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REVIEW ZFF: „Hagen – Im Tal der Nibelungen“

Neuerzählung der größten aller deutschen Sagen, Verfilmung des Bestsellers von Wolfgang Hohlbein, die den Fokus von Siegfried von Xanten auf seinen Widersacher Hagen von Tronje richtet.

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 135 Minuten; Regie & Drehbuch: Cyrill Boss, Philipp Stennert; Besetzung: Gijs Naber, Jannis Niewöhner, Lilja van der Zwaag, Dominic Marcus Singer, Rosalinde Mynster, Maria Erwolter; Verleih: Constantin Film; Start: 17. Oktober 2024

REVIEW:
Nibelungen. Das fühlt sich gleich schon einmal schwer an. Schwarzblütig. Mächtig. Schicksalsträchtig. Eine Saga von Konsequenz und Gewicht. Das haben Philipp Stennert und Cyrill Boss auch umgesetzt mit einer der teuersten deutschen Filmproduktionen aller Zeiten, die sich anfühlt wie tausend geschlagene Schlachten, schartige Schwerter und Blut, Schweiß und Tränen, ein Projekt mit internationalem Anspruch und nationaler Tragweite, einer für die Filmgeschichtsbücher. Der Film hat Größe, entspricht der kolossalen Welt, die Wolfgang Hohlbein 1986 für seinen gleichnamigen Roman ersonnen hatte, vom Regieduo gemeinsam mit Doron Wisotzky adaptiert, eine tieftraurige Geschichte, eine Tragödie buchstäblich in Blut gemalt. Gerade auch deshalb fühlen sich die 135 Minuten Laufzeit zu kurz an, nehmen sie der Erzählung sogar etwas den epischen Atem, der dem Projekt innewohnt. Man will mehr, noch mehr. Mehr von den machtvollen Bildern (wow: Philip Peschlow), mehr von der unheilvollen Atmosphäre (mehr wow: Matthias Müsse), mehr von den gewaltigen Kostümen (noch einmal wow: Pierre-Yves Gayraud), mehr von den Figuren, mehr Schlachten. Und vor allem viel mehr Brunhild, sensationell gespielt von Rosalinde Mynster, die geheime Superkraft des Films: Ihr Walkürenritt setzt die Leinwand in Flammen.

„Hagen – Im Tal der Nibelungen“ von Cyrill Boss und Philipp Stennert (Credit: Constantin Film)

Manches scheint trotz der üppigen Laufzeit nur angerissen, Figuren werden eingeführt, verlieren sich aber wieder im Getümmel, ohne eine Rolle gespielt zu haben. Das mindert die Wucht, die „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ innewohnt und schließlich auch durchaus entfaltet. Wenn man drin ist, ist man drin. Kann man sich der Tragödie der Hauptfigur nicht entziehen, die hier nicht der nebulöse Bösewicht ist, der den Helden Siegfried tötet, sondern eine innerlich zerrissene Figur, ein Ritter von der traurigen Gestalt, von dem Niederländer Gijs Naber aus „Die Geschichte meiner Frau“ kernig und körperlich, aber auch sehr sensibel, fast zurückhaltend gespielt, ein Mann, dem sein Ehrenkodex über alles geht und der daran zerschellt, der ein Auge gibt, seine Liebe, seine Ehre. Am Ende ist dann nur Matsch. Das ist gerade der Clou von Wolfgang Hohlbeins Roman, der ein Gegenentwurf ist zum strahlenden Nibelungenlied, der nicht das Hosianna singt, sondern die Kehrseite zeigt, den Schmutz, den Verrat, die Verzweiflung. Und der diese Version der größten aller deutscher Sagen düster sein lässt, kein Sonnenschein kommt hier durch, als befände man sich unentwegt in Mordor. Beeindruckend die Entschlossenheit, mit der sich die Filmemacher dem Ernst der Geschichte stellen und Bilder finden, wie man sie auch in Hollywood kaum besser hinbekäme. 

„Hagen – Im Tal der Nibelungen“ von Cyrill Boss und Philipp Stennert (Credit: Constantin Film)

Ein Weilchen dauert es, bis man sich zurechtfindet im Strom der Figuren und der Geschichte, bis man ein Gefühl entwickelt, worum es denn gehen soll, gehen wird. Dann kristallisiert sich mehr und mehr der Disconnect heraus zwischen Hagen von Tronje, braver Fußsoldat, und Siegfried von Xanten, Freigeist und Lebemann, niemandes Diener, und zugleich eine Lichtgestalt, von Jannis Niewöhner in einer coolen Performance gespielt wie ein Rockstar, Mick Jagger, der anstelle eines Mikros sein Schwert hält. Ihre volatile Beziehung steht im Zentrum der Handlung, ist Motor der Geschichte und Katalysator der Ereignisse, die das Schicksal beider Männer besiegeln wird. Die stehen in einem umgekehrten Spiegelverhältnis zueinander: der eine hat, was dem anderen fehlt. Im Fall von Siegfried ist die Tragik, dass ihm als faunartiges Geschöpf gar nicht bewusst ist, dass er mit dem Pflichtbewusstsein und dem Stoizismus Hagens weiterkäme. Im Fall von Hagen ist klar, wie sehr er leiden muss als Fels in der Brandung, Vasall im Schatten, wie sehr er sich verzehrt, ein bisschen was zu haben von der Sorglosigkeit und der Strahlkraft des Kontrahenten, der mit einem Fingerschnippen das zu bekommen scheint, was ihm auf ewig vorenthalten bleibt.

„Hagen – Im Tal der Nibelungen“ von Cyrill Boss und Philipp Stennert (Credit: Constantin Film)

Natürlich kommt es nach Schlachten und Kämpfen, Intrigen und Komplotten, Enttäuschungen und Triumphen zum finalen Showdown, zum Untergang beider Männer, nur dass er im Zerrspiegel der Erzählung Wolfang Hohlbeins einen ganz anderen Spin erhält, als man es in der Schule gelernt hat, ein Dreh, der sich bestens macht im Kino, auf der denkbar größten Leinwand. Und der dann zum Abschluss dieser 135 Minuten Volldröhnung Kino auch versöhnt mit der ein oder anderen Holprigkeit und Unwucht, die es einem zunächst schwergemacht hat, sich mit dem Groove des Films zu synchronisieren. Aber wer weiß, das eine oder andere, was man sich aktuell noch zusammenreimen muss, wird dann sicherlich illuminiert werden in der gleichzeitig entstandenen Miniserie, die in einem Jahr kommen wird und den gegenwärtig engen Fokus auf die Titelfigur deutlich weiten dürfte. Wir sind gespannt, wie diese Welt dann aussehen wird, wenn auch andere Figuren größeren Raum erhalten. Einstweilen bangen und leiden wir mit Hagen. Und weinen mit ihm und um ihn.

Thomas Schultze