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Pia Strietmann & Gabriela Sperl über „Herrhausen“: „Die alte Geschichte mit Heutigkeit aufgeladen“

Mit „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ kommt ein ganz besonderes Stück Fernsehen zur Ausstrahlung. Dahinter stehen Gabriela Sperl als Produzentin und Pia Strietmann als Regisseurin. Ein spannenderes Duo geht kaum: Sperl ist eine der erfolgreichsten und bekanntesten ihres Fachs, Strietmann eines der gefragtesten Regietalente. Wir wollten wissen, wie ihre Zusammenarbeit bei der Verfilmung der letzten Lebensjahre einer der schillerndsten Figuren der deutschen Finanzwelt aussah und was das ARD-Projekt auszeichnet.

Pia Strietmann und Gabriela Sperl (Credit: privat, Mathias Bothor)

Das Attentat auf Alfred Herrhausen fand 1989 statt. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Ereignis, das damals durch sämtliche Medien ging?

Gabriela Sperl: Das war für mich ein Schock, der so gar nicht in den Taumel und Jubel der gefallenen Mauer passte und deswegen dieses Bild der Wiedervereinigung stark gestört hat. Ich erinnere mich noch an dieses Foto vom zerbombten Mercedes. Der Mord an Alfred Herrhausen war ein lauter Mord, wie es die Mafia gerne macht, ein Mord, den man im vollen Licht der Öffentlichkeit als Demonstration der Macht, als Statement vollbringt, um zu warnen: Wenn sich jemand wie Alfred Herrhausen so weit nach vorne wagt, gibt es Gegendruck. Er musste weg.

Spielte dieses Ereignis in Ihrer Kindheit eine Rolle, Frau Strietmann?

Pia Strietmann: Ich bin in Münster, wahrscheinlich in einem der heilsten Teile Westdeutschlands großgeworden. Da war die RAF-Zeit der 3. Generation als Störfaktor dieser Wohlstandsidylle sehr präsent in den Medien und zuhause am Esstisch. Unmittelbare Erinnerungen habe ich nicht. Bei mir ist es so, dass ich in meiner Studienzeit mitbekommen habe, dass es mehrere Versuche gab, eine Geschichte über Alfred Herrhausen zu verfilmen. In den verschiedensten Ansätzen. Ich weiß, dass einige meiner großen Regievorbilder dran waren. Allerdings hat nie etwas stattgefunden, keine dieser Ideen kam vom Boden. Als Gabriela mir dann das Angebot unterbreitete, die Regie dieses Projekts zu übernehmen, habe ich mich riesig gefreut. Ich hatte weniger Zweifel, ob ich das aufgrund der doch beachtlichen Größe schaffen würde, der Druck kam eher von der großen Verantwortung gegenüber der Geschichte der Person Alfred Herrhausen und weil es ja bereits diese vielen gescheiterten Ansätze und Versuche gegeben hatte. Ich verspürte nun also Ehre und gleichzeitig eine große Verantwortung, als ich ins Team zu diesem Projekt hinzukommen durfte.

„Wir stehen heute in mancher Hinsicht vor den Trümmern der Öffnung der Mauer.“

Gabriela Sperl

Frau Sperl, Sie sind bekannt dafür, auch unbequeme Themen filmisch zu verarbeiten, sogenannte heiße Eisen anzufassen. Was gab bei Ihnen den Ausschlag, die Person Alfred Herrhausen aufzugreifen und genau auf die letzten zwei Lebensjahre zu blicken?

Gabriela Sperl: Um es überspitzt zu formulieren: Wir stehen heute in mancher Hinsicht vor den Trümmern der Öffnung der Mauer. Ich erinnere mich, wie ich beim Fall der Mauer heulend mit meinem Baby vor dem Fernseher saß und dachte: Jetzt ist die Welt endlich befriedet, es werden sich alle vertragen, überall werden Demokratien entstehen… Genau das Gegenteil ist, wenn man die Jahre zurückschaut, in the long runpassiert. Zunächst haben sich alle gefreut, alle waren offen. Doch der Osten hat die Wiedervereinigung letztendlich in vielen Teilen als Übernahme erlebt, ein Gefühl des Zurückgelassenseins empfunden, Verluste durchgemacht, einen Übergang, in dem ganz viele plötzlich arbeitslos wurden. Alfred Herrhausen war einer, der vor einer zu schnellen Wiedervereinigung gewarnt hat, der gesagt hat, wenn wir zu schnell wiedervereinigen, wird es Zerwürfnisse geben, wenn wir zu schnell den Euro einführen, wird es zwischen Nord- und Südeuropa Verwerfungen geben… Das war bei mir immer ein Thema, diese Geschichte, die ins Heute reicht. Herrhausen war eine Figur, die dieses Hinterfragen verkörpert. Einerseits sah er als Bankier für seine Bank Wachstum und neue Märkte und die Wiedervereinigung als große Chance, andererseits hat er aber auch vor den negativen Seiten einer zu schnellen Vereinigung gewarnt, was zur Abkühlung des freundschaftlichen Verhältnisses mit Helmut Kohl geführt hat. Als wir mit der Stoffentwicklung begannen, konnten wir nicht ahnen, wie brisant der Stoff plötzlich sein würde. Denn heute ist die Welt wieder in zwei Blöcke gespalten, wie zu Zeiten Herrhausens. Damals war jeder, der mit Russland gesprochen hat, der Feind. Das ist heute wieder ähnlich. Henry Kissinger hat bereits 2015 vor einem Krieg gewarnt, wenn die NATO-Osterweiterung weiter vorangetrieben wird. Und er hatte nicht nur in diesem Punkt recht: Gorbatschow war eine Phase. Heute ist Russland wieder der Feind des Westens. 

(v.r.): Pia Strietmann, Gabriela Sperl, Claudia Luziu von der ARD Degeto, Joerg Himstedt vom HR, Exec Ilona Schultz (Credit: Gabriela Sperl Filmproduktion)

Am Anfang jeder Folge wird der Satz eingeblendet: „Nach einer wahren Geschichte. Soweit Geschichte wahr sein kann.“ Inwiefern war Ihnen in der Drehbucharbeit mit Thomas Wendrich an Authentizität gelegen? Und inwiefern war Authentizität in Folge in der Inszenierung wichtig?

Pia Strietmann: Zum inszenatorischen Aspekt kann ich sagen, dass wir nur wenige originale Videoaufnahmen analysiert haben und zum Beispiel nach Manierismen der historisch verbrieften Protagonisten gesucht haben. Uns ging es mehr darum, ein Charakterprofil über eine Innerlichkeit herzustellen. Ich als Regisseurin klopfe das Drehbuch danach ab, welche Fragen aus den Figuren heraus sprechen. Denn ich muss mich für meine Vorbereitung ja auch fragen, welche Fragen die Schauspielenden haben werden. Die Drehbucharbeit, bei der ich Thomas Wendrich ab einem gewissen Zeitpunkt begleitet habe, kreiste viel um solche Dinge. Fühlt Herrhausen Angst? Wie sehr spricht er sie aus? Wie sehr ist sie Teil seines Alltags? Nimmt sie Einfluss auf sein Handeln? Das waren Fragen, die ich als Regisseurin hatte. Thomas Wendrich hatte noch mal ganz andere Fragen. Gemeinsam ging es uns schließlich darum, ein Geflecht von Interessensgruppen zu kreieren, die die Figur Herrhausen immer mehr ins tödliche Visier nehmen. Das fand ich total interessant, weil es das, wie Thomas es dramaturgisch konstruiert hatte, so eigentlich noch nicht gab. Im Genre Thriller ist es ja so:  Eine Person wird gejagt und entkommt oder eben nicht. Die Person Herrhausen wird auch gejagt, da treffen wir das Genre. Aber Herrhausen rennt nicht weg. Er rennt voran. Das ist das Besondere. 

„Uns war wichtig, diese Charakterseite mit cineastischer Metaphorik zu erzählen und nicht konkret.“

Pia Strietmann

Wie sind Sie vorgegangen?

Pia Strietmann: Wir haben uns die Frage gestellt: Inwiefern ist Herrhausen diese Angst bewusst gewesen? Da sind wir immer in die Vermutung rein, in die Annahmen, und nicht mehr in die Recherchen. Wir wissen es nicht, wollen auch nicht beanspruchen, dass wir es wissen. Wir beantworteten es uns auf eine cineastische Art und Weise, dass wir immer wieder diese Möglichkeiten der Todesumstände erzählen, aber so erzählen, dass wir sie nicht von außen heraus erzählen, sondern es assoziativ machen, als wäre die Angst von ihm eine Möglichkeit, die er in seinem Kopf durchspielt. Herrhausen ist eine sehr smarte Person. Natürlich weiß er, was um ihn herum passiert, aber er will Angst und Zweifel nicht zulassen. Weil das, für was er auf der Welt ist, für etwas Größeres steht. Uns war wichtig, diese Charakterseite mit cineastischer Metaphorik zu erzählen und nicht konkret. Diese Idee hat uns dann auch an anderer Stelle, nämlich im Schnitt inspiriert. Die Bücher waren sehr chronologisch und die Stränge örtlich getrennt. Dieses Geflecht, wo alles ineinandergreift, entsteht erst sehr spät in der Geschichte, aber wir wollten es nun von Anfang an für den Zuschauer spürbar machen. Herrhausen läuft ja eben nicht vor jemandem weg, aber um ihn herum wird es immer verschlungener, auch wenn er darauf nicht reagiert. Das haben wir dann in der schnittlichen Dramaturgie durch assoziatives Erzählen hergestellt.

Gabriela Sperl: Die Dramaturgie, die im Schnitt entstanden ist, entspricht auch der Dramaturgie seines Lebens, weil er mit dieser Angst immer gelebt hat.

Pia Strietmann: Das wissen wir nicht!

Gabriela Sperl: Doch, das weiß ich. Von Mario Keller und Prinz Leiningen, die ihn kannten und denen er gesagt hat, dass er wisse, er werde nicht alt werden. „Die werden mich irgendwann erwischen“, soll er gesagt haben.

Pia Strietmann: Aber ist das eine Angst, die er nach außen getragen hat, saß er jeden Abend da und hat es zum Gegenstand seiner Gespräche gemacht? Das wissen wir nicht, das ist Interpretation.

Gabriela Sperl: Ja, es ist Interpretation. Durch den Schnitt haben wir reingeholt, dass es parallel das Bewusstsein um diese Angst gab. Natürlich hat er sie nicht nach außen getragen, ihm war das egal, er hat immer weiter gemacht. Weil ihm klar war: Wenn sie ihn erwischen wollen, erwischen sie ihn eh. Es war ihm immer bewusst, dass er gefährdet ist.

Pia Strietmann am Set mit Oliver Masucci (Credit: Gabriela Sperl Filmproduktion)

Frau Sperl: Was zeichnet Pia Strietmann als Regisseurin aus?

Gabriela Sperl: Ich wollte mit Pia schon lange arbeiten, schon seit sie mit dem Studium an der Filmhochschule fertig war. Aber es haben sich die Wege – wie es manchmal ist – nie gekreuzt, weil wir immer in anderen Projekten feststeckten. Als es dann um die Regiefrage bei „Herrhausen“ ging, hatte sie prompt Zeit…

Pia Strietmann: Ich habe das Gefühl, dass es dem Projekt guttat, mit einem weiblichen Regieblick betrachtet zu werden. Ich erinnere mich an sehr unterhaltsame, angeregte Diskussionen über die wenigen Frauenfiguren in dem Stoff. Ich hatte zunächst große Probleme mit der Figur der Sekretärin, Frau Pinckert. Dann gab es noch Traudl Herrhausen, die auch im Hintergrund, rein passiv agierte. Mir ist klar, dass man da in der Realität bleiben muss. Ich kann nicht zu dem Projekt stoßen, das auf jahrelange Recherche basiert, und sagen: So, wir stellen jetzt die Frauenfiguren nach vorn und die Männer nach hinten. Der Kontext von Politik- und Bankenwelt, in dem Herrhausen damals war, war nun mal rein männlich. Aber man kann die Frauenfiguren schärfen! Das war mir unglaublich wichtig! Mir war es ein Anliegen, die Sekretärin Frau Pinckert, Traudl Herrhausen oder die von Lisa Vicari verkörperte RAF-Terroristin eigenständig und eigensinnig zu inszenieren, ihnen einen eigenen Charakter zu geben, einen Charakter, der unabhängig und im Fall von Traudl und Frau Pinckert vor allem würdevoll agiert. In der Art, wie sie unabhängig und für sich denkend handeln, nicht als „an der Seite von“. Ansonsten, so finde ich, muss man bei einem Stoff wie Herrhausen der Realität und dem Drehbuch verpflichtet bleiben.

Gabriela Sperl: Der Blick von Pia hat sehr viel geholfen. Auch durch die Besetzung sind die Figuren noch mal geschärft worden. Traudl Herrhausen war jemand, die ihr Leben lang gearbeitet hat, die als Ärztin einen anspruchsvollen Job hatte. Und Frau Pinkert war als Chefsekretärin des Vorstands der Deutschen Bank auch kein Mäuschen. Ich bin auch sehr happy mit Bettina Stucky als Frau Schneider-Lenné, die ja eine richtige Karrierefrau war. Dass die weiblichen Figuren eine Eigenständigkeit erhalten haben, eine Wertigkeit, Raum bekommen haben, ist durch Pias Umsetzung supergut gelungen. 

„Wir waren uns immer alle einig, dass es ein moderner Film werden muss.“

Gabriela Sperl

Das verleiht dem Ganzen auch eine gewisse Modernität – ohne den historischen Kontext zu missachten…

Pia Strietmann: Genau. Der Blick auf die weiblichen Figuren war das eine. Die Modernität, mit der wir die Geschichte in Bezug auf Inszenierung, Look und Pace verfilmt haben, das andere. Wir haben uns dagegen gesträubt, alles in eine Achtzigerjahre-Ästhetik zu versenken. Mich interessiert das nicht, finde das zumeist kein gutes Erzählen, wenn man zu angestaubt erzählt. 

Gabriela Sperl: Das war ohnehin nie so geplant.  Wir waren uns da immer alle einig, dass es ein moderner Film werden muss.

Pia Strietmann: Nur weil „Herrhausen“ Ende der Achtzigerjahre spielt, muss ich da nicht genau diesen Schleier drüberlegen, weil ich einem Vintage-Revival gerecht werden will. In allen Entscheidungen, was Dramaturgie anbelangt, aber auch Szenenbild, Kostümbild, Maskenbild, Bildgestaltung, stand für alle im Vordergrund, es modern zu machen, relevant. Es sollte keine Distanz zum Heute geben. Wir haben die alte Geschichte mit Heutigkeit aufladen wollen. Außerdem wollten wir der Geschichte filmisches Leben einhauchen. Das Buch hatte einen großen Anspruch an die Realität, aber die Realität ist meistens gar nicht so spannend. Wenn man einen Spielfilm sieht, ist nicht die Realität das Wichtigste, sondern eine entschiedene Erzählung und dass es unterhaltsam ist.

Trotz der Modernität ist nichts verfälscht dargestellt. Die Serie strahlt eher eine Zeitlosigkeit aus.

Pia Strietmann: Das war genau die Gratwanderung. Mir war sehr wichtig, dass die Details stimmen, dass kein falsches Auto im Film ist, kein falsches Telefon, keine falsche Garderobe getragen wird. Aber all diese Dinge haben wir nie in den Vordergrund gestellt, wie das bei Fernseharbeiten hier und da der Fall ist, weil man die teuren Requisiten extra zeigen möchte oder weil eben alles so viel Aufwand war und man meint, das besonders ausstellen zu müssen. Bei uns stehen die Figuren, die Emotionen, die Spannung der Erzählung im Vordergrund. Dadurch entsteht ein gewisser Value. „Herrhausen“ sieht auch deswegen eher universell als deutsch aus, obwohl es eine so deutsche Geschichte ist. 

Gabriela Sperl: Das war auch das Ziel. Das mache ich auch bei allen anderen historischen Arbeiten, dass sie immer in der Jetztzeit ankommen. Das hat Pia ganz toll gemacht. Man sieht auch, wie teuer „Herrhausen“ war. Das kann man absolut wahrnehmen. Die Serie hat ein ganz anderes Value als die meisten deutschen Fernsehproduktionen.

Der internationale Value wurde auch schon honoriert mit der Einladung zu Séries Mania nach Lille…

Pia Strietmann: Das war Wahnsinn. In vielen Gesprächen wurde immer wieder gesagt, dass die Serie sich so universell anfühlt. Im Kontext einer so deutschen und wahren Geschichte, ist das eigentlich die größte Anerkennung, das größte Lob, weil wir offenbar unser Ziel erreicht haben. 

Spüren Sie denn auch in Ihrer Karriere internationalen Aufwind?

Pia Strietmann: Ja, sehr. Ich bin aktuell in Los Angeles, weil wir durch „Herrhausen“ und den Aufschlag im internationalen Wettbewerb in Lille auch in Amerika viel Aufmerksamkeit bekommen haben. Mal sehen, was kommt.

Das Gespräch führte Barbara Schuster

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