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Narges Kalhor über „Shahid“: „Ich hatte das Bedürfnis, auszubrechen“

Am 1. August startet im Verleih von Schmidbauer-Film „Shahid“ von Narges Kalhor. Wir sprachen mit der in Deutschland lebenden iranischen Filmemacherin darüber, wie sie die wilde Form dieses sehr autobiografisch gefärbten Stoffes fand und was sie auf der erfolgreichen Festivalreise bereits erlebt hat. 

Narges Kalhor (Credit: Schmidbauer Film)

Das visuelle Konzept Ihres ersten Spielfilms sprengt alle Rahmen. Es gibt fiktive Elemente, dokumentarische, es erinnert beizeiten an Theater und hat Tanzelemente. War Ihnen sofort klar, welche Form dieser Film haben sollte?

Narges Kalhor: Ich habe sowohl in Iran Film studiert als auch später dann in Deutschland, an der HFF München. Ich habe das Gefühl, zu viel studiert zu haben. Es wird einem regelrecht eingehämmert, dieses perfekte Kino, das vor allem diese perfekten Männer seit 100 Jahren schaffen. Ich hatte das Bedürfnis, auszubrechen. Ich wollte keinen Genrefilm machen, der in einen bestimmten Rahmen, in eine bestimmte Schublade passt. Ich wollte weder Komödie noch Musical etc nach Lehrbuch umsetzen, wollte weg von den im Studium gelernten Inhalten. Dagegen habe ich mich bei „Shahid“ verwehrt. Ich glaube auch, dass die weibliche Erzählung anders funktioniert. Sie ist nicht schwarzweiß, sie ist von Haus aus eine Mischung aus allem. Wir haben keine Heldenreise, die nach einer genauen Vorgabe funktioniert, sondern wie unsere Hormone manchmal verrückt spielen, können wir in einer Sekunde lachen, in der nächsten weinen. So ist das Leben. Diese Vielfältigkeit wollte ich in neunzig Minuten erzählen, und zwar so, dass die Kinozuschauer trotzdem alles nachvollziehen können. Von außen mag „Shahid“ ein bisschen wild erscheinen, so, dass man nicht alles sofort einordnen kann. Aber im Kern haben wir drei Akte, eine klassische Dramaturgie. 

„Shahid“ ist ein sehr persönlicher Film, stark autobiografisch gefärbt. Inwiefern unterscheidet sich die Mentalität bezüglich des Filmemachens in Iran von der in Deutschland?

Narges Kalhor: Ich habe in Iran Kurzfilme gemacht, die nie persönlich, autobiografisch waren, aber bereits sehr politisch. Film wird als Film betrachtet, nicht unbedingt in bestimmten Kategorien wie Doku/Fiction oder Dokufiction. Meine Freunde und ich haben immer ohne Genehmigungen, illegal gedreht, mit sehr, sehr wenig Geld. Natürlich haben auch dort alle den Wunsch, gute Filme, gutes Kino zu schaffen. Die Bildsprache ist sehr wichtig in Iran, das Bild steht über allem. In München war ich in der Dokumentarfilmabteilung von Heiner Stadler. Hier wurde sehr viel Wert gelegt auf die Form, wie man erzählt. Aufgrund meines Backgrounds musste ich viel über mich erzählen und meine Filme wurden automatisch biografisch. Festgestellt habe ich, dass ich in Deutschland mehr um meine Bilder kämpfen muss. Eigentlich ist die Mischung aus beiden Filmmentalitäten schön, einerseits das Losziehen, tun, einfach machen, andererseits das genaue Durchdenken, einen Film wirklich bis zu Ende zu denken, ihm eine innere Ordnung verpassen.

„Shahid” (Credit: Leonie Huber/Michael Kalb Filmproduktion)

Ihr Film feierte auf der Berlinale Weltpremiere und reiste anschließend auf verschiedene Festivals weiter. Was haben Sie in den Gesprächen mit dem Publikum erlebt? Welche Fragen werden gestellt?

Narges Kalhor: Ich bin sehr glücklich über die Reise meines Films. Bis dato habe ich um die 15 Screenings samt Q&As miterlebt, in Deutschland, aber auch anderen europäischen Ländern. Interessant fand ich, dass jede Kultur anders auf die Geschichte blickt. Das Publikum in Palermo und Rom hatte sofort einen Zugang zur Märtyrerthematik mit den Tänzern, weil das sehr nah an ihren Renaissancebildern ist und sie diese Metapher sofort gecheckt haben. Es kamen generell sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund in die Screenings, die sehr berührt waren von der Thematik, manchmal so sehr, dass sie auch weinen mussten. Das hat mich wiederum sehr berührt. Viele haben mir gedankt für den Film, weil er ihnen aus dem Herzen spricht, weil er nicht von oben herab erzählt ist, sondern aus ihrem Blickwinkel. Beim deutschen Kinopublikum, das keinen Migrationshintergrund hat, habe ich festgestellt, dass oft das nötige Wissen hinsichtlich iranischer Gesetze fehlt, was es nicht ganz leicht macht, in die Geschichte reinzukommen. Trotzdem waren alle von der visuellen Umsetzung gepackt, der Musik, den Tanzelementen, den Miniaturbildern, die sie in eine neue Welt entführen.

„Jeder darf meinen Film zeigen, sofern nichts gekürzt oder zensiert wird.”

Sicher ist es sehr unwahrscheinlich, dass Ihr Film auch in Iran gezeigt wird?

Narges Kalhor: Es gibt viele Anfragen aus der Untergrundbewegung. Angedacht ist viel, natürlich alles illegal. Die interessieren sich, warten auf meinen Film. Ich bin sicher, dass sie ihn auch zeigen. Mein Produzent Michael Kalb und ich haben deutlich gesagt, dass wir gegen jeglichen Boykott von Kunst und Kultur sind. Jeder darf meinen Film zeigen, sofern nichts gekürzt oder zensiert wird. Dass das iranische Regime ihn zeigt, ist sehr unwahrscheinlich. Schließlich beginnt die Geschichte mit einer nackten Frau auf dem Boden! Außerdem zeige ich eine Frau singend auf der Straße. Das ist ebenfalls verboten in Iran. Frauen dürfen in der Öffentlichkeit nicht als Solo singen. 

„Shahid“ (Credit: DOK.fest München)

Es ist alles andere als leicht, deutsche Filme im Kino auszuwerten. Sie haben mit „Shahid“ Schmidbauer-Film als Verleihpartner an Bord. Was zeichnet sie aus?

Narges Kalhor: Ich finde es erschreckend, dass es deutsche Produktionen so schwer haben in den deutschen Kinos. Erst einmal rechne ich es meinem Produzenten Michael Kalb hoch an, dass er den Film mit mir durchgezogen und mir von Anfang an Vertrauen entgegengebracht hat. Ebenso Andreas und Tanja Schmidbauer, die bereits auf Drehbuchbasis eingestiegen sind. Sie wollen Independent-Projekte unterstützen, wie „Shahid“ es eines ist ,und mochten schon meinen Dokumentarfilm „In the Name of Sheherazade“. Alle waren mit großer Leidenschaft dabei. Das ist toll. Nicht gut ist, dass die deutschen Kinos so wenig Plätze für deutsche Filme freiräumen und lieber die großen amerikanischen Filme oder ausländischen Festivalerfolge zeigen. Das kann nicht sein. Wenn die deutschen Filme nicht gezeigt werden oder nur ein Nischendasein fristen, kann man sich auch kein eigenes Bild machen. Es herrscht allgemein das Vorurteil, deutsche Filme seien schlecht. Aber das stimmt nicht. Es gibt tolle deutsche Filme, aber die schaffen es nicht ins deutsche Kino.

Das Gespräch führte Barbara Schuster