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REVIEW KINO: „In Liebe, Eure Hilde“

Zutiefst bewegendes Drama über die Widerstandskämpferin Hilde Coppi, die im Dritten Reich hochschwanger im Todestrakt einsitzt.

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 115 Minuten; Regie: Andreas Dresen; Drehbuch: Laila Stieler; Besetzung: Liv Lisa Fries, Johannes Hegemann, Alexander Scheer, Lisa Wagner, Florian Lukas, Fritzi Haberlandt, Emma Bading, Sina Martens, Lena Urzendowsky; Verleih: Pandora Filmverleih; Start: 17. Oktober 2024

REVIEW:
Alltag. Alles Alltag. Selbst die Verhaftung am 12. September 1942. Alltag. Gerade isst Hilde Coppi im Kleingarten noch Erdbeeren, so rot, so saftig. Dann wird sie unvermittelt abgeholt von der Gestapo, verhört, kommt ins Frauengefängnis. Sie ist im siebten Monat schwanger. Etwas mehr als zwei Monate später bringt sie ihren Sohn zur Welt. Noch einmal zwei Monate später wird sie zum Tode verurteilt, einen Monat nach der Hinrichtung ihres Mannes Hans, am 5. August 1943 schließlich hingerichtet durch das Fallbeil. Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Feindbegünstigung, Spionage und Rundfunkverbrechen. Auch Alltag. So zeigen Regisseur Andreas Dresen und Autorin Laila Stieler das in ihrem erschütternden neuen Film, der im Februar im Wettbewerb der Berlinale Weltpremiere gefeiert hatte und nun Mitte Oktober in die Kinos kommt. Wie man sein Leben weiterlebt, wenn einem alles genommen wurde, der Mann, die Freiheit, die Selbstbestimmung, bald das Leben selbst, daran besteht kein Zweifel mehr. 

„In Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen und Laila Stieler (Credit: Frederic Batier / Pandora Filmverleih)

Dem bittersüßen Schwank „Rabiye Kurnaz vs. George Bush“, ebenfalls eine Berlinale-Premiere, stellt das Kreativpaar Dresen und Stieler in ihrer zwölften gemeinsamen Arbeit seit ihren Anfängen als Filmemacher in den Achtzigerjahren und dem dritten gemeinsamen Kinoprojekt in Folge nun dokumentarische Härte entgegen. Es gibt keinen Score, die Kamera ist nahe, aber unbeteiligt, beobachtend dabei. Sie sieht zu, wie diese zierliche Frau den Alltag ihres letzten Jahres erlebt, ihren kleinen Sohn an der Seite, als engagierte Hilfe in der Krankenabteilung, geschätzt schließlich auch von den Wärterinnen. Und doch gibt es kein Entkommen aus dieser Situation, steht immer die Erkenntnis im Raum, dass diese wenigen Tage mit ihrem Kind die einzigen bleiben werden. Unerbittlich geht „In Liebe, Eure Hilde“ den Weg mit. Wobei unerbittlich das falsche Wort ist, weil die Kamera gar nichts macht, außer aufzuzeichnen und zuzusehen und mitzugehen. Bis es vorbei ist. Da wird nichts hochgejazzt, gibt es keine Melodrama, kein falsches Pathos.  

„In Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen und Laila Stieler (Credit: Frederic Batier / Pandora Filmverleih)

Was sich der Film als stilistischen Kniff erlaubt, als Bruch der Routine im Frauengefängnis, ist eine Rückblendenstruktur, die sich erst nach und nach erschließt, die sich im Stil von Gaspar Noés „Irreversible“ Schritt für Schritt weiter zurückbegibt, die Geschichte einer Liebe und eines erst so harmlos und naiv erscheinenden politischen Aktivismus von vorne nach hinten aufklappt. So einfach war das, im Alltag des Nationalsozialismus zum Todfeind des Regimes zu werden, ein paar junge Menschen, die nicht einfach zusehen konnten, wie die Welt von einem Unrechtssystem in die Katastrophe gesteuert wird. Die Erzählung rückwärts zurück in die Unschuld und Normalität vertieft die Motive des Films, lässt die Hilde Coppi, die dem Ende ihres Lebens zusteuert, immer noch menschlicher erscheinen, ihre Taten zwingend und ohne Alternative. Vor allem muss jetzt, an dieser späten Stelle der Besprechung, die Leistung von Liv Lisa Friesgelobt werden. Der weibliche Star aus „Babylon Berlin“ spielt hier eine Rolle, die eigentlich unspielbar erscheint und die es doch meistert, mit einer stillen Entschlossenheit, die sich auch in ihrer Figur spiegelt, die doch zunächst so brav und unscheinbar wirkt, mit ihrer strengen Frisur und der Nickelbrille, die sich zwischen den Zuschauer und ihre Schönheit schiebt. 

„In Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen und Laila Stieler (Credit: Frederic Batier / Pandora Filmverleih)

Man sagt Andreas Dresen nach, der menschlichste unter den deutschen Filmemachern zu sein, was oft nur eine Ausrede dafür zu sein scheint, dass er einfach zu nett mit seinen Figuren umgeht. Hier, in „In Liebe, Eure Hilde“, ist seine Menschlichkeit, sein empathischer Blick, sein aufrechter Glaube daran, dass eine Gesellschaft nur dann lebenswert ist, wenn man für gemeinsame Werte eintritt, die Grundlage dafür, dass sein Film mit Hilde Coppi an sein bitteres Ende gehen kann, Niederschlag nach Niederschlag, bis sie ihren letzten Brief schreibt, der mit der Zeile endet, die dem Film seinen Titel gibt. Und man als Zuschauer mitgeht, bewegt, in seinen Grundfesten erschüttert, empört und mit der tiefen Empfindung: Nie wieder. Nie wieder. Nicht in Ausnahmesituationen. Nicht im Alltag. 

Thomas Schultze