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Joachim A. Lang über „Führer und Verführer“: „Es ist für mich eine Art Lebensaufgabe“

Am 4. Juli feiert „Führer und Verführer“ von Joachim A. Lang Weltpremiere auf dem Filmfest München. Wir sprachen mit dem renommierten Filmemacher im Vorfeld über seine Verantwortung, die intensive Recherche und sein Anliegen, einen Film zu machen, der misstrauisch gegenüber Bildern, Medien und Populisten machen soll. Wild Bunch bringt den Film am 11. Juli in die deutschen Kinos.

Joachim A. Lang (Credit: Zeitsprung Pictures/Stephan Pick)

Hitler und Goebbels sind nicht zum ersten Mal gemeinsam in einem deutschen Film zu sehen. Ganz spontan fallen „Der Untergang“ und Oskar Roehlers „Jud Süß“ ein. Was ist an Ihrem Film anders? Welchen Ansatz haben Sie gewählt?

Joachim A. Lang: „Führer und Verführer“ ist der erste Film, der Hitler, Goebbels und die führenden Nazis in den entscheidenden Jahren von 1938 bis 1945 zeigt, in den Jahren, in denen sie ihre Verbrechen in die Tat umsetzten: Holocaust und Zweiter Weltkrieg, die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. „Der Untergang“ behandelt besonders die letzten zwölf Tage, bei Röhler geht es um die Entstehung des Films „Jud Süß“. Ansonsten tauchen Hitler und Goebbels in Filmen oft nur als Randfiguren auf – und dann meist in einer Darstellung, die ich für fragwürdig halte. Wenn Hitler und seine Entourage fiktional gezeigt werden, erscheinen sie oft als plakative Dämonen oder als schreiende Witzfiguren. Ich halte diese Darstellungen für problematisch, nicht nur, weil sie falsch sind, sondern weil sie die notwendige Erkenntnis versperren, warum so viele Deutsche dem verbrecherischen Regime in den Krieg und in den Massenmord folgten. Meist halten sich Filmemacher ohnehin zurück, Menschen wie Hitler, Goebbels, Stalin oder Mussolini ins Zentrum zu rücken. Besonders in Deutschland gilt das als eine Art Tabu. Das geschieht mit den besten Absichten, aber man erreicht damit das Gegenteil von dem, was man erreichen will, denn man geht einer der wichtigsten Fragen der Geschichte aus dem Weg. Wenn wir diese Verbrecher filmisch nur noch als eindimensionale Randfiguren oder gar als schreiende Witzfiguren darstellen, können wir sie und ihre Taten nicht verstehen. Wir lernen daraus nichts für die Gegenwart, dabei ist es so wichtig, heutige Demagogen zu durchschauen und ihnen die Maske vom Gesicht zu reißen. Die Gefahr besteht nicht in einer Vermenschlichung dieser Verbrecher, sondern in ihrer Dämonisierung. Wenn man die Jahre des Terrors auf ein Schrecken erregendes Schauspiel von Psychopathen reduziert, dann kreiert man Dämonen, die tiefere Einsichten blockieren. Letztlich stehen solche Darstellungen in der Tradition der Nachkriegszeit, als die Verbrechen des Dritten Reichs auf eine angeblich verrückte Führungsclique mit diabolisch genialen Fähigkeiten geschoben wurden. Viel weiter führt ein Herangehen, das versucht, die beispiellosen Verbrechen als von Menschen gemacht zu begreifen. Ich bin da bei Thomas Mann, der das schon früh sagte, und bei Margot Friedländer, die immer wieder feststellt: „Menschen haben es getan!“ Nur wenn wir die verbrecherischen Vorgänge als von Menschen gemacht begreifen, können sie von Menschen verhindert werden. 

„Es waren die größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte.”

Wie schon bei „Mackie Messer – Brechts 3Groschenfilm“ arbeiten Sie wieder mit Archivmaterial und Originalzitaten. Wo beginnt bei Ihrem Film die Fiktion, wo endet das Dokumentarische?

Joachim A. Lang: Die offiziellen Bilder, die wir aus der Zeit des Nationalsozialismus haben, sind mit der Absicht entstanden, die Wahrheit zu verschleiern. Unsere Vorstellung vom Dritten Reich und Adolf Hitler hat einer der Täter selbst geprägt: Joseph Goebbels. Die von ihm und seinen Mitarbeitern geschaffenen Materialien bestimmen unser Bild der Vergangenheit bis in die Gegenwart. Um der Wirklichkeit näher zu kommen, muss ich zunächst versuchen, diese Inszenierung offenzulegen, das von Goebbels geschaffene Bild zu dekonstruieren und Einblicke hinter die Fassade zu geben, wie sie bisher noch nicht gezeigt wurden.

Dies kann nur in einem Spielfilm gelingen, denn fast alle historischen Aufnahmen sind von Goebbels mit der Absicht inszeniert worden, die damaligen Zuschauer ebenso zu täuschen wie die Nachwelt. Wir haben also keine Bilder davon, was sich hinter den Kulissen abspielte, wir müssen sie herstellen. Unser Film zeigt, mit welchen Mitteln Goebbels versuchte, die Bevölkerung hinter die verbrecherischen Ziele Hitlers zu bringen. Wir schauen Goebbels bei der Inszenierung seiner Lügen über die Schulter. Es ist ein Film gegen Verführung.

Ich habe aber auch dokumentarische Bilder eingesetzt, die nicht zum Zweck der Propaganda entstanden sind, sie bringen uns einen Schritt näher an die Wirklichkeit. Für meinen Film verbietet es sich, den Holocaust in irgendeiner Form szenisch nachzustellen, auch den Krieg. Hier verwende ich ausschließlich dokumentarisches Material, das so nicht oder noch kaum gezeigt wurde.

„Führer und Verführer” kommt am 11. Juli in die Kinos; Verleih ist Wild Bunch Germany (Credit: Zeitsprung Pictures SWR Wild Bunch Germany / Stephan Pick)

Ein wichtiger Bestandteil des Films sind die Holocaust-Überlebenden, die Sie zu Wort kommen lassen…

Joachim A. Lang: Das ist mir sehr wichtig. Stellvertretend für viele sprechen Frauen und Männer von ihren Erlebnissen, Menschen, die unbeschreiblichen Grausamkeiten ausgesetzt waren. Nicht die führenden Nazis haben das Wort, sondern die Menschen, die heute noch leben und die mit ihren Berichten den Zuschauern eindringlich vor Augen führen, dass nie wieder geschehen darf, was geschehen ist. Ich nenne das Einbruch der Wirklichkeit in die Spielhandlung, wenn die Holocaust-Überlebenden sprechen, ist nichts fiktional, da begegnen wir der reinen Wirklichkeit und beziehen zugleich die Gegenwart mit ein. Ich wollte kein Dokudrama machen, bei dem man eine Fortsetzung dessen, was die Opfer erzählen, als Handlung inszeniert. Bei mir gibt es keine direkte biografische Verbindung zwischen Hitler und den zu Wort kommenden Opfern. Das Problem einer Fiktionalisierung ist oft, dass eine positive Gegenfigur entwickelt wird. Das wird ja im Film oft gemacht, und das wurde von mir auch von Produzenten gefordert, mit denen ich im Vorfeld sprach. Mein Film handelt aber davon, dass es bei den obersten Nazis keine positive Gegenfigur gab. Die positive Gegenfiguren kommen bei mir aus der Wirklichkeit und sind die Holocaust-Überlebenden. 

„Wir bilden keine Oberfläche ab, sondern versuchen das Wesen zu erfassen.”

Offenkundig war Ihnen an einem Maximum an Authentizität gelegen. Worin bestanden dahingehend die größten Herausforderungen?

Joachim A. Lang: Eine große Herausforderung war es, aus der Unmenge des Materials, das Richtige herauszufinden. Und noch wichtiger ist es, ständig im Blick zu haben, dass die meisten Dokumente mit der Absicht entstanden sind, die wirklichen Verhältnisse zu verschleiern. Deshalb ist es wichtig, die Perspektive des Materials zu zeigen, zum Beispiel bei der Verwendung der Goebbels-Tagebücher. Goebbels ging es darum, ein möglichst positives Bild des Nationalsozialismus und seiner Person zu zeigen. Deswegen ist es so gefährlich, einfach seine Materialien, etwa Wochenschauausschnitte, wie es in Dokus oft gemacht wird, als Beleg der Wirklichkeit anzunehmen. 

Eine Herausforderung ist, dass der Film insgesamt ein Wagnis ist, in Deutschland ist es ein Tabubruch, diese Figuren als Menschen aus Fleisch und Blut darzustellen. Es waren aber Menschen aus Fleisch und Blut und es waren die größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte. Wenn man versteht, dass die Nazi-Zeit nicht einfach schicksalhaft ist und dass da keine Dämonen am Werk waren, sondern dass das Terrorregime von Menschen gemacht wurde, um andere zu manipulieren und zum Morden anzustiften, erkennt man hoffentlich auch, dass das Entstehen solcher Zustände von Menschen verhindert werden kann. 

Im Film hält Goebbels klar fest, dass jeder Film Propaganda sein kann. Inwiefern lässt sich das auch über Ihren Film sagen?

Joachim A. Lang: Gut, dass Sie das ansprechen. Diese Problematik beschäftigt mich nämlich bei jedem meiner Filme. Oft versucht man im Film, mit allen Mitteln klarzumachen, dass das, was der Zuschauer sieht, Wirklichkeit oder Abbild der Wirklichkeit ist. Ich versuche zu zeigen, dass es nur ein Vorschlag ist, wie die Wirklichkeit ausgesehen hat. Gerade bei einem Film über die Täuschung mit Bildern ist es ganz wesentlich, das zum Ausdruck zu bringen. Ich bezeichne dies als offene Form im Gegensatz zu einer geschlossenen Form, so brechen zum Beispiel die Zeitzeugen die geschlossene Filmhandlung, der Zuschauer wird aus der fiktionalen Handlung herausgerissen. Im Film will man ja oft das Gegenteil erreichen. Aber ich will dem Zuschauer zeigen, dass er etwas Gemachten, etwas Geschaffenem gegenübersitzt. Auch mache ich jederzeit bewusst, was Fiktion und was historisches Filmdokument ist. Die Wochenschauen werden anders als in manchen Filmen nicht als Wirklichkeit, sondern als Inszenierung gezeigt. Wir zeigen die offiziellen Bilder und konfrontieren sie mit der Wirklichkeit dahinter. Dem Zuschauer ist jederzeit bewusst, was Fiktion und was historisches Dokument ist. Schon durch die Farbunterschiede, die ich bewusst belasse, wird dies ersichtlich. Die Nazis haben mit ihren Bildern die Zuschauer getäuscht, indem sie suggerierten, sie bilden Wirklichkeit ab. Ein Film, der diese Verfahren entlarven will, darf sich nicht desselben Verfahrens bedienen. Dazu gehört, dass wir offenlegen, was ansonsten oft verschwiegen wird. Dem Zuschauer ist jederzeit klar, welche Bilder die wirklichen Nazis und welche unsere Schauspieler zeigen, schon durch die Farbgebung. Dieser bestehende Widerstreit wird nicht verschleiert, unser Film geht offen damit um. Wir bilden keine Oberfläche ab, sondern versuchen das Wesen zu erfassen. Dabei muss jedes Bild, alles, was ich sehe und höre, kritisch überprüft werden. Mein Ziel war es, einen Film gegen Manipulation, gegen Verführung zu machen.

Franziska Weisz, Fritz Karl und Robert Stadlober (Credit: Zeitsprung Pictures SWR Wild Bunch Germany / Stephan Pick)

Und dem Verführer war jedes Mittel recht – zumindest jedes Mittel, das ihm damals zur Verfügung stand…

Joachim A. Lang: Richtig. Goebbels hat alle Mittel eingesetzt, die ihm zur Verfügung standen. Nehmen wir als Beispiel die Sportpalastrede: Unser Film zeigt, wie Goebbels die Rede konzeptioniert, vor dem Spiegel probiert und sie danach wie ein Regisseur und Produzent bearbeitet. Das Ganze erscheint als multimediale Inszenierung: zunächst als Live-Auftritt im Sportpalast, dann zeitversetzt und bearbeitet im Radio, am nächsten Tag in den Zeitungen und am Schluss in der Wochenschau. Der Film entlarvt die inszenierten Dokumente des Dritten Reichs als Täuschung und lässt den Zuschauer grundsätzlich wachsamer gegenüber der Macht der Bilder und misstrauischer gegenüber Manipulationsstrategien werden..  

Wie schon der „3Groschenfilm“ ist auch „Führer und Verführer“ ein aufwändiges Filmprojekt, dem umfassende Recherche vorausging. Empfanden Sie die Arbeit an diesem Projekt als schwieriger als beim „3Groschenfilm“, wo Sie jederzeit auf Ihre einzigartige Brecht-Expertise zurückgreifen konnten?

Joachim A. Lang: Die Verantwortung war eine ungleich größere, für mich die größte, die es geben kann. Es ist die Verantwortung vor den Opfern und die Verantwortung, die für mich wichtigste Frage der Geschichte zu beantworten: Wie konnte es den führenden Nazis gelingen, die Mehrheit der Deutschen hinter die verbrecherischen Ziele Hitlers zu bringen, Holocaust und Zweiter Weltkrieg. Das hat mich sehr belastet, besonders dann beim Schnitt, ich konnte kaum mehr schlafen und war total am Ende meiner Kräfte. 

Für mich war die Haltung der Holocaust-Überlebenden zu meinem Film entscheidend. Ich war sehr nervös, als ich ihnen nach dem Picture Lock den Film zeigte. Ich bin glücklich, dass alle so begeistert waren und ihre Reaktionen haben mich sehr bewegt. Die Opfer sind es ja, die sagen, man muss endlich die Täter in dieser Art und Weise zeigen, das ist unverzichtbar. Der nächste Schritt war es, den Film den wichtigsten Historikern zu zeigen, auch sie waren sehr positiv, das setze sich dann beim Testscreening fort. Also ich bin natürlich jetzt beim Release nervös auf die Reaktionen, aber ich weiß schon, dass diejenigen, die für mich die Wichtigsten sind, von dem Film begeistert sind. 

„Es gibt nicht viel, was ich nicht dazu gelesen habe.”

Aber war für Sie die Recherche auch um einiges aufwändiger als beim „3Groschenfilm“?

Joachim A. Lang: Ich beschäftige mich mit dem Thema Drittes Reich schon länger als mit Brecht. Ich bin knapp 15 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs geboren. Mit 13 Jahren las ich Eugen Kogons „Der SS-Staat“. Ich war erschüttert und fassungslos, die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte lagen nur wenige Jahre zurück und man war schon wieder zur Tagesordnung übergegangen. 

Das Thema treibt mich seitdem um, es war der tiefere Grund, warum ich zunächst Geschichte und Literatur studiert habe, bevor ich Filmemacher wurde. Ich beschäftige mich also seit 50 Jahren mit dem Thema, ich glaube, es gibt nicht viel, was ich nicht dazu gelesen habe. Aber vor einigen Jahren hätte ich mich noch nicht reif genug für diesen Film gefühlt, an den ich für mich die genannten hohen Ansprüche habe. Für den Film bin ich zusätzlich zu allem, was ich schon vorher wusste, über zehn Jahre ganz tief ins Material eingestiegen, wollte wirklich verstehen, wie die Nazis gearbeitet und manipuliert haben. Es ist für mich eine Art Lebensaufgabe, ich halte das Thema für ungeheuer wichtig. Es gehört nicht nur zu unserer Vergangenheit, sondern auch zu unserer Gegenwart. Jeder von uns ist in irgendeiner Weise damit verbunden. Gerade in einer Zeit, in der Populisten und Rechtsextreme weltweit auf dem Vormarsch sind, in der antisemitische Gewalttaten zunehmen und in der die Verbrechen des Dritten Reichs mehr und mehr bagatellisiert werden.

Sie haben auch viel mit Originalzitaten gearbeitet, richtig?

Joachim A. Lang: Genau. Das war mir wichtig, um möglichst authentisch zu sein und näher an die Wirklichkeit heranzukommen. So oder so ähnlich haben die Nazis tatsächlich gesprochen. Dabei ist vieles schockierend, wie sie zum Beispiel über die Ermordung der Juden geredet haben. Auch wie deutlich das Himmler in seinen Posener Reden ausspricht. Es zeigt, wie das Böse funktioniert. Wenn man das erkennt, kann man auch heutigen Demagogen entwaffnen.

(Credit: Zeitsprung Pictures SWR Wild Bunch Germany / Stephan Pick)

Nach „Mackie Messer“ haben Sie wieder mit Zeitsprung Pictures gearbeitet. Wie haben Sie diese erneute Zusammenarbeit mit Till Derenbach und Michael Souvignier erlebt? War das von Vornherein gesetzt?

Joachim A. Lang: Sie müssen auch Sandra Dujmovic nennen, meine Dramaturgin und Koproduzentin, sie ist für mich die Wichtigste bei allen meinen Projekten, besonders auch bei „Führer und Verführer“. Bevor ich zu Zeitsprung kam, war das Drehbuch weitgehend fertig und ich hatte auch schon mit anderen Produzenten geredet. Zeitsprung hat mein Konzept gleich verstanden und ich habe nicht nur beim 3Groschenfilm festgestellt: Till Derenbach und Michael Souvignier sind die Richtigen für solche schwierigen Stoffe. Mein historischer Berater bei dem Projekt, Thomas Weber, der in Aberdeen und Stanford lehrt, hatte mich gleich gewarnt und mir gesagt, dass sich die Deutschen mit der Darstellung von Hitler schwertun. Da hat er Recht behalten. Der Film wurde ins Ausland sehr gut verkauft, in Frankreich startet er mit fast doppelt so vielen Kopien wie in Deutschland, der US-Verleih Samuel Goldwyn Films hat viel vor mit „Führer und Verführer“. Bei der Finanzierung des Films hat die deutsche Haltung beim Umgang mit Hitler dazu geführt, dass wir kaum Filmförderungen erhielten. Die MFG Baden-Württemberg hat eine VFX-Förderung beigesteuert, ansonsten wurden wir weitgehend abgelehnt. Wir hatten damals ausschließlich den Anteil des SWR. Gerade in einer solchen verzweifelten Situation zeichnen sich Ausnahmeproduzenten wie Till Derenbach und Michael Souvignier aus. Sie haben große Risiken auf sich genommen, den Film zu realisieren, mit überschaubarem Budget. Unterstützt hat uns ganz herausragend Jan Mojto, dem ich sehr dankbar bin. Er hat an den Film und mich geglaubt. Gedreht haben wir dann in der Slowakei, in kurzer Zeit. Die damals noch liberale Regierung und die Menschen dort haben uns mit offenen Armen empfangen und uns mit allen Mitteln unterstützt, weil sie den Film für ungeheuer wichtig halten. Als ich zum ersten Mal nach Bratislava kam, habe ich mich gefragt: Kannst du das alles hier schaffen? Kaum jemand spricht deutsch, 24 Drehtage, die ganze Belastung usw. Das war ein Vorhaben, das man nur machen kann, wenn man sich 100 Prozent vertraut und einen unbedingten Willen hat, das zu machen. Zeitsprung hat mir vertraut und ich ihnen. Wir hatten ein wunderbares Team und bewegende Dreharbeiten, das Projekt war nur in dieser vertrauensvollen Konstellation möglich. 

„Die Schauspieler unseres Films imitieren nicht, sie interpretieren.”

Robert Stadlober und Fritz Karl sind in den Hauptrollen als Goebbels und Hitler zu sehen. Wie haben Sie Ihre Schauspieler auf den Dreh vorbereitet, vor allem hinsichtlich des Sprachduktus‘?

Joachim A. Lang: Bevor ich auch nur eine Zeile schreibe, muss ich die Figuren verstehen. Bei Goebbels ist mir das nicht schwergefallen, seine Tagebücher geben tiefe Einblicke. Goebbels war ein rücksichtsloser Karrierist, Zyniker und Opportunist. In anderen Konstellationen hätte er auch einem anderen Regime dienen können. Magda Goebbels war eine glühende Nationalsozialistin, davor eine Dame von Welt. Sie war von dem Image des Revolutionärs Goebbels fasziniert, aber mehr noch von Hitler, der sie auch sehr anziehend fand. Am schwierigsten war es für mich, die Figur Hitler zu erfassen. Ich kam eigentlich durch Goebbels auf meine Lösung. Goebbels hatte eine streng katholische Mutter, immer wieder schreibt er, dass er sie bewundere, sie glaube viel mehr als er es könne. Genau das hat ihn auch an Hitler fasziniert, im Gegensatz zu Goebbels hat Hitler an das geglaubt, was er sagte. 

Mir war wichtig, die Sprache der Täter zu verwenden, viele Zitate, auch um klarzumachen, dass es eine Sprache aus der Vergangenheit ist. Es fallen keine Alltagssätze, es geht immer um politische Themen. Das hat den Ton wesentlich geprägt, Worte wie „Gefühlsakrobat“ oder „Flachkopf ohne Sinn und Verstand“ stammen von Goebbels selbst, vieles, was er oder Hitler sagen, haben sie tatsächlich so ausgesprochen. In der Führungsclique herrschte oft ein Plauderton über Banalitäten oder immer wieder auch Rivalitäten vor und dann änderte sich plötzlich der Inhalt der Gespräche, ohne den Ton zu wechseln, plötzlich ging es um die Ermordung von Millionen Menschen. Diese Gleichzeitigkeit macht es noch perfider. 

Nun zu Ihren Schauspielern…

Joachim A. Lang: Die Schauspieler unseres Films imitieren nicht, sie interpretieren. Sie agieren glaubhaft, wahrhaftig. In vielen Dokumentar- und Spielfilmen wird alles getan, um die eine scheinbar alleinige richtige Wahrheit zu zeigen und alle Widersprüche verschwinden zu lassen. Man gerät damit in Gefahr, den Zuschauer zu täuschen und vergleichbare Methoden wie die Nazis selbst zu wählen. Wir versuchen das Gegenteil, unsere Szenen sind keine Illustration, kein Reenactment, sondern ein Versuch, der das Gemachte offenlegt, den Zuschauer nicht betrügt, sondern betroffen macht und zum Denken anregt. 

Wir haben das Drehbuch mit den Schauspielern ausführlich gelesen und besprochen. Fritz Karl beschäftigt sich schon sehr lange mit Hitler und sagte mir, er hat immer auf so ein Drehbuch gewartet. Er ist unweit von Braunau aufgewachsen und kennt Hitlers Sprache genau. Mit Robert Stadlober hatte ich schon bei „Mackie Messer“ eine wunderbare Zusammenarbeit. Bei Goebbels war uns wichtig, dass der rheinische Dialekt, den er gesprochen hat, nicht ins Karikaturhafte abrutscht. Man läuft immer Gefahr, diese obersten Nazis als Karikaturen darzustellen. Deswegen war uns wichtig, Möglichkeiten zu finden, auszuprobieren, dass der Klang zwar in der Sprache drin ist, aber keine Imitation, sondern Interpretation erfolgt. Auch bei Magda Goebbels, es ist wahnsinnig beeindruckend, wie Franziska Weisz die Frau spielt, die ihre Kinder umgebracht hat. Auch zum Schluss des Films wollen wir auf keinen Fall irgendeine Art von Mitleid erwecken. Die Figuren bleiben bis zum Schluss verabscheuungswürdige Verbrecher. 

(Credit: Zeitsprung Pictures SWR Wild Bunch Germany / Stephan Pick)

Und als vermessene Frage zum Schluss: Was soll, aber mehr noch, was kann „Führer und Verführer“ beim Publikum bewirken?

Joachim A. Lang: Ich habe die große Hoffnung, dass „Führer und Verführer“ ein Film für die Gegenwart wird. Ein Film, der misstrauisch gegenüber Bildern, Medien und natürlich Populisten macht, ein Film gegen Verführung und gegen Verführer. Ich habe wirklich die Hoffnung, dass wir etwas bewirken können. Ich erinnere mich, als Charlotte Knobloch den Film mit uns zum ersten Mal in einem Münchner Kino gesehen hat. Es war eine bizarre Situation, sie musste wegen der aktuellen Bedrohungslage mit Polizeischutz kommen. Ich war natürlich sehr aufgeregt. Nach der Vorführung saß sie einige Minuten ganz ruhig da. Meine Sorge war, sie könne den Film nicht gut finden. Dann stand sie auf, umarmte und drückte mich, gratulierte und sagte: „Dieser Film ist so wichtig, der hätte schon vor 20 Jahren gemacht werden müssen. Dann wäre es in Deutschland nicht so weit gekommen.“ Wenn darin auch nur ein kleiner Kern Wahrheit liegt, dann hat sich alle Mühe gelohnt.  

Das Gespräch führte Barbara Schuster