way-Flug nach England. Dort findet er Anhaltspunkte für seine Suche, die ihn schließlich nach Tokio und weiter nach Hiroshima führt.

„Touch“ ist ein ernsthafter, bedrückender Film, dem eine zutiefst traurige Wahrheit zugrunde liegt, und der in gewisser Weise auch wieder davon handelt, wie Menschen mit Extremsituationen umgehen – mit einer unheilbaren Krankheit, mit Vereinsamung oder eben mit einer weltweiten Pandemie. Es gibt ein paar aufheiternde Szenen, in denen Hotelangestellte aufgeregt mit Desinfektionsmittel herumwedeln, der Hauptdarsteller muss andauernd dazu aufgefordert werden, bitte die Maske über den Mund zu ziehen (und die Nase, möchte man am liebsten hinzufügen), und verwaiste Speisesäle und menschenleere Straßen rufen Momente ins Gedächtnis, die aus heutiger Sicht beinahe nostalgisch anmuten. Überhaupt wirkt vieles so, als sei die Nostalgie der Virus, der alles befallen hat. Ein grobkörniger Melancholie-Filter und schwermütige Klaviermusik liegen über den Rückblenden, die mindestens die Hälfte des zweistündigen Dramas ausfüllen. Als Kristófer (gespielt von Sänger und Schauspieler Egill Ólafsson) in London den Ort aufsucht, an dem er sich fünfzig Jahre zuvor verliebt hat, und an dem sich nun, natürlich, ein Tattoostudio befindet, lässt er die damalige Zeit Revue passieren. Die verbrachte er fast ausschließlich in dem malerischen Restaurant „Nippon“ und seinem idyllischen Hinterhof, während draußen Studentenunruhen tobten, John und Yoko miteinander ins Bett gingen, und Miniröcke für Aufsehen sorgten – Ereignisse, die im Film wie Schlagwörter fallen, als hätte das Drehbuch eine Verstrickung mit historischen Meilensteinen im Sinn. Aber dieser rote Faden verläuft im Sand wie das Erinnerungsvermögen der Hauptfigur.

Mehrfach wird konstatiert, dass er das Interesse verloren hat – wenn der junge Kristófer (verkörpert vom Sohn des Regisseurs, Pálmi Kormákur, in seiner ersten Kinorolle) gefragt wird, warum er sein Studium und sein aktivistisches Engagement aufgegeben hat, ist genau das seine Antwort. Ihn ziehen künstlerische Dinge an, nicht politische Kämpfe – die Poesie, die er in der japanischen Kultur entdeckt und im Gesicht von Miko (Model und Sängerin Kōki). Er ist eine zarte Seele, sagt ihr Vater Takahashi (Masahiro Motoki), der sich seiner annimmt, der aber gleichzeitig Kristófers Beziehung zu seiner Tochter verhindern will. Miko ist wie ein Mysterium, eine selbstbewusste, moderne junge Frau, die den schüchternen Studenten regelrecht verängstigt, bis er vom Schicksal ihrer Familie und von ihrer Flucht aus Hiroshima erfährt. Schon kurz darauf ist sie wieder verschwunden wie eine verpasste Gelegenheit, die seinem Leben womöglich eine andere Richtung gegeben hätte. So nimmt Kristófer offenbar einfach alles weiterhin so, wie es sich ergibt – wie den Tellerwäscher-Job, wie seinen späteren Beruf als Koch, oder wie das Tattoo, das er sich als alter Mann stechen lässt. Als er einen Concierge bittet, Nachforschungen für ihn anzustellen, wundert man sich ein wenig, warum jemand, der bis vor kurzem ein Restaurant geführt hat, nicht selbst aktiv wird, zum Telefon greift oder Google befragt. 

Es gibt einige Rätsel im Drehbuch, die unlösbarer erscheinen als Mikos Verschwinden: Kristófers Ehe, die Beziehung zu seiner Stieftochter, die ihn ständig anruft, die Diskriminierung oder die Traumata des Krieges, mit denen Mikos Familie in England kämpfen muss. Vieles bleibt an der Oberfläche, der Film nimmt nicht wirklich eine Haltung ein, greift auf Stereotypen zurück, driftet in Karaokebars und Großstadtromantik ab, taucht tief in die japanische Kochkunst ein, anstatt in das Innenleben seiner Charaktere. Es fehlt die Chemie, die Nähe, gerade der Hauptdarsteller bleibt oft etwas blass, was man mit der fortschreitenden Demenz erklären könnte, doch auch daran verliert „Touch“ spätestens beim Zwischenstopp in Tokio das Interesse. Man muss sich selbst daran erinnern, dass es große Gefühle sind, die die Reise des Protagonisten ans andere Ende der Welt und ans Ende dieses Films motiviert haben, der letztlich vor allem eine wehmütige und tragische Geschichte über verpasste Chancen ist. 

Corinna Götz