Login

REVIEW ZFF: „We Live in Time“

Hinreißende Chronik einer Liebesgeschichte, die einem Paar durch alle Höhen und Tiefen ihrer Beziehung folgt.

CREDITS:
Land / Jahr: Großbritannien 2024; Laufzeit: 107 Minuten; Regie: John Crowely; Drehbuch: Nick Payne; Besetzung: Florence Pugh, Andrew Garfield, Grace Delaney, Lee Braithwaite, Aoife Hinds, Adam James, Douglas Hodge; Verleih: Studiocanal; Start: 9. Januar 2025

REVIEW:
Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Wissen wir seit Anbeginn tragischer Liebesgeschichten und spätestens seit „Love Story“, für den 1971 fünf Millionen deutsche Kinogänger Tränen vergossen, als Ryan O’Neal Abschied nehmen musste von Ali MacGraw. Aber so wie John Crowley in seinem ersten Spielfilm seit der verunglückten Bestsellerverfilmung „Der Distelfink“ hat sich noch keiner an eine solche Lovestory gewagt, eine wunderbare Rückkehr zu der Weltklasseform von „Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten“. Und der beste Richard-Curtis-Film, der nicht von Richard Curtis stammt, aber eben die kluge Tonalität seiner legendärsten Arbeiten wie „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“, „Notting Hill“ und „Tatsächlich… Liebe“ wie selbstverständlich verinnerlicht, dabei indes einen stringenteren Plot vorweisen kann als Curtis in seinen jüngsten Arbeiten, den schönen, aber nicht restlos überzeugenden „Yesterday“ oder „Alles eine Frage der Zeit“. 

John Crowleys „We Live in Time“ mit Florence Pugh und Andrew Garfield (Credit: STUDIOCANAL)

Basierend auf einem Drehbuch von Nick Payne, der schon bei der sehr tollen Netflix-Serie „Wanderlust“ ein Händchen dafür hatte, komplizierte Beziehungsgeflechte mit leichter Hand zu behandeln, erzählt „We Live in Time“ die Geschichte einer Liebe von Anfang bis Ende, über mehrere Jahre, vom Kennenlernen über Höhen und Tiefen, einschneidende Momente und denkwürdige Ereignisse, bis zum erzwungenen Abschiednehmen. Aber der Film, und das ist der Knackpunkt, erzählt es nicht chronologisch, sondern arrangiert diese verschiedenen Momentaufnahmen einer Beziehung vermeintlich willkürlich parallel miteinander, springt ohne Ankündigung von einem Schnitt zum nächsten durch die verschiedenen Zeitebenen. Eben sind wir noch mit dabei, wie Almut durch den Wald joggt, Kräuter abschneidet und bei den Hennen im Garten Eier sammelt, um Tobias mit einer Kostprobe ihres kulinarischen Könnens zu wecken, dann sehen wir die hochschwangere Almut auf der Toilette sitzen, um mit ihrer Atmung erste Wehen zu kontrollieren, dann ist sie bei der Onkologin und erhält mit Tobias an ihrer Seite die niederschmetternde Diagnose erhält, erneut an Eierstockkrebs erkrankt zu sein und welche Maßnahmen in ihrer Situation möglich sind. Das Leben ist nur ein paar Momente, und das nicht unbedingt in der richtigen Reihenfolge.

John Crowleys „We Live in Time“ mit Florence Pugh (Credit: Studiocanal)

Aber da steckt eine Methode hinter dem erzählerischen Chaos. Man muss nicht erschütternd gut aufpassen, um schnell zu kapieren, wie die verschiedenen Passagen zeitlich zueinanderstehen. Aber man sieht schon ein bisschen aufmerksamer zu und reimt sich auf diese Weise anhand vieler kleiner Details zusammen, wer unsere beiden Hauptpersonen sind, die auf ganz hinreißende Weise von Florence Pugh und Andrew Garfield gespielt werden, die nicht einfach nur sensationell gute Schauspieler sind, sondern auch über eine erschütternd gute gemeinsame Chemie verfügen, was in diesem Film definitiv die halbe Miete ist: Jeder kleine ihrer Triumphe lässt das Herz höher schlagen, jeder Tiefschlag ist ein Hieb in die Magengrube. Almut ist eine begnadete Chefköchin mit einem Stern, die sich buchstäblich in das Leben von Tobias katapultiert, der mit seiner Scheidung hadert und unbedacht eine Schnellstraße überquert: Verblüffend geschickt versteht es „We Live in Time“, die Schwere der ernsten Momente auszubalancieren mit einer ganz leichten Erzählung der anderen Meilensteine einer Beziehung, die Crowley dann genussvoll ausreizt in ausgedehnten Szenen, die wiederholt ganz anders spielen, als man es sich erwarten würde: Das Kennenlernen durch einen Zusammenstoß im Verkehr, die Geburt der Tochter in der Toilette einer Tankstelle.

John Crowleys „We Live in Time“ mit Andrew Garfield (Credit: Studiocanal)

Weil John Crowley auch bekannt ist visueller Stilist – wenn sein gescheiterter „Distelfink“ etwas hatte, wovon man schwärmen konnte, dann waren aus seine ausgesuchten Bilder -, ist „We Live in Time“ mehr als eine Lovestory als Bilderbuch, das man wohlfeil umblättert. Gerade weil der herrlich fließende Schnitt (wow: Justine Wright) so entscheidend ist, muss auch die bildliche Ausgestaltung stimmen, und da lässt sich der bisher vor allem bei Fernsehserien beschäftigte Stuart Bentley nicht lumpen: Dank der Regie und der Leistungen der Gewerke ist es ein richtig guter Film geworden, den seine beiden Stars bewohnen, als hätten sie immer schon in ihm gelebt. Beide sind umwerfend gut: Florence Pugh in einer Rolle, in der man leicht die Mitleidskarte ziehen könnte. Aber wie sie es hinbekommt, das wahre Dilemma von Almut herauszuarbeiten, ist beeindruckend: Den Tod akzeptiert sie, aber was wird es sein, was sie ihrer dreijährigen Tochter hinterlässt? „We Live in Time“ scheut nicht vor bitteren Realitäten zurück. Und Andrew Garfield ist einfach wunderbar in einer Rolle, in der er die zweite Geige spielt, aber doch immer wunderbar präsent ist: Seine Reaction-Shots SIND der Film, SIND ALLES. Weil er wir ist. Und wir uns wünschen würden, soviel Würde und Humor zu bewahren in den Situationen, die er durchlaufen muss in diesem Tearjerker par excellence, der sich jeden Schniefer ehrlich verdient hat.

Thomas Schultze