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REVIEW TV: „Schwarze Früchte“

Eine der unangenehmsten und gleichzeitig besten Serien des Jahres heißt „Schwarze Früchte“ und startet am 18. Oktober in der ARD-Mediathek und auf dem Spartensender One. Lesen Sie hier unsere Besprechung.

Schwarze Früchte
Karla (Melodie Simina) und Lalo (Lamin Leroy Gibba) in „Schwarze Früchte“ (Credit: ARD Degeto/Jünglinge Film/Studio Zentral/Maïscha Souaga)

CREDITS:
Produktion: Jünglinge Film (Produzent:innen: Faraz Shariat, Paulina Lorenz; Producerin: Raquel Dukpa), Studio Zentral (Produzent: Lasse Scharpen; Producerin: Olivia Kpalété), ARD Degeto Film (Redaktion: Carolin Haasis, Christoph Pellander); Creator, Headautor & Hauptdarsteller: Lamin Leroy Gibba; Drehbuch: Sophia Ayissi, Naomi Kelechi Odhiambo, Lisa Tracy Michalik, Sarah Claire Wray; Regie: Elisha Smith-Leverock, David Uzochukwu Cast: Lamin Leroy Gibba, Melodie Simina, Vanessa Yeboah, Benjamin Radjaipour, Daniel Hernandez, Nick Romeo Reimann, Simon Kluth, Thapelo Mashiane, Christine Rollar, Sheri Hagen, Jerry Kwarteng, Casting: Tsellot Melesse & Teresia Harris, Start: 18. Oktober 2024 in der ARD-Mediathek und auf One.

REVIEW:
Die ARD-Serie „Schwarze Früchte“ ist die schönste Zumutung des Jahres. Ein Format, das bewusst von einer peinlich berührenden Szenerie in die nächste taumelt, dabei aber unglaublich sexy aussieht und wahnsinnig gut gespielt ist. Creator und Headautor Lamin Leroy Gibba spielt als Lalo auch gleich eine der Hauptrollen: ein Twenty-Something, den der Tod seines Vaters im Hamburger Alltag aus der Bahn wirft. Seine beste Freundin Karla (Melodie Simina) schlägt sich derweil mit einem übergriffigen Vorgesetzten in der Finanzwelt herum.

Hinter „Schwarze Früchte“ steht neben Studio Zentral die Produktionsfirma Jünglinge Film von Faraz Shariat, Paulina Lorenz und Raquel Kishori Dukpa, die mit der postmigrantischen Kinosensation „Futur Drei“ das erste Mal auf sich aufmerksam machten. In den öffentlich-rechtliche Pressemitteilungen wurde beim Serienprojekt „Schwarze Früchte“ besonders in den Vordergrund gerückt, dass hier Kreative und Macher:innen der BiPoC und LGBTQI+ Communities die eigenen Geschichten erzählen.

„Schwarze Früchte“ mit Lamin Leroy Gibba (l.) lief auch beim Filmfest Hamburg (Credit: ARD Degeto/Jünglinge Film/Studio Zentral/Maïscha Souaga)

Das ist die Identität der Serie, die aber in ihrer schmerzhaft genauen Schilderung der unterschiedlichen Coming-of-Age-Geschichten eine Allgemeingültigkeit für Heranwachsende entwickelt. Dabei ist Protagonist Lalo als Typ und Identifikationsfigur eine echte Herausforderung: Jung, gutaussehend, aber in seinem aktuell angeschlagenen Zustand wegen des verstorbenen Vaters auch völlig verloren und orientierungslos. Wie er sich durch das Hamburger Nachtleben und den Kulturbetrieb bewegt und schläft, passiv aggressiv in der Kommunikation, mit einer gehörigen Portion Narzissmus ausgestattet und so von einer unangenehmen Situation in die nächste torkelnd, macht das „Schwarze Früchte“ zur angesprochenen Zumutung, die es auszuhalten gilt.

Aber das Format gibt gleichzeitig immer das Gefühl, sich in künstlerisch sicheren und selbstbewussten Händen zu befinden: So stilsicher ist die Optik, so gut ist das Casting bis in die kleinsten Nebenfiguren, denen man gerne auch folgen würde. So überragend spielen die vielen Newcomer auch in den tragenden Rollen.

Unangenehme und peinliche, sehr genau beobachtete Situationen sind der Kern von „Schwarze Früchte“ – und damit nicht ganz unähnlich zu einer der besten deutschen Serien der vergangenen Jahre: „Jerks“. Aber während der Humor bei Christian Ulmen und Fahri Yardim mehr auf die Unterhaltung abzielte, hat er in „Schwarze Früchte“ noch mehr etwas Entlarvendes und Tiefergehendes. Das im Halse steckenbleibende Lachen legt Schicht für Schicht die Charaktere, aber auch die Gesellschaft um sie herum frei. Das beginnt direkt mit der allerersten Szene, in der Lalo die Familie seines aktuellen Freundes besucht. Es sieht wie ein Wohnzimmer aus, entwickelt sich aber zu einer Art Vorhölle für alle Beteiligte. Am Ende des Abends sind die Eltern als spießige, überkorrekt sein wollende Monster entlarvt, die weder damit umgehen können, dass ihr Sohn schwul noch der Freund schwarz ist. Aber auch der Freund macht anschließend mit Lalo Schluss, weil er findet, dass in Lalos Oberstübchen irgendetwas nicht richtig funktioniert, wenn er am Abendbrottisch von Sauna-Eskapaden erzählt.

„Schwarze Früchte“ traut sich an emotional teils sehr dunkle Plätze heran, wobei das Format den Weg dahin aber mit einem großen Gespür für Popsongs, starke Bilder, Stimmungen und einer Kamera geht, die den Protagonisten nervös nahe auf die Pelle rückt. Die Serie nimmt vertraute Szenerien wie zum Beispiel ein Klassentreffen, aus dem sich an der Oberfläche ein Wiedersehen von alten Freunden entwickelt. Dann bricht die Serie aber nach und nach die Fassade auf und zeigt die wirklichen Beziehungen der Figuren zueinander, die Kränkungen und nicht verarbeiteten Traumata. Diese Figuren und deren Kälte muss man teils auch aushalten können. Lalo und Karla sind keine Charaktere, die sich beim Publikum anbiedern. Dafür haben sie viel zu viele eigene Probleme. Aber es sind faszinierende Persönlichkeiten, die über die acht Episoden immer weiter wachsen.

Die Serie, mit der die ARD im Juni zur Weltpremiere auf das Tribeca Festival in New York City fuhr, stellt einen der kreativen Höhepunkte in einem herausragenden Jahrgang an besonderen fiktionalen Formaten dar: Angefangen mit „Oderbruch“ über „Die Zweiflers“, „Player of Ibiza“, „30 Tage Lust“ oder „Festmachen“ ist das eine so beeindruckende Slate, die gerade jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer niemals in den ARD-Mediathek vermuten würden. Worin auch die Herausforderung liegt: Junge Menschen zu diesen Formaten zu bringen.

Michael Müller