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Seyneb Saleh und Serkan Kaya: „Eine Drei-Komponenten-Liebesgeschichte“

Am 2. Mai startet über Filmwelt „Was von der Liebe bleibt“ in den deutschen Kinos. Wir sprachen mit dem Hauptdarstellerduo Seyneb Saleh und Serkan Kaya über die intensive Vorbereitung mit ihrem Regisseur Kanwal Sethi und institutionellen Rassismus.

„Was von der Liebe bleibt“ mit Seyneb Saleh und Serkan Kaya ist ab 2. Mai im Kino zu sehen (Credit: Filmwelt Verleihagentur)

Was waren Ihre ersten Gedanken, als Ihnen „Was von der Liebe bleibt“ angeboten wurde? 

Seyneb Saleh: Ich habe mich gefreut, dass so ein Stoff überhaupt erzählt wird. Geschichten dieser Art, aus dieser Perspektive gibt es viel zu wenig. Ich fand gut, dass Kanwal Sethi, unser Regisseur, die Figuren in ein gutbürgerlichen Milieu situiert hat. Denn oft, wenn Figuren mit Migrationsbiographie in den Mittelpunkt eines Filmes gestellt werden, spielen diese Geschichten meist auch in einem bestimmten Milieu, in prekären Lebensverhältnissen. Kanwal stellt ein durchschnittliches Liebespaar in den Mittelpunkt, wie es jeder oder jede kennt, wo sofort ein Anknüpfungspunkt gegeben ist. Eine gute Wahl, um diese Themen zu bearbeiten.

Serkan Kaya: Als ich das Drehbuch gelesen habe, ging es mir erst mal gar nicht um den politischen Aspekt. Ich habe mich zunächst auf die Liebesgeschichte zwischen Yasemin und Ilyas eingelassen, die immer wieder auch in Rückblicken erzählt wird, während Ilyas in der Gegenwart mit einem großen Schicksalsschlag zu kämpfen hat. Kanwal hat es als Drei-Komponenten-Liebesgeschichte beschrieben: da sind Yasemin und Ilyas, ihre Liebesgeschichte, ihr Familienleben, und als dritter Punkt der Zweifel, der sich durch den institutionellen Rassismus in diese Beziehung einschleicht. Als schauspielende Zunft liest mal derart konsequente Drehbücher relativ selten. Das hat mich gefreut.

Hatten Sie beim Lesen bereits einen Zugang zu Ihrer Figur?

Seyneb Saleh: Es gibt verschiedene Perspektiven, aus denen man ein Drehbuch liest. Dieses Mal bin ich beim ersten Lesen schon eher mit dem Kopf rangegangen, war von der schönen, klugen Erzählweise angetan. Ich habe erst im zweiten Schritt begonnen mir Yasemins Gefühlswelt zu erschließen und mich über einen viel sinnlicheren Zugang genähert. Für mich war entscheidend zu erarbeiten, was es bedeutet, eine kurdische Identität zu haben in der deutschen Gesellschaft, ihr Umgang mit dem Fremdsein, mit dem Gefühl des Fremdseins. Sie selbst fühlt sich gar nicht fremd, wird aber immer wieder zu einer Fremden gemacht. Yasemin hat im Gegensatz zu Ilyas einen anderen Umgang damit, viel frecher, angriffslustiger… Dann ging es mir auch um Dinge, die weniger szenisch dargestellt werden, die aber mitschwingen in der erzählten Zeitspanne von 16 Jahren, wie sich ihre Rolle als Frau verändert als Liebende, Ehefrau, Mutter, Geschäftsfrau…

Was erzählte Ihnen Kanwal Sethi über seine Absichten mit dem Stoff? Wie sahen Ihre Gespräche aus?

Serkan Kaya: In der Vorbereitung haben Kanwal und ich ganz viel über die NSU-Morde gesprochen, vor allem über die Hinterbliebenen der Opfer. Was wir darstellen, ist nur ein Bruchteil dessen, was den Angehörigen widerfahren ist. Es lässt erahnen, was für ein Schmerz bei den Hinterbliebenen sein muss, die nach wie vor um ihr Recht kämpfen.

Seyneb Saleh: Diese Hilflosigkeit ist schrecklich. Serkan und ich haben bei so manchen Screenings des Films erlebt, dass Zuschauer:innen, die selber keine Rassismus-Erfahrungen haben, fragten: warum geht Ilyas nicht einfach zum Anwalt? Diese Form von Schock, die man erlebt, wenn die Institution, von der man glaubt, sie hilft, sie schützt, einen im Stich lässt, lähmt so, dass man nicht mehr aktiv werden kann. Auch bei den NSU-Morden ist man vielen Fährten nicht nachgegangen, ähnlich wie in der Geschichte.

Serkan Kaya: Die Zeit der intensiven Vorbereitung und die Zeit des Drehs waren hart. Ich bin danach erst mal in einen luftleeren Raum gefallen. Es hat gedauert, mich davon zu erholen. Der Körper, selbst wenn ich weiß, dass es „nur“ Spiel ist, erlebt das. Ich war froh, im Anschluss mit „Die unlangweiligste Schule der Welt“ einen Kinderfilm machen zu dürfen.

Kannten Sie sich bereits? 

Seyneb Saleh: Wir haben uns tatsächlich erst im Casting kennengelernt.

Serkan Kaya: Das war ein spannender Moment! Ich hatte für Kanwal schon vorgesprochen und es stellte sich heraus, dass ich ein Favorit für Ilyas war. Die Suche nach einer Schauspielerin für Yasemin lief noch. Es waren tolle Kolleginnen im Casting, Seyneb war wirklich die letzte Person, die kam. Als sie angefangen hat zu spielen, haben Kanwal und ich uns angeschaut und es war klar: Das ist sie! Seyneb musste Yasemin sein – sonst wäre der Film für mich nicht spielbar gewesen. Wir haben uns schockverliebt in sie. 

Seyneb Saleh: Wenn die Energie stimmt, wird alles leicht. Das war hier der Fall. 

Shawn Levy, Ryan Reynolds, Wendy Jacobson, Emma Corrin, Hugh Jackman, (Credit: Sebastian Gabsch)

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Wie sah die Erarbeitung der Rollen aus?

Seyneb Saleh: Mit Kanwal haben wir viel daran gearbeitet, die 16 Jahre Beziehung zu erzählen. Wir haben uns über Momente ausgetauscht, die nicht sichtbar sind, durch die gemeinsam erarbeitete Fantasie aber spürbar werden. Somit sind wir im übertragenen Sinn nie nackt in eine Szene gegangen, weil alles angefüttert war mit Hintergrundgeschichten. 

Serkan Kaya: Den Punkt der Sinnlichkeit hast du vorhin angesprochen, Seyneb. Der ist wichtig. Intellektuell hat man die Rollen ja relativ schnell begriffen. Aber sie in ihrer Beziehung sinnlich zu bekommen, sie in den Körper zu bekommen, war ein wichtiger Aspekt. Dass Berührungen natürlich sind, dass Blicke natürlich werden… Das hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Kanwal hat viel geprobt, sehr viel. Mindestens ein halbes Jahr. Er hat mich zu einem Traumatherapeuten geschickt, wir durften zum Paartherapeuten, mit dem wir über den Knackpunkt in der Beziehung zwischen Yasemin und Ilyas gesprochen haben… das war sehr interessant. So kam das Herz ins Spiel.

Mit Kanwal Sethi haben Sie beide zum ersten Mal zusammengearbeitet. Was ist er für ein Regisseur?

Serkan Kaya: Er hat eine klare Vision und geht leidenschaftlich an seine Projekte ran. Kanwal kocht sehr gerne, liebt Gewürze. Das schlug sich auch in seinen Regieanweisungen nieder, wenn er zu mir Sachen sagte wie „ein bisschen mehr Curry oder Kurkuma“, oder „nicht so viel Salz“. Er inszeniert eben auch sehr sinnlich.

Seyneb Saleh: Kanwal geht sehr intensiv mit einem in eine gemeinsame Vorbereitung, ist sehr nah bei einem. Dann, beim Dreh, lässt er Freiheit, herrscht totales Vertrauen. 

„Am Anfang meiner Karriere haben mich Caster oft gefragt, ob ich nicht meinen Namen ändern will.“

Seyneb Saleh

Wie sieht die Situation für Sie, Frau Saleh, als Schauspielerin aus: Können Sie die Rollen spielen, die Sie reizen?

Seyneb Saleh: Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben ja bereits über institutionellen Rassismus gesprochen. Der ist natürlich auch in der Filmbranche ein Problem. Ich merke den Unterschied so krass, weil ich auch eine Agentur in Großbritannien und den USA habe, über die viele Casting-Anfragen kommen. Die nehmen mich einfach als Deutsche, als Europäerin wahr. Die Vielfalt des Angebots ist wesentlich größer. Bei englischen Castings bekomme ich zum Beispiel auch viele Anfragen für historische Projekte. In Deutschland wurde ich in meinen 14 Jahren, die ich als Schauspielerin tätig bin, zwei Mal zu einem Casting für ein historisches Projekt eingeladen. Das Bild ist limitiert. Es gab mal einen Regisseur, der mich scheinbar eher „auf der Straße“ verortet hat und mich während des Castings darum bat, ich solle ein bisschen „normaler“ sprechen. Auf meine irritierte Nachfrage fügte er hinzu: „So wie ihr zu Hause sprecht.“ Ich ahnte woher der Wind weht. Ich färbte meine Sätze beim nächsten Take mit Kanak-sprech an, er war begeistert. Niemand bei uns zu Hause spricht so. Es gibt bei Carolin Emcke einen tollen Satz in „Gegen den Hass“, wo es im übertragenen Sinn heißt, dass die Fantasie verstümmelt, wenn man immer die gleichen Bilder reproduziert, dass man sich Menschen in einem anderen Kontext gar nicht mehr vorstellen kann. Am Anfang meiner Karriere haben mich Caster öfter gefragt, ob ich nicht meinen Namen ändern will. Ich habe lange nicht verstanden warum, bis mir folgende Situation geschildert wurde. Nach einem Casting verlasse ich den Raum. Die Regisseurin ist begeistert und sagt zur Casterin: „Die ist ja der Hammer. Aber hast du jemanden der genauso ist wie sie, aber Deutsche.“ Erst nach dieser Schilderung wurde mir klar, was es mit diesem gut gemeinten Ratschlag der Caster:innen auf sich hatte: Sie wollten nicht, dass ich auf meine vermeintliche Herkunft reduziert werde. 

Hat sich mittlerweile etwas verbessert?

Seyneb Saleh: Es tut sich was, aber diese Prozesse dauern. Das ist mein Eindruck. Ich kann für mich sagen, dass ich mir über die Jahre eine Position erarbeitet habe. Trotzdem ist es Realität, dass ich für bestimmte Sachen immer noch nicht angefragt werde. Der Rollenumfang hat sich geändert, aber bei dem Angebot der Vielfältigkeit der Figuren ist noch Luft nach oben. Es ist im Werden, aber da gibt es noch viele Schritte, die die Branche sich trauen darf.

Wie sehen Sie das, Herr Kaya?

Serkan Kaya: Bei allem, was Seyneb sagt, gehe ich voll mit. Ich hatte da anscheinend mehr Glück, weil ich schon alles Mögliche spielen durfte, Figuren die da hießen Udo Lindenberg am Theater, oder Herrmann, Björn oder Lasse im Film. Das war kein Thema. Im Zuge der Diversitäts- und Inklusionsdebatte, in der Diskussion um das Thema kulturelle Aneignung, was alles total wichtig und richtig ist, bekomme ich aber plötzlich wieder mehr Rollenangebote von Figuren, die Mustafa, Tarek oder Ilker heißen. Diese Entwicklung finde ich interessant.

Was sind kommende Projekte von Ihnen?

Seyneb Saleh: Ich bin als nächstes in dem Kinodebüt von Judith Angerbauer, „Sabbatical“ in der Hauptrolle zu sehen, neben Trystan Pütter, Sebastian Urzendowsky und Bernhard Schütz. Dann wird dieses Jahr die Serie „Lust“ ausgestrahlt und vor kurzem habe ich meine Dreharbeiten zur ZDF-Miniserie „Uncivilized“ abgeschlossen.

Serkan Kaya: Ich spiele in der Prime-Comedyserie „Perfekt verpasst“ neben Anke Engelke und Bastian Pastewka mit. Und dann hoffe ich, dass dieses Jahr noch Mehmet Akif Büyükatalays neuer Film, „Hysteria“, in die Kinos kommt, in dem ich ebenfalls mitspiele. Er hatte ja 2019 mit seinem Debüt „Oray“ auf der Berlinale für großes Aufsehen gesorgt und auch sein neuer Film ist toll!

Das Gespräch führte Barbara Schuster