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Die zehn besten Filme im ersten Halbjahr 2024

Die ersten sechs Monate des Kinojahres 2024 sind rum. Die Zahlen sind noch nicht das, was man braucht. Aber die Filme sind gut. Sind vital und vielfältig und divers und aufregend. Die folgenden Zehn haben wir besonders ins Herz geschlossen. 

„The Zone of Interest“ (Credit: Leonine)

The Zone of Interest

Wer in Jahren über den deutschen Kinojahrgang 2024 redet, woran wird er da als Erstes denken? Er wird an die größten Erfolge denken, logisch. Aber er wird vor allem denken an die Kinoerfahrung, die sich am allerstärksten eingebrannt hat. Ich hatte keine intensivere Erfahrung als „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer, seine gewagte Versuchsanordnung, nichts vom Holocaust zu zeigen und alles über den Holocaust zu erzählen, über den idyllischen Alltag der Familie Höß direkt am Vernichtungslager Auschwitz nicht der „Banalität des Bösen“ auf die Spur zu kommen, sondern zu zeigen, wie sie Menschlichkeit auslöscht. Mit Bildern, deren Unerhörtheit sich erst nach und nach erschließen, und einer Tonspur, die nicht direkter und brutaler sein könnte. Unglaubliche Darstellungen von Sandra Hüller und Christian Friedel. 850.000 Besuche. Mehr als der erste Schwung großer US-Sommertitel. Vier Oscars.

Poor Things

Yorgos Lanthimos greift nach der Ewigkeit in seiner Verfilmung des Romans von Alasdair Gray, dessen Essenz er bewahrt und den er dennoch neu erfindet, den er in der Umkehrung der „Frankenstein“-Erzählung zu einem Epos der Menschwerdung werden lässt, der mit Bella Baxter eine der tollsten Frauenfiguren der Filmgeschichte bereithält, von Emma Stone gespielt in einer epochalen Darstellung, die sich allen Kategorien entzieht, verpackt in Bilder, die wie aus einem Füllhorn auf die Leinwand purzeln. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus: So muss es sich angefühlt haben, als Menschen erstmals einen Film erlebten. Die Tanzszene will man bis an sein Lebensende als Endlos-Loop sehen. 

„Sterben“ (Credit: Jakub Bejnarowicz_ Port au Prince_ Schwarzweiss_ Senator)

Sterben

Matthias Glasner breitet seine Arme aus und umarmt alles, was ihm lieb und wichtig ist. Das Leben, den Tod und alles zwischendrin. In einem expansiven, wilden, unverschämten Drei-Stunden-Ritt, der vom Sterben erzählt, dem Tod der Eltern, der Selbstauslöschung durch Alkohol, dem Selbstmord, von abgrundtiefem Hass (in der Filmszene des Jahres) und damit immer nur unterstreicht, wie sehr er das verrückte kleine Ding namens Leben liebt. Weil es zwar ein echter Glasner geworden ist, hart und unapologetisch und gnadenlos, aber auch erfüllt ist von einer großen Zärtlichkeit, die in den Filmen Glasners bisher kein rechtes Zuhause hatte. Und vor allem ist „Sterben“ ein lustiger Film, ohne dass er eine Komödie ist. Man muss lachen, schallend lachen. Auch wenn einem zum Heulen zumute ist. Und dann steht Liliith Stangenberg in der Kneipe und singt Ronald Zehrfeld ein Lied vor. Von Bill Fay. 

„Dune: Part Two“ (Credit: Warner Bros.)

Dune: Part Two

Der Weltenbau aus „Part One“ ist erledigt (und wird in „Part Two“ konsequent fortgesetzt), jetzt ist es Zeit für Denis Villeneuve, ans Eingemachte zu gehen. Vom Krieg zu erzählen auf dem Wüstenplaneten. Und von der Liebe zwischen Paul Atreides und der Femen Chani. Vom Wandeln zwischen den Welten und der Suche danach, wer man ist. Ein Film wie ein Ritt auf einem Wüstenwurm, Science-Fiction mit einer fiebrigen, psychedelischen Qualität und Bildern, die selbst für die größte Leinwand noch zu groß erscheinen. Angefüllt mit den schönsten Menschen, die das Filmgeschäft zu bieten hat, die Gesichter haben, die sich allen Kategorien entziehen. Sind sie noch Menschen oder schon Götter? Egal, sie sind in „Dune“, im letzten Moment der Saga (wie Leser von Frank Herbert wissen), in der einen kurzen Moment lang alles gut ist.

„Robot Dreams“ (Credit: Plaion Pictures)

Robot Dreams

Sollte man sich immer noch gefragt haben, ob Roboter womöglich von elektrischen Schafen träumen, wissen wir nach Pablo Bergers unglaublichem Animationsfilm: Nein, sie träumen von denselben simplen Dingen wie wir, in einem trügerisch einfachen Film. Einem entwaffnenden Film. Über Freundschaft und Gemeinschaft, gestaltet in simpler 2D-Animation und nahezu ohne Dialog, mit ganz klaren Strichen, fast naiv und kindlich in seiner Ausarbeitung. Entsprechend ist die Erzählung. Warm, liebenswert, sympathisch. Mit einem Humor, der sich nahtlos fügt in das herzliche Narrativ. Ein Film, der auch deshalb eine so tolle Liebeserklärung an New York City ist, weil er eine noch größere Liebeserklärung an die Dinge macht, die das Leben schön sein lassen.

„Geliebte Köchin“ mit Juliette Binoche und Benoît Magimel (Credit: Filmwelt)

Geliebte Köchin

Ein Film wie kein anderer, wie nichts, was man jemals vorher gesehen hat. Dem gelingt, was nur dem besten Kino gelingt: dass man sich mit jeder Faser seines Körpers lebendig fühlt. Er macht das mit den simpelsten Mitteln und erzählt doch alles, wenn er zwei Menschen dabei zusieht, wie sie kochen. Naja… Kochen… Wie sie Speisen zubereiten als Ausdruck absoluter Hingabe und großer Liebe. Am Schluss gibt es einen Kamerakreisel um 720 Grad, der mehr erzählt, als es anderen Filmen in zwei Stunden Laufzeit gelingt. Der französischste Film aller Zeiten vielleicht. Inszeniert von einem Vietnamesen, dem großartigen Filmemacher Tran Anh Hung.

„Morgen ist auch noch ein Tag“ von und mit Paola Cortellesi (Foto: Tobis Film GmbH)

Morgen ist auch noch ein Tag

Der italienische Film, der an den heimische Kinokassen im vergangenen Jahr „Barbie“ und „Oppenheimer“ schlug. Und auch in den deutschen Kinos mit offenen Armen empfangen wurde von einem beglückten Publikum. Weil man sich sofort zuhause fühlt im Kino der Regiedebütantin Paola Cortellesi, die sich verneigt vor der Form des Neorealismus, aber in ihren feinen Schwarzweiß-Kompositionen einen ganz anderen Fokus legt, von einer Hausfrau und Mutter erzählt, als würde sie von allen Hausfrauen und Müttern erzählen – und wie sie dem Joch ihres prügelnden Ehemanns entkommt. Und was es bedeutet, dass man wählen darf, ein Akt der Befreiung und Selbstbestimmung. 

„Civil War“ (Credit: DCM / A24)

Civil War

Alex Garland hat einen Vietnamfilm gedreht, einen Journalists-on-a-Mission-Movie. Nur dass er nicht in Vietnam spielt, sondern in den USA. Verwüstete Städte, niedergebrannte Dörfer, Vigilanten und Selbstjustiz, Sturm auf die Hauptstadt. Das Verrückteste daran: Man findet es überhaupt nicht unerhört. Sondern hat den Eindruck, dass es eine Kolportage von morgen sein könnte. Das macht einen dann doch sprachlos. 

„Andrea lässt sich scheiden“ (Credit: Majestic Filmverleih)

Andrea lässt sich scheiden

Ein österreichischer Western ohne Pferde und Colts. Aber mit Panoramaansichten und einem weiblichen Sheriff. Wenn man so will. Oder aber: wieder eine von Josef Haders messerscharfen Betrachtungen, nach „Wilde Maus“ diesmal mit einer Frau im Mittelpunkt und dem Leben in der Provinz, eine bittersüße Komödie über das Scheitern und das Wanken, über eine Frau, die sich behaupten muss in einer Welt voller törichter Männer, was man macht, wenn man erkennt, dass die kleinen Pläne, die man sich ausgemalt hat, wegen eines dummen Unfalls in weite Ferne geraten und dann alles doch noch einmal ganz anders kommt. Birgit Minichmayr schließt man tief in sein Herz. 

„Alles steht Kopf 2“ (Credit: © 2023 Disney/Pixar. All Rights Reserved)

Alles steht Kopf 2

Ganz oben, beim Eintrag zu „The Zone of Interest“ habe ich geschrieben: „Wer in Jahren über den deutschen Kinojahrgang 2024 redet, woran wird er da als Erstes denken? Er wird an die größten Erfolge denken, logisch.“ Er wird also an „Alles steht Kopf 2“ denken, der vielleicht einmal als bescheidene Fortsetzung nur für Disney+ begonnen haben mag, aber der sich dann erwiesen hat als Film, der die Geschicke des Kinojahres 2024 änderte und die Geschicke von Pixar. Der Mäkler verstummen ließ und wirklich alle überraschte. Mit einer kleinen Geschichte eigentlich, die aber erzählt wurde mit großer Liebe für ihre Figuren und großem Geschick und makelloser technischer Umsetzung. In diesem Kinojahr, in dem der Animationsfilm auf einmal alles war!

Ehrenwerte Nennungen: „The Holdovers“, „Der Junge und der Reiher“, „Challengers – Rivalen“, „Furiosa: A Mad Max Saga“, „All Of Us Strangers“.