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Sabine de Mardt über Gaumont: „Wir sind ein europäisches Haus“

Sechs Jahre operiert Gaumont erst am deutschen Markt. In dieser kurzen Zeit hat Sabine de Mardt die Kölner Produktionsfirma als echtes Powerhouse etabliert. Im Rahmen unseres NRW-Schwerpunkts rund um das Film Festival Cologne haben wir sie befragt, was bereits erreicht wurde und was als Nächstes kommen wird. 

Gaumont-Geschäftsführerin Sabine de Mardt (Credit: Gaumont)

Wie sehr sehen Sie Gaumont in Deutschland als Produktionshaus mit internationaler Ausrichtung? Gibt es internationale Partner, mit denen Sie besonders gerne arbeiten, die womöglich auch Ihre Philosophie teilen?

Sabine de Mardt: In erster Linie sind wir eine deutsche Produktionsfirma, die vorrangig für den deutschen Markt produziert. Das ist unser Hauptfokus im Rahmen unserer internationalen Familie. Im kommenden Jahr wird unser Mutterhaus 130 Jahre alt, die älteste Filmproduktionsfirma der Welt. Das finde ich immer wieder beeindruckend, da wir auf eine so lange und innovative Filmgeschichte blicken. Seit den Anfängen bis heute ist Gaumont ein unabhängiges und inhabergeführtes Unternehmen mit einer großen Filmtradition, dessen CEO Hauptgesellschafterin Sidonie Dumas ist. Dahinter verbirgt sich kein komplexes Hierarchiegefüge, sondern kurze Wege. Ich stimme mich direkt mit ihr ab. Neben Paris und Köln und Berlin gibt es Niederlassungen in Los Angeles, London und Rom. Da ist es naheliegend, dass wir miteinander arbeiten und voneinander lernen, besonders im Hinblick auf die zunehmenden internationalen Kofinanzierungen. 

Es gibt einen engen internationalen Austausch und einige Projekte, die wir zusammen in unterschiedlichen Konstellationen planen. Der Verbund mit Gaumont hat viele positive Aspekte. In Frankreich haben wir nicht nur einen Verleih, sondern auch einen Weltvertrieb, der auf Filme und Serien aus unserem Haus ausgerichtet ist. Auch da gibt es Unterstützung, wenn wir Projekte als Koproduktionen aufsetzen oder Hilfe bei der Finanzierung benötigen.

Sie waren ja nicht untätig. 

Sabine de Mardt: In der Tat, unser Start verlief rasant. Bereits kurz nach unserer Gründung in Deutschland haben wir die erste Staffel von „Barbaren“, eine der aufwendigsten Netflix-Serien aus dem deutschsprachigen Raum realisiert, die zweite Staffel startete in 2022. Für Sky haben wir drei Staffeln der Comedy-Serie „Die Wespe“ realisiert und für Disney+ unsere Serie „Deutsches Haus“, nach dem Roman von Annette Hess. Nicht zu vergessen unsere ZDF-Produktionen „Westwall“, „Die zweite Welle“ oder „Reset – Wie weit willst du gehen?“, sowie einige TV Movies und Reihen. Aktuell sind wir in der Postproduktion von „Anywhere“(AT), einer großen Serie für Paramount+, von Autorin und Showrunnerin Jana Burbach. Auch konnten wir in den letzten Jahren zwei internationale Koproduktionen, die in ihrer Finanzierung komplexer sind, realisieren: „Nona und ihre Töchter“ (frz.-deutsche Miniserie) eine wunderbare, komödiantische Familien-Serie gemeinsam mit Arte und dem SWR unter der Federführung unserer französischen Kolleginnen und „In Her Car“, unsere ukrainische Kriegsdramaserie und paneuropäische Koproduktion, die europaweit für viel Aufmerksamkeit sorgt. 

Katharina Stark in „Deutsches Haus“ von Showrunnerin Annette Hess (Credit: Disney+)

Wie sehr wird Gaumont in Deutschland dadurch geprägt, dass das Mutterhaus in Frankreich sitzt? Wie eng ist die Verbindung?

Sabine de Mardt: Gaumont ist ein Familienunternehmen und man kann es auch insgesamt gut mit einer Familie vergleichen: Wir sind alle erwachsene Töchter: jede für sich sehr unabhängig. Aber wir haben eine enge Verbindung miteinander. Das gibt uns viel Freiheit und unterschiedliche Möglichkeiten. Ich betrachte es als großes Geschenk, Teil einer so vielfältigen, internationalen Familie zu sein. Die eigene Identität europäisch zu denken und immer über den Tellerrand zu schauen, halte ich für unabdingbar. Wir sind ein europäisches Haus mit europäischen, demokratischen Werten. Unsere Geschichten hören nicht an den Ländergrenzen auf. Wir möchten durch Koproduktionen und internationale Geschichten Menschen über Grenzen hinweg verbinden.

Immer wieder setzen Sie Maßstäbe, gehen dezidiert neue Wege – nur als naheliegende Beispiele „Barbaren“, „Deutsches Haus“. und Reset“ Werden Sie in dieser Richtung auch künftig Akzente setzen – oder lassen derartige Ausnahmeprojekte nicht erzwingen?

Sabine de Mardt: Solche besonderen Projekte erfordern nicht nur professionelle Expertise, sondern auch ein kreatives Umfeld, in dem Ideen geschützt wachsen können. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in den Menschen, die diese Projekte realisieren. Ein Team, das auf Augenhöhe zusammenarbeitet – sowohl innerhalb von Gaumont als auch mit externen Kreativen – ist entscheidend. Ich bin sehr stolz auf unser Team und freue mich, dass sich herausragende Kreative bei uns wohlfühlen. Besonders berührt hat mich die Dankesrede von Annette Hess beim Gewinn des Deutschen Fernsehpreises, in der sie betonte, wie sehr sie sich von uns unterstützt und gestärkt gefühlt hat. Was könnte man sich mehr wünschen? Es geht darum, ein gemeinsames Ziel zu haben und den Weg miteinander zu gehen. Dabei soll nie der Respekt, der liebevolle Blick und der sensible Umgang miteinander aus den Augen verloren werden. Das ist der Schlüssel für eine gute Zusammenarbeit! Hierfür muss nicht jedes Projekt ein riesiges Format sein, es können auch kleinere Filme und Serien entstehen, aber immer im Sinne der Marke Gaumont, die für Qualität und Relevanz steht. Wir wollen spannende Geschichten erzählen, dabei aber auf keinen Fall didaktisch sein, sondern immer gut unterhalten. Es ist Lebenszeit, wenn man einen Film oder eine Serie schaut. Dann muss es auch das Herz berühren. 

„Es ist Lebenszeit, wenn man einen Film oder eine Serie schaut. Dann muss es auch das Herz berühren.“

Sabine de Mardt

Wie sehen Sie die Entwicklung von Gaumont in Deutschland in den nunmehr sechs Jahren seit Start? Wie sehr haben Sie in dieser Zeit eine eigene Identität entwickeln können?

Sabine de Mardt: Ich bin sehr stolz und dankbar, natürlich vor allem meinem Team. Wir arbeiten Hand in Hand. Auch wenn ich in meiner Funktion als Geschäftsführerin in der Öffentlichkeit vielleicht sichtbarer bin, ohne das gesamte Team geht nichts. So ist ein sehr erfahrener Produzent wie Andreas Bareiss für die Firma enorm wichtig, genauso wie der zweite (nicht verwandte) Dr. Andreas Bareiss, der neben seiner Tätigkeit als EVP Business Affairs & Operations auch „In Her Car“ produziert hat. Zum Produzententeam gehören auch Rainer Marquass, Quirin Schmidt und Nele Willaert, in der Herstellungsleitung Achim Strack und alle anderen Abteilungen und Mitarbeitenden. Sie alle sind alle elementar wichtig für die Arbeit, die wir bei Gaumont leisten. Wenn es gelingt, einen harmonischen Teamgeist zu schaffen, ist man zu vielem fähig. Und natürlich sind auch unsere Sender- und Streamingpartner:innen unerlässlich, die uns immer unterstützen und uns in unserer Arbeit bestärken.   

„Barbaren“ mit Jeanne Goursaud (Credit: Netflix)

Was sehen Sie als die entscheidenden Produktionen seit Gründung? Worauf sind Sie besonders stolz?

Sabine de Mardt: „Barbaren“ war zweifellos ein Meilenstein, der uns beim Firmenstart enorm geholfen hat.„Deutsches Haus“ ist mein Herzensprojekt, das eine auf jeder Ebene traumhafte Produktion war. Stolz bin ich aber auch auf „Reset – Wie weit willst du gehen?“, ein wirklich relevanter Stoff, der den Suizid eines Kindes erzählt. Das ist keine leichte Kost – aber so kraftvoll umgesetzt, dass es unter die Haut geht und tief berührt. Wunderbar sind auch Eddie und Manu Frotzke in „Die Wespe“, was für ein charmantes Format! Und eine unserer ersten Produktionen „Neun Tage wach“ für ProSieben mit Jannik Schümann in einer für ihn bis dahin untypischen Rolle, ebenfalls ein relevantes Projekt. Oder auch unser doppelter Grimme-Preis-Gewinner, „Nichts was uns passiert“ für den WDR/Das Erste, der mit einem engagierten Frauenteam um Julia C. Kaiser entstanden ist, mit einem sehr respektvollen Blick auf die Folgen eines MeToo-Falls. Ich bin sehr glücklich, dass das von der Grimme-Jury mit zwei Preisen honoriert wurde und der Film das junge Publikum erreicht hat.

Wie sehr ist Gaumont mit dem Standort NRW verbunden? Was schätzen Sie an dem Standort?

Sabine de Mardt: Als die deutsche Gaumont gegründet wurde, haben wir einen geeigneten Standort überlegt. Die Entscheidung war schnell getroffen: Köln. Zum einen bin ich NRW-Produzentin, meine ganze berufliche Karriere ist eng mit dem Land und auch der Film- und Medienstiftung NRW sowie dem WDR verbunden. Zum anderen ist es ein Superstandort im bevölkerungsreichsten Bundesland, wo man wirklich alles abbilden kann. Alle Sender sind in der Nähe, das ZDF, die ARD, RTL usw. Wir haben eine der potentesten Filmförderungen, die sehr engagiert ist. Und ich schaue auf Kolleg:innen in NRW, die die Unterstützung der Film- und Medienstiftung sehr viel mehr nutzen als wir bisher, was ich super finde, weil auf diese Weise auch viele spannende internationale Produktionen in NRW entstehen. 

„Reset – Wie weit willst du gehen?“ mit Katja Riemann und Hanna Schiller (Credit: ZDF)

Wir erleben eine Branche im Umbruch. Was sehen Sie als die entscheidenden Herausforderungen für die Zukunft, um sich behaupten zu können? Und sehen Sie sich richtig aufgestellt dafür?

Sabine de Mardt: Die Zukunft birgt viele Unsicherheiten. Das geht uns alle an. Wir benötigen dringend die Unterstützung der Politik für eine umfangreiche Förderreform, bestehend aus den drei Säulen: Steueranreizmodell, Investitionsverpflichtung und Rechterückbehalt. Nur so können wir eine gesunde Grundlage für die Filmwirtschaft erreichen und im internationalen Wettbewerb bestehen.  Wir bei Gaumont bemühen uns, sehr flexibel zu sein, da es viele Unbekannte gibt.  Wir wissen nicht genau, wie sich das Auftragsvolumen der Sender entwickeln wird, zumal die Reformierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erst gerade beginnt und auch die Programmstrategien der internationalen Player oftmals kurzfristig geändert werden. Hinzu kommt die rasante Entwicklung von KI und deren Auswirkungen auf die Branche. Trotzdem wird es weiterhin das Bedürfnis nach besonderen und großen Geschichten geben. Darauf konzentrieren wir uns und hoffen, gute Partner:innen zu finden, die uns entsprechend unterstützen. Bei Gaumont haben wir eine lange Tradition und ein starkes Netzwerk von Kreativen, so dass wir sehr gute Chancen haben, weiter erfolgreich zu produzieren. 

Bitte erzählen Sie von den aktuellen und kommenden Produktionen. Worauf werden Sie besonders Ihr Augenmerk legen?

Sabine de Mardt: Wir sind im Schnitt und der Postproduktion von „Anywhere“(AT). Zudem drehen wir gerade eine große tolle Serie, über die ich aktuell noch nicht sprechen darf. Darüber hinaus wir haben viele interessante Entwicklungen mit unterschiedlichen Senderpartnern.   

Wie sehen Sie die mittelfristige Entwicklung von Gaumont in den kommenden Jahren? 

Sabine de Mardt: Wir möchten den eingeschlagenen Weg weitergehen: eine Heimat für die Kreativen sein, mit den besten Talenten arbeiten, interessante und ungewöhnliche Geschichten für ein breites Publikum erzählen- und das sowohl für das lineare und nonlineare TV und die Streamingpartner:innen als auch für das Kino zu produzieren. Die Fahrtrichtung ist klar, wir wollen weiter große und kleine Filme und Serien machen, die bedeutsame Geschichten erzählen, die die Menschen berühren. 

Das Gespräch führte Thomas Schultze.