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REVIEW KINO: „Führer und Verführer“

Eindringliches Porträt von Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels und dessen Rolle in der Machtstruktur des Dritten Reichs. 

CREDITS: 
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 135 Minuten; Regie, Drehbuch: Joachim A. Lang; Besetzung: Robert Stadlober, Fritz Karl, Franziska Weisz, Katia Fellin, Peter Windhofer, Moritz Führmann; Verleih: Wild Bunch; 11. Juli 2024

REVIEW:
Was einen so unfassbar erschüttert, während man „Führer und Verführer“ sieht, den zweiten Kinofilm des arrivierten Historikers und Literaturwissenschaftlers Joachim A. Lang, ist seine Unmittelbarkeit: Ja, die Handlung des Films spielt vor 80 bis 90 Jahren. Ja, Ausstattung, Garderobe, Frisuren sind einer anderen Ära zuzuordnen. Ja, die eingesetzt Sprache ist eindeutig einer anderen Zeit zuzuordnen. Wie schon bei seinem Kinodebüt „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ verwendet Lang bei den Dialogen nach Möglichkeit belegbare Originalzitate in seinem Bemühen um ein Maximum von Authentizität: Was man hört, wurde damals tatsächlich gesprochen, oftmals exakt so. Und doch fühlt man sich ganz direkt angesprochen, könnte der Film, wieder produziert von Zeitsprung Pictures (Til Derenbach und Michael Souvignier) im Auftrag des SWR, kaum mehr Hier und Jetzt sein, erkennt man bei diesem epischen Filmporträt von Joseph Goebbels und dessen bedingungsloser Propagandamaschinerie viele Mechanismen wieder, die gerade heute wieder en vogue ist bei Populisten jeglicher Couleur, verinnerlicht wurde, um Menschen mit Hilfe von Desinformation zu täuschen und manipulieren. 

„Führer und Verführer“ mit Robert Stadlober, Fritz Karl und Franziska Weisz (v.r.) (Credit: Zeitsprung, SWR, Wild Bunch)

Es ist ein Blick hinter die Kulissen, als würde man den Zauberer von Oz enttarnen, das kleine Männchen hinter dem Vorhang zeigen, der einen gesamten Machtapparat orchestriert. Vom März 1938 bis Mai 1945 erstreckt sich die Handlung, von der Mobilmachung für den Großen Krieg bis zum Zusammenbruch des tausendjährigen Reichs, vom Aufstieg Goebbels‘ als rechte Hand des Führers bis zu seinem Selbstmord im Führerbunker. Die Entzauberung funktioniert nicht nur durch die bestechende Analyse, wie Goebbels seine Propaganda aufbaut und sich als Meister der Inszenierung erweist: Nichts bleibt in der Außenwirkung dem Zufall überlassen. Er ist ein Puppenspieler im ureigenen Sinne, hält alle Fäden in der Hand. Die Entzauberung funktioniert auch dadurch, Goebbels und sein Umfeld nicht als Monster zu zeigen und zu dämonisieren, sondern als Menschen, die in vollem Bewusstsein Monströses tun. 

„Führer und Verführer“ zeigt betont auch den Privatmenschen Joseph Goebbels, erzählt von seiner langen Affäre mit der Schauspielerin Lida Baarová, die seine zutiefst verletzte Frau Magda dazu bewegte, sich hinter dem Rücken ihres Mannes an Hitler zu wenden, was wiederum die Gegner des Propagandaministers munitionierte. Es ist eine irre Geschichte gegenseitiger Abhängigkeiten. Wenn Goebbels sich nun mit besonders aggressiven antisemitischen Maßnahmen hervortut, dann sind das nur in Teilen Handlungen eines Überzeugungstäters, sondern auch die Versuche, wieder das Vertrauen des Führers zu erlangen. Dass ein Weltkrieg daraus resultiert, der 60 Millionen Menschen das Leben kostet, sechs Millionen davon Juden, die zur Endlösung in die Vernichtungslager 

Wirkte Joachim A. Langs inszenatorischer Ansatz, seine Fiktion eng mit realen Dialogen zu verzahnen, bei „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ vielleicht auch bewusst etwas sperrig und inszeniert, präsentiert sich jetzt als auffällig gereifter Filmemacher, der sich dabei auch immer bewusst ist und den Zuschauer damit einbezieht, selbst ein Puppenspieler zu sein: Glaube nicht, was Dir erzählt wird, hinterfrage immer, was Dir gezeigt wird. Die Mechanismen der Propaganda werden auch auf diese Weise offengelegt. Dass „Führer und Verführer“ ein so gelungener und effektiver Film sein kann, ist das Verdienst von Robert Stadlober in der Hauptrolle, der bei seiner Darstellung Goebbels‘ über sich hinauswächst, stets den Menschen findet, ohne ihn sympathisch werden zu lassen: Wenn man den Mann, den man kennt für seine rhetorisch perfekt aufgesetzten Reden, bei denen jede Silbe durchdacht und auf ein Maximum an Effekt ausgelegt ist, insbesondere seine berühmte Rede im Berliner Sportpalast im Februar 1943, in der er die Menschen im Auditorium so aufpeitscht, dass sie schließlich seine Aufforderung zum „totalen Krieg“ euphorisch bejubeln, dann privat reden hört mit seinem breiten rheinischen Akzent, ist man förmlich schockiert. 

Das Einzige, was den Demagogen noch mehr entmystifiziert, ist der Chor der Holocaust-Überlebenden. In seinem mutigsten filmischen Manöver durchbricht Regisseur Lang die eigene Handlung, um immer wieder jüdische Menschen zu Wort kommen zu lassen, die damals dem Wahnsinn der systematischen Mordindustrie entkommen konnten. Das Wort von Margot FriedländerCharlotte KnoblochElly GotzLeon WeintraubEva UmlaufErnst Grube und Eva Szepesi – say their names! – wirkt schwer, ist lauter, als es jede noch so kalkulierte Rede eines Populisten sein könnte. Keiner soll sagen, er habe nicht gewusst, was passieren kann. 

Thomas Schultze