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REVIEW FESTIVAL: „Die geschützten Männer“

Grelle Politfarce ohne Rücksicht auf Verluste, in der eine Epidemie gezielt die Männer in die Knie zwingt.

„Die geschützten Männer“ von Irene von Alberti (Credit: Filmgalerie 451)

CREDITS:
O-Titel: Die geschützten Männer; Land/Jahr: Deutschland, 2024; Laufzeit: 104 Minuten; Drehbuch: Irene von Alberti; Regie: Irene von Alberti; Cast: Britta Hammelstein, Mavie Hörbiger, Yousef Sweid, Bibiana Beglau, Godehard Giese, Julika Jenkins, Michaela Caspar, Johanna Polley, Sina Martens, Ruby Commey; Verleih: Filmgalerie 451; Start: Herbst 2024

REVIEW:
Beim Anblick weiblicher Brüste sprießen dem Mann mit dem irre lüsternen Blick plötzlich die Haare vom Kopf und aus dem aufgeknöpften Hemd, wenige Augenblicke und einen krampfartigen Anfall später segnet er auf der Grünfläche das Zeitliche. Eine Werwolfverwandlung am helllichten Tag? Aber nein, erklären die Berliner Lokalnachrichten kurz darauf, Todesursache ist ein Virus, das erste, das auf der Suche nach seinem Wirt genderspezifische Unterschiede macht. Der Erreger nimmt seine Aufgabe wörtlich, bemächtigt sich des männlichen Körpers eben im Moment seiner Erregung, führt zu animalischer Raserei, spontanem Fellwuchs und hundertprozentiger Sterblichkeit. Da Testosteron und Macht Hand in Hand gehen, befällt er zunächst nur höherstehende Exemplare, vor allem in der deutschen Regierungspartei, und so geht dann auch das jämmerliche Ableben des Kanzlers (Godehard Giese) viral – kurz vor der Bundestagswahl und sehr zur Freude der FEM-Partei. 

Der Vorfall erhöht deutlich die Chancen des „feministischen Ensembles von Minderheiten“, die Fünfprozenthürde zu überspringen. Vor allem Sarah Bedford (Mavie Hörbiger), neben Anita Martinelli (Britta Hammelstein) eine der beiden Vorsitzenden, wittert ihre Chance. Sie erklärt sich vor laufenden Kameras zur Interimskanzlerin und beschließt als erste Amtshandlung, eine Gruppe von Wissenschaftlern unter der Leitung von Anitas Ehemann Ralph (Yousef Sweid) in einem Labor zu internieren. Während für alle anderen Vertreter des Geschlechts fortan die Ausgangssperre gilt, sollen die „geschützten Männer“ einen Impfstoff zur Viruseindämmung entwickeln. Gleichzeitig heckt Bedford gemeinsam mit der radikalen Gesundheitsministerin Matha Novak (Julika Jenkins) einen perfiden Plan aus, um alle Kerle zu kastrieren und endlich die Selbstbefruchtung der Frauen auf den Weg zu bringen.

Filmemacherin Irene von Alberti setzt mit ihrer neuen politischen Satire quasi dort an, wo die Komödie „Der lange Sommer der Theorie“ aufhörte, mit der sie 2017 bereits den linksalternativ-feministischen Zeitgeist eingefangen hat, und die ebenfalls beim Filmfest München Premiere feierte. An die Stelle der kessen Berliner Revoluzzerinnen von damals treten nun Aktivistinnen, die bereits Teil des Systems sind, gegen das sie rebellieren, der Ton ist ein bisschen zynischer, geblieben ist der experimentelle Ansatz, der sich weniger für den Plot als für visuellen Exzess begeistert. Die Handlung greift die Idee des gleichnamigen dystopischen Romans des französischen Autors Robert Merle aus dem Jahr 1974 auf und erzählt dessen Geschichte als grelle politische B-Movie-Farce mit der Camp-Ästhetik von Rosa von Praunheim, reizt alle Möglichkeiten des Genres aus, zelebriert das Künstliche und Übertriebene, mit grellen Farben und Parolen, maximal extravaganten Kostümen und Spaß am Spiel. Die Darstellerinnen nehmen sich selbst nicht so ernst und müssen schon mal über den eigenen subversiven Witz lachen, und ab und an klingt es so, als würden sie Regierungserklärungen oder die RKI-Protokolle der Corona-Krisenberatungen zitieren. 

Der Film karikiert die Covid-19-Maßnahmen der deutschen Politik ebenso wie den Krieg der Geschlechter. Was in der Buchvorlage noch Dystopie war, ist hier mehr ein Rückblick auf eine Zeit, in der leitende Positionen ausschließlich von heterosexuellen Männern besetzt waren – oder von Frauen, die zu viel Testosteron geschluckt haben, wie die Pharmakonzernchefin Hilda Helsinki Pfeiffer (Bibiana Beglau). Die Figuren decken alle möglichen Typen und feministischen Strömungen ab, einschließlich der milden Mildred (Michaela Caspar), die wie Gloria Steinem gegen die weibliche Selbstherrlichkeit von Parteifreundinnen anredet, die im Camouflage-Anzug die Abschaffung der gesamten Spezies fordern. Die Charakterisierung der Protagonistinnen ist vor allem Sache des Kostümbilds, als Sarah Bedford mit der Gefahr flirtet, einen Barkeeper erregt und gerade noch mit einem blauen Auge davonkommt, tauscht sie das „Suck my Dick“-T-Shirt gegen Reiterhosen und Augenklappe, verwandelt sich in eine totalitäre Herrscherin und überträgt Amazonen in Springerstiefeln und Lederkorsagen die Exekutivgewalt. Über Löcher im Drehbuch helfen ansonsten weitere haarsträubende Einfälle hinweg wie eine Horde von Redneck-Verschwörungsanhängern auf Wildschweinjagd; Virologen im Laborkittel werden zu Helden einer Dokusoap und treten wie in „Independence Day“ zur Rettung der Welt an; wer sich kastrieren lässt, erhält automatisch einen Job im Staatsdienst; und die steroidabhängige, machtgeile Pharmaunternehmerin infiziert sich mit dem Virus. Am Ende steht die nicht ganz neue Erkenntnis, dass die Abschaffung des Patriarchats eher „last season“ ist, und dass nicht die Ungleichheit der Geschlechter, sondern Geld und Macht Kern allen Übels sind. Es gibt noch viel zu tun. 

Corinna Götz