Login

Philipp Fussenegger und Judy Landkammer: „Du bist gut so, wie du bist!“

Am Donnerstag startet mit „Teaches of Peaches“ der neue Dokumentarfilm von Philipp Fussenegger und Judy Landkammer, produziert von Cordula Kablitz-Post, der in engem Austausch mit dem Underground-Kultstar entstand und verblüffende Einblicke in ihr Leben und Schaffen gibt.

Philipp Fussenegger & Judy Landkammer arbeiten seit fast zehn Jahren zusammen; bei „Teaches Of Peaches“ treten sie erstmals auch als kreatives Regie-Duo auf (Credit: Philipp Fussenegger, Lorena Juan)

In Ihren Worten: Wer ist Peaches?

Philipp Fussenegger: Also, Peaches ist für mich Merrill Nisker, eine Kanadierin, die nach Berlin gezogen ist und dort einen Ort gefunden hat, wo ihre Musik gefeiert wird, besser gesagt, wo ihre Karriere in den 2000er Jahren richtig Fahrt aufgenommen hat. Sie ist eine wahnsinnig gute Sängerin, die wichtige Themen in ihrer Musik und Kunst als Performerin oder Künstlerin verarbeitet, wie zum Beispiel Body Positivity, Gleichberechtigung, Trans Rights, Abortion Rights, Sex Positivity, intersektionaler Feminismus usw. Ich finde sie eine wahnsinnig inspirierende Persönlichkeit, die sich auch ihrer Verantwortung bewusst ist, die sie ihren Fans gegenüber hat. In Bezug auf mich war sie immer sehr verständnisvoll und offen für den Dialog, und ich habe sie als sehr liebenswerte, familiäre Person erlebt.

Judy Landkammer: Peaches ist ein künstlerisches Powerhouse, eine Person, die ständig an irgendwas bastelt und sich immer wieder neu erfindet. Um sie herum hat sich so eine Art „Peaches-Universum” gebildet, bei dem kreativer Austausch und Wachstum im Zentrum stehen.

Wie ist Ihre persönliche Verbindung zu Peaches? Wann sind Sie erstmals auf Sie aufmerksam geworden? Was bedeutet Sie Ihnen?

Philipp Fussenegger: Ich glaube, dass ich dieses Album zum ersten Mal während meiner Teenager-Zeit gehört habe. Es lief rauf und runter, als ich das erste Mal mit einem Cis-Mann Sex hatte.

Judy Landkammer: Als ich 2009 mit Anfang 20 nach Berlin zog, bin ich zum ersten Mal mit ihrer Musik in Berührung gekommen. Die Energie ihres Albums „The Teaches Of Peaches“ war genau das, was ich damals gebraucht habe. Ich denke, Peaches hat von Anfang an viele queere Menschen angezogen, weil die Botschaft schon immer lautete: „Du bist gut so, wie du bist. Geh deinen eigenen Weg und lass dich nicht einschüchtern” – mit einem kleinen Mittelfinger in Richtung des Patriarchats und all den aufgezwungenen Normen, die damit einhergehen.

Was macht Peaches zu einem geeigneten Sujet für einen Dokumentarfilm? Wie nahm das Projekt seinen Ausgang?

Philipp Fussenegger: Unsere Produzentin Cordula Kablitz-Post hat dieses Projekt initiiert. Ich bin dann ziemlich spät als Regie ins Projekt eingestiegen, kurz vor der Anniversary Tour. Die Grundidee zu Beginn war natürlich, das Album „The Teaches of Peaches“ im Zusammenhang mit der Jubiläumstour zu betrachten. 25 Jahre später stellt sich die Frage, was von Peaches‘ Themen, Songs etc. geblieben ist und welche Auswirkungen sie auf die Popkultur hatte. Das war also der Ausgangspunkt.

Judy Landkammer: Es gibt viele Fans – alt wie neu -, die erzählen, dass Peaches einen großen Einfluss auf ihre persönliche Entwicklung gehabt hat oder ihre Musik und Kunst ihnen in Lebensmomenten wie z.B. einem Coming Out geholfen hat. Black Cracker bringt es im Film auch gut auf den Punkt, wenn er sagt, dass Peaches oft für Menschen einsteht, die nicht unbedingt für sich selbst – aus welchen Gründen auch immer – sprechen können. Und das macht sie seit über zwei Jahrzehnten, was natürlich mehr als genug Stoff für einen (oder mehr) Dokumentarfilme bietet. 

Bei der Premiere auf der Berlinale (Credit: farbfilm verleih / Oliver Walterscheid)

Was für ein Film schwebte Ihnen vor? Es gäbe ja nun unzählige Ansätze… Was macht Ihren Film besonders – von Peaches abgesehen, wohlgemerkt?

Philipp Fussenegger: Mit meinem Hintergrund, besonders durch meine Arbeit an „I Am The Tigress”, einem Film über eine amerikanische Bodybuilderin aus der Bronx, versuche ich natürlich immer auch hinter die Kulissen zu schauen und die Menschen hinter der Bühnen-Persona zu finden und zu porträtieren. Ich denke, das ist uns durch die Verbindung des Archivmaterials und auch die Interviews mit ihr nahe stehenden Personen gelungen. Ich glaube, was den Film besonders macht, ist, dass wir als Team gemeinsam daran gearbeitet haben, ihn zu konstruieren, und zwar auch in stetigem Austausch mit Peaches. Sie war ziemlich involviert in diesem Prozess, und wir haben viele Dinge gemeinsam erarbeitet und verbessert. Das verkörpert auch den Geist von Peaches – Inklusivität, kollektive Arbeit und Community Building. Wir haben es geschafft, das gut in den Film zu übersetzen.

Judy Landkammer: Der Film sollte queerer „Feel Good Movie“ werden, der die Zuschauer:innen mit positiver Energie aus dem Kino entlässt – egal, ob sie Hardcore-Fans sind oder den Film nur zufällig entdeckt haben. Wir wollten subtile Botschaften zu verschiedenen Themen vermitteln, ohne belehrend zu sein, ähnlich wie Peaches bestimmte Botschaften u.a. zu Queerness, Altern, Körper- und Sex-Positivität vermittelt. Unser Fokus lag nicht darauf, Dramen aus ihrer Karriere oder ihrem Privatleben auszuschlachten, wie es viele Dokumentarfilme über Musiker:innen und Künstler:innen tun. Wir haben bewusst darauf verzichtet, Dramen und Tragödien in den Mittelpunkt zu stellen.

Wie waren Ihre ersten Begegnungen mit Peaches? Wie sahen die ersten Gespräche aus? Wie haben Sie sie überzeugt, einem Film über sich zuzustimmen?

Philipp Fussenegger: Da ich wie gesagt recht spät ins Projekt einstieg, wurde ich eher ins kalte Wasser geschmissen. Dadurch hatte ich kaum Zeit für umfassende Vorbereitungen, was letztendlich jedoch von Vorteil war. Dadurch ging ich recht unvoreingenommen in das erste Treffen mit Peaches. Es war ein angenehmes Gespräch auf Augenhöhe, in dem wir uns unter anderem über unsere Väter und meinen vorherigen Film „I am the Tigress“ unterhalten haben.

Judy Landkammer: Nachdem Philipp den ersten Kontakt mit Peaches hatte, haben wir uns als Team vorgestellt, welches schon viele Jahre zusammenarbeitet – Philipp als Regie, Dino Osmanović als DOP, neuestes Mitglied Susanne Heuer als Dramaturgie und ich als Schnitt und in diesem Fall zum ersten Mal Co-Regie. Wir haben darüber gesprochen, welche Werte und Arbeitsweisen uns wichtig sind. Unser Fokus liegt weniger auf dem einzelnen Ego, sondern vielmehr auf einem offenen Gedankenaustausch und intensiver Teamarbeit. Das hat bei Peaches großen Anklang gefunden.

Peaches (Credit: Bell Media Inc.)

Bild 4 von 4

Wie haben sich die Dreharbeiten gestaltet? Was hatten Sie sich vorgenommen?

Philipp Fussenegger: Die Dreharbeiten waren sehr stressig.. z.B. als wir mit Peaches auf Tour waren, sind wir in Vancouver (Kanada) gestartet und dann die Pazifikküste entlang nachgereist. Es waren nur Dino Osmanović und ich vor Ort. Peaches und ihre Crew sind mit dem Tourbus gefahren und wir sind mit dem Auto nachgefahren. Da wir nur zu zweit waren, mussten Dino und ich uns mit dem Fahren abwechseln. Die zehn, zwölf Tage, die wir unterwegs waren, weil sie ja fast jeden Tag ein Konzert hatten, konnten die anderen im Tourbus schlafen, wir mussten im Auto nachfahren. Der Running Gag war, dass wir immer ein bisschen spät dran waren. Klar, wir mussten auch mal kurz pennen… Ich bin froh, dass man das im Film nicht merkt. Zudem habe ich neben Regie auch gleichzeitig den Ton gemacht und war Digital Assistant. 

Judy Landkammer: Allein schon durch diese Limitierungen beim Dreh war klar, dass es kein Film mit einer Chronologie im klassischen Sinn werden würde. So ist auch die Idee entstanden, zwischen den Zeitebenen hin und her zu springen und oft auch Peaches’ Songs als Kleber zu benutzen. Das klingt jetzt einfach, war’s aber nicht 😉 Denn den großen roten Faden und die ganz vielen kleinen Feinheiten und Verwebungen zu bauen, verlangte sehr intensive Arbeit und viel Geduld im Schnittraum. 

Gab es Dinge/Themen, die tabu waren? 

Philipp Fussenegger: Ja, wir haben uns am Anfang relativ schnell darauf geeinigt, dass es um die Musik und das Album „The Teaches of Peaches“ gehen soll, sowie alles, was in diesem Zusammenhang steht, also was vor 25 Jahren für die Entstehung des Albums wichtig war und was während seiner Veröffentlichung geschah. Nur das Archivmaterial Ende der 1990er und Anfang 2000er Jahre wurde verwendet – neben den Unmengen von Aufnahmen der „The Teaches Of Peaches“ Anniversary Tour.

Judy Landkammer: Die Zeit dazwischen, in der sie als Künstlerin unzählige Projekte gemacht und auch nach diesem Album viel Erfolg hatte, haben wir komplett ausgeklammert, da dies den Rahmen des Films gesprengt hätte. Wir haben uns auch darauf geeinigt, ihre Familiengeschichte und ihre Eltern, sowie alles, was damit zusammenhängt, nicht im Film zu behandeln, da es für uns auch einfach nicht im Fokus stand. Stattdessen wollten wir uns darauf konzentrieren, wie Merrill Nisker zur queer-feministische Ikone Peaches wurde und für was und wen sie (ein)steht.

Bei einem Dokumentarfilm spielt das Moment Zufall immer eine Rolle: Man kann noch so viel planen, beim Dreh kommt dann doch immer das Leben dazwischen. Wie sah das bei Ihrem Film aus?

Philipp Fussenegger: Ja, das ist in der Tat eine große Herausforderung bei dieser Arbeit. Man versucht, die Dinge so gut wie möglich zu planen, aber das Leben wirft oft alles durcheinander. Es ist wichtig, loszulassen und flexibel zu sein, wenn das ursprüngliche Konzept nicht funktioniert. Man muss offen sein für alternative Möglichkeiten und mit offenen Augen und Ohren am Set arbeiten. Bei diesem Film war sehr viel harte Arbeit und Ausdauer gefordert. Wir haben kontinuierlich am Schnitt gearbeitet, den Film verbessert und verdichtet, neue Themen eingewoben und für den Film unwichtige Elemente entfernt. Unser ernsthafter und liebevoller Umgang mit dem Medium des Dokumentarfilms hat Peaches am Ende wirklich überzeugt und uns alle nötigen Türen geöffnet.

Gab es einen Moment beim Dreh, an dem Sie gemerkt haben: Das ist unser Film, jetzt haben wir’s!

Judy Landkammer: Die Struktur von „Teaches Of Peaches“ wurde ausschließlich im Schnittraum geschrieben, Schritt für Schritt haben wir uns herangetastet, daher gab es so einen Schlüsselmoment während der ersten Aufnahmen – und selbst nach der Anniversary Tour – nicht. Am Anfang hatten wir einen enormen Berg von privatem Archivmaterial, über jede Menge Aufnahmen in verschiedenen Kameraeinstellungen von den Konzerten bis hin zu diversen Proben. Allerdings wurden die Auswahl der Interviewpartner:innen und die konkreten Fragen gemeinsam mit unserer Dramaturgen Susanne Heuer im Schnittraum erarbeitet, wodurch u.a. eine sehr wichtige Stimme, nämlich die von Black Cracker, in Form eines zusätzlichen Interviews später im Arbeitsprozess gedreht und in den Film eingearbeitet wurde. Bis zum Endergebnis gab es unzählige Schnittversionen. Die allererste Version hatten wir Peaches schon recht früh gezeigt, mit dem Wissen, dass die Struktur noch viel Arbeit braucht. Uns war aber auch hier der Dialog und das Feedback schon in einem rohen Stadium wichtiger als das Ego oder die Angst vor Kritik.

Was reizt Sie an der Form Dokumentarfilm?

Philipp Fussenegger: Ich muss gestehen, ich habe alle meine Dokumentar Seminare an der Filmakademie in Köln geschwänzt. Ich wollte nie Dokumentarfilme machen, sondern mich auf Spielfilme konzentrieren. Doch das Universum sagte: „So nicht, Philipp. Als Strafe musst du jetzt drei Dokumentarfilme machen!“ Ein Dokumentarfilm über den KitKat Club ist in der Mache und kommt hoffentlich nächstes Jahr raus. Ich hoffe, dass ich dann meinen Soll erfüllt habe und wieder Spielfilme machen kann 😉 Und ja, ich habe auch während dieses Prozesses angefangen, Dokumentarfilme zu lieben. Aber ich finde es auch sehr nervenaufreibend, so wenig Kontrolle zu haben und das ist wahrscheinlich auch der Reiz, der vom Dokumentarfilm ausgeht, da er von vielen Faktoren abhängt und oft auch von einer Portion Glück und davon, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

Judy Landkammer: Mich als Film-Editorin reizt die Unvorhersehbarkeit und dieses Puzzle-Spiel im Schnittraum. Fiktive Geschichten, für die es vorab schon ein Drehbuch gibt, werden auch oft nochmal neu im Schnittraum angeordnet und erzählt, viele Szenen und Einstellungen landen sogar in der imaginierten Mülltonne, aber grundsätzlich steht da schon vieles fest und es bleibt nicht so viel Raum für Überraschungen. Beim Dokumentarfilm weiß man zu Anfang kaum, wo einen die erste Idee und die darauf folgende Reise tatsächlich hinführen. Aber auch ich hatte nicht geplant, die Form des Dokumentarfilms zu meinem kreativen Mittelpunkt zu machen – seit gut fünf bis sechs Jahren ist das allerdings so. Mal sehen, wie sich das entwickelt.

Philipp Fussenegger, Peaches und Judy Landkammer bei der Berlinale-Premiere von „Teaches of Peaches“ (Credit: IMAGO / Future Image)

Was muss ein Sujet mitbringen, dass es Sie reizt?

Philipp Fussenegger: Ja, das versuche ich auch ein bisschen herauszufinden, in der Reflexion. Auf jeden Fall muss ich einen persönlichen Bezug dazu haben. Zum Beispiel reizen mich Geschichten über „Aliens“ in unserer Gesellschaft, die andersartig sind und für Respekt kämpfen oder einfach nur anders denken, wodurch ich mich total angesprochen fühle. Ich glaube, das ist vielleicht der Kern des Reizes für mich.

Judy Landkammer: Bei mir ist das wahrscheinlich ähnlich – sich selbst auf die eine oder andere Weise wiedererkennen, in einem Thema oder Mensch wiederfinden zu können, und nicht ausschließlich Beobachter:in zu sein. 

Wie ordnen Sie rückblickend „Teaches of Peaches“ ein? Welchen Stellenwert genießt er bei Ihnen?

Judy Landkammer: Rückblicken kann ich noch gar nicht richtig, da wir noch mitten im ganzen Festival- und Kinostart-Trubel stecken. Aber eines kann ich sagen: obwohl ich den Film jetzt schon so oft gesehen habe und weiß, wie viel Schweiß im Arbeitsprozess floss, habe ich jedes Mal wieder Spaß, ihn auf der großen Leinwand anzuschauen und die positiven Reaktionen und auch Lacher des Publikums zu beobachten. Es mag kitschig klingen, aber das wärmt mein Herz. 

Philipp Fussenegger: Dem schließe ich mich an. Und der Teddy Preis, den wir im Rahmen der diesjährigen Berlinale in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“ gewonnen haben, ist natürlich das i-Tüpfelchen. 

Das Gespräch führte Barbara Schuster