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REVIEW KINO: „Frohes Fest – Weihnachten retten wir die Welt“

Charmante französische Ensemblekomödie um ein chaotisches Familientreffen und Generationskonflikte rund um die Feiertage.

CREDITS: 
O-Titel: Un Noël en famille; Land/Jahr: Frankreich 2024; Laufzeit: 90 Minuten; Drehbuch: Jeanne Gottesdiener; Regie: Jeanne Gottesdiener; Besetzung: Didier Bourdon, Noémie Lvovsky, Janaïna Halloy-Fokan, Alice Daubelcour, Jules Sagot, Christophe Montenez, Marie Bunel; Verleih: Happy Entertainment / 24 Bilder; Start: 14. November 2024

REVIEW:
In der Welt der weihnachtlichen Wohlfühlkomödie scheint die Zeit oft stehen geblieben zu sein – eine Tradition, mit der Jeanne Gottesdiener in ihrem Spielfilmdebüt bricht, schließlich glaubt niemand mehr an den Weihnachtsmann, an friedliche Familienfeste oder daran, dass sich der Klimawandel aufhalten lässt. „Frohes Fest – Weihnachten retten wir die Welt“ ist die französisch-verschmitzte Bio-Variante einer schönen Bescherung und des alljährlichen, unvermeidlichen Mutter-Vater-Kinder-Dramas der Wohlstandsgesellschaft. Im Mittelpunkt steht die lebenslustige Carole Lamarre (Noémie Lvovsky), Bürgermeisterin einer typisch französischen Kleinstadt, sie liebt ihre Arbeit, wird geschätzt und respektiert, kurz vor Heiligabend läuft sie zur Hochform auf, kümmert sich um die glanzvolle Deko des Marktplatzes und um einsame Seelen im Altenheim, Menschen zusammenzubringen ist ihr Ding – nur die eigene Familie kommt dabei zu kurz. Zum Glück steht hinter jeder starken Politikerin ein Ehemann, der sie unterstützt: Alain Lamarre (Didier Bourdon) schmeißt derweil den Haushalt, erledigt die Einkäufe, bereitet das Menü vor, besteht darauf, dass die Kinder pünktlich eintreffen und alle Lebensmittelunverträglichkeiten, ihre veganen, vegetarischen und flexitarischen Neigungen berücksichtigt werden.

„Frohes Fest – Weihnachten retten wir die Welt“ von Jeanne Gottesdiener (Credit: Happy Entertainment)

Aber Gänseleberpastete und Truthahn sind Familientradition, und an Weihnachten kann man schon mal eine Ausnahme machen, findet Alain, obwohl für die jüngere Tochter Noa (Janaïna Halloy-Fokan) das Tierwohl an erster Stelle steht – sie hat im Vorgarten noch schnell ein Rettungslager für ausgesetzte Zwergschweine eingerichtet. Die Ältere, Sarah (Alice Daubelcour), ist ebenfalls ein Vorbild in Sachen Umweltbewusstsein und Wokeness, sie hat ihren Yogi-Partner Balthazar (Christophe Montenez) und vielversprechende Neuigkeiten im Gepäck, während Sohn David (Jules Sagot) kürzlich seinen Job als Raumfahrtingenieur aufgegeben hat und nun als Berufsjugendlicher in seiner eigenen digitalen Welt lebt. Dann ist da noch die neue Nachbarin Laure (Marie Bunel), die meint, dass Weihnachten mit der Verwandtschaft die Hölle sei, und sich ein bisschen zu gut mit Alain versteht – zumindest trägt sie ihren Teil dazu bei, dass sich auch das Klima im Hause Lamarre schon am Vorabend aufheizt.

„Frohes Fest – Weihnachten retten wir die Welt“ von Jeanne Gottesdiener (Credit: Happy Entertainment)

Die Großwetterlage und der Zustand des Planeten sind die Themen, an denen niemand vorbeikommt. Balthazar kritisiert fortwährend den Konsumzwang des Boomerjahrgangs, möchte sich aber seine Freiheit und Unabhängigkeit (ein Tiny House) von den Schwiegereltern in spe finanzieren lassen. Die Eier für Alains selbstgemachten Likör stammen zur großen Empörung nicht aus lokaler Freilandhaltung, sondern aus dem Supermarkt. Die LED-Weihnachtsbeleuchtung wird als Energieverschwendung abgestraft, und bei Foie Gras hört der Spaß endgültig auf. Zu allem Überfluss fordert Caroles Konkurrent um das Amt des Bürgermeisters ihren Rücktritt, weil er sie unter anderem für wachsende Müllberge verantwortlich macht, und so steckt Carole an den Feiertagen mitten im Wahlkampf, anstatt ihren Kindern alle Wünsche von den Augen abzulesen. Der Generationenkonflikt wird unter dem Tannenbaum ausgetragen, Lebensvorstellungen und Zukunftsängste prallen aufeinander, jeder hat irgendwie Recht, aber unverpackte Zahnpasta und Recycling allein können die Erde auch nicht retten, jedenfalls nicht über Nacht und schon gar nicht an Weihnachten. „Wollt ihr die Welt verändern? Kümmert euch um die Frauen, da müsst ihr anfangen“, lautet Caroles letztes Wort im Familienstreit.

„Frohes Fest – Weihnachten retten wir die Welt“ von Jeanne Gottesdiener (Credit: Happy Entertainment)

Jeanne Gottesdiener liegt vor allem ihre weibliche Hauptfigur am Herzen, die Rolle der berufstätigen Ehefrau und Mutter. Die Regisseurin, die selbst keinen leichten Karrierestart hatte, wie sie in einem Interview anlässlich der Premiere ihres Films beim Rabat-Comedy International Film Festival bemerkte, hat in den letzten drei Jahrzehnten unter anderem fürs Fernsehen und als Schauspieltrainerin gearbeitet und sieben Kurzfilme gedreht. Das Skript für ihr Kinodebüt schrieb sie gemeinsam mit ihrer Co-Autorin Julie Ponsonnet und nach dem preisgekrönten Drehbuch „Nutcrackers“ der Amerikanerin Chrissy Lessey. Inspiration lieferten erfolgreich verfilmte Konversationsstücke wie „Le Prénom“ (die französische Vorlage von Sönke Wortmanns „Der Vorname“), „Cuisine et dépendances“, „Typisch Familie!“, das Kino von Cédric Klapisch, Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri, das von wahrhaftigen, liebenswerten Charakteren und pointiertem Dialogwitz lebt. Das ein oder andere Klischee mag nicht mehr so recht ins zeitgemäße Bild passen, worüber das erfahrene Schauspielerensemble aber hinwegsehen lässt, allen voran Noémie Lvovsky und Didier Bourdon, die mit jedem Blick und jeder Geste die feine Ironie und Reaktionskomik des Films beherrschen. 

Wie so oft sind es die kleinen Dinge: die nebensächlichen Details und der Wiedererkennungswert dieser speziellen Familienbräuche, über die sich die Kinder lustig machen, die aber alles zusammenhalten und gleichzeitig den Fortschritt behindern, wie das mit Traditionen eben so ist. Das bringt insbesondere Alain in die Zwickmühle, der sich rührend stoisch an Gewohnheiten klammert und von seiner Ehefrau „vernachlässigt“ wird. Das zum Scheitern verurteilte Familienfest entfaltet sich genüsslich und gemütlich zwischen Wohn- und Esszimmer, Küche und Vorgarten, die Inszenierung behält stets ihren optimistischen, versöhnlichen Ton, letztlich muss jeder dafür einstehen, woran er glaubt, selbst an den Feiertagen und sogar dann, wenn es um Gänsestopfleber geht. Das hat am Ende einen leicht faden Beigeschmack wie Tofu, dem etwas Biss und Schärfe fehlt, eine heiße Diskussion, an der sich niemand die Zunge verbrennt – Drama gibt es zu Weihnachten schließlich schon genug.

Corinna Götz