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Claudia Overath: „Der Branche ein Gesicht geben“

Die Kinobranche als Arbeitgeber stärker in den Köpfen der Menschen zu platzieren, ist Ziel eines spannenden Projekts, das Claudia Overath im vergangenen Jahr aus der Taufe hob. Wir sprachen mit ihr über den aktuellen Stand bei KINO&ICH – und darüber, was junge Menschen motiviert, in einer Branche zu arbeiten, die sich immer einmal wieder als „gefährdet“ bezeichnen lassen muss.

Henriette Muhr, Johanna Guber, Christine Fischer, Claudia Overath und Erich Pannier beim Kampagnen-Shooting im Kölner Cinedom (Credit: Claudia Overath)

Als Leiterin des CinemaCampus bei der rmc medien + kreativ consult ist Claudia Overath der Kino-Nachwuchs seit vielen Jahren zentrale Herzensangelegenheit. Seit vergangenem Jahr arbeitet sie an einem Projekt, das der Außendarstellung der Kinobranche als Arbeitgeber einen entscheidenden Schub verpassen und interessierten Personen den Weg in einen Beruf ebnen soll, der das Potenzial hat, zur Berufung zu werden. Einst unter dem Arbeitstitel job@cinema gestartet, hat sich bei diesem Projekt einiges getan. Wir konnten mit Claudia Overath zwischen zwei Shootings im Kölner Cinedom über den aktuellen Stand und ihre Pläne sprechen – und darüber, was Menschen motiviert, ihre Karriere in einer Branche zu suchen, die immer mal wieder mit Unkenrufen bedacht wird.

Gerade erst durften Sie beim Kinokongress wieder Absolventinnen und Absolventen des Fernstudiums für Filmtheatermanagement verabschieden – und der Jahrgangsbeste ging gleich mit mahnenden Worten auf die Bühne. Blauäugig scheint man diesen Karriereweg jedenfalls nicht zu beschreiten.

Claudia Overath: Nein, das wirklich nicht. Schließlich weiß man um die Unkenrufe, weiß, dass das Kino immer wieder als „gefährdet“ in die Schlagzeilen gerät – vor allem natürlich im Zuge der Pandemie. Aber wer sich für diese Branche entscheidet, weiß auch um seine Kraft, um die Emotionen, für die das Kino steht; weiß vor allem, dass es sich nie unterkriegen lässt. Es mangelt also weder an Optimismus noch an Motivation – und unser diesjähriger Jahrgangsbester Oliver Flothkötter aus der Lichtburg Essen ist ein Paradebeispiel dafür. Denn der Anspruch, den er auf der Bühne zum Ausdruck gebracht hat, ist jener, gerade auch jene Menschen abzuholen, bei denen das Kino nicht auf der Agenda steht oder über die Pandemiejahre hinweg schlicht in Vergessenheit geraten ist. Ich finde es großartig, dass junge Menschen mit einer solchen Motivation antreten. Und ich freue mich, dass es bundesweite Initiativen wie das wunderbare Kinofest gibt, die solche Ambitionen unterstützen.

„Persönlichkeit und Individualität, die die Beschäftigten mitbringen, sind in dieser Branche ein großes Asset.“

Claudia Overath

Was motiviert junge Menschen Ihrem Eindruck nach, ihre berufliche Zukunft im Kino zu suchen?

Claudia Overath: Dass wir es in unserem Kurs mit hochmotivierten Menschen zu tun haben, zeigt schon die Tatsache, dass sie bereit sind, neben ihrem Job noch zehn Stunde die Woche zusätzlich aufzuwenden, um sich fortzubilden. Interessant ist, wie viele dieser jungen Leute das Berufsfeld Kino eher zufällig entdeckt haben. Viele kommen ursprünglich aus anderen Branchen, haben mit dem Kinoberuf aber eine regelrechte Berufung entdeckt. Es ist vor allem die Vielfältigkeit der Tätigkeiten in unserer Branche, die das ausschlaggebende Momentum ist. Im Kino zu arbeiten bedeutet schließlich viel mehr als Karten abzureißen oder Popcorn zu verkaufen. Man merkt schnell, dass man hier einen Auftrag hat – für die Gesellschaft, die Jugend, die Kultur. Deswegen zieht diese Branche Menschen an, die gerne kreativ und vielfältig arbeiten, bei denen aber auch das wirtschaftliche Denken nicht zu kurz kommt. „Einmal Kino, immer Kino“ ist tatsächlich ein Spruch, der immer wieder fällt. Das hat auch viel mit der Branche an sich zu tun. Denn auch das höre ich sehr oft: Sie ist wie eine große Familie, man gehört sehr schnell dazu. Eine Aussage, die mich besonders beeindruckt hat, kam unlängst von Julia Knabe vom Cineplex Mannheim: „Ich kann in der Kinobranche ich selbst sein!“ Sie bringt damit etwas ganz Wesentliches auf den Punkt: Persönlichkeit und Individualität, die die Beschäftigten mitbringen, sind in dieser Branche ein großes Asset. Sie sind Teil dessen, was die Einzigartigkeit jedes Hauses ausmacht. Das kann kaum eine andere Branche bieten – und das motiviert ungemein.

Kollidiert die teils doch recht trockene betriebswirtschaftliche und rechtliche Materie denn mit manchen Vorstellungen von einer Tätigkeit in einer emotional belegten Branche?

Claudia Overath: Das tut sie mitunter durchaus, da fällt dem einen oder anderen im Kurs schon mal die Kinnlade runter. Da trennt sich dann schon mal die Spreu vom Weizen. Da wird sehr schnell klar, wer Unternehmer werden möchte – oder zumindest denken und agieren wie ein Unternehmer. Das sind dann auch die Leute, die man in den Positionen der Theater- und Betriebsleitung oder deren Assistenz findet. Die Erlebnisse schaffen, die aber auch vor Deckungsbeitragsrechnung nicht zurückschrecken.

Macht sich der vielfach beschworene Fachkräftemangel denn auch bei der Zahl der Kursteilnehmer bemerkbar? Oder ist das ähnlich wie in der Produktion: Das Interesse an der ersten Reihe ist hoch, nur jenes an der zweiten zu niedrig…?

Claudia Overath: Ganz pauschal lässt sich letzteres nicht unbedingt sagen. Es gibt Menschen, die in der sogenannten zweiten Reihe absolut glücklich sind, die genau da sind, wo sie sein möchten. Weil man auch dort ein breites, verantwortungsvolles Tätigkeitsfeld vorfindet, das auch viel Gestaltungsspielraum bieten kann. Vor allem auch Aufstiegschancen für diejenigen, die sich das wünschen – wie unsere Absolventinnen und Absolventen, von denen sich viele nach oben gearbeitet haben; von denen viele eigentlich nur eine Nebenbeschäftigung während eines Studiums gesucht haben, um dann zu erkennen, dass da mehr geht. Und dass sie mehr wollen. Das allein reicht aber nicht, wenn wir den Bedarf der Branche an Fach- und Arbeitskräften decken wollen, wobei es schon richtig ist, dass die unteren Bereiche am schwierigsten voll zu besetzen sind. Das hat aber natürlich auch mit dem zahlenmäßigen Verhältnis der Positionen an sich zu tun. Der Mangel zeigt sich auch im Führungsbereich, auch und gerade dort, wo es um Betriebsnachfolge geht. Deswegen sind wir als Branche nicht nur gefordert, die Menschen als Gäste im Kino abzuholen. Sondern auch als potenzielle künftige Beschäftigte.

Hanna Szczepkowska, Surija Rattanasamay, Julia Knabe, Claudia Overath und Marco Schmidt bei der zweiten Runde der Fotoshootings im Cinedom (Credit: Claudia Overath)

Genau daran wollen Sie mit einem Projekt arbeiten, das derzeit konkrete Formen annimmt?

Claudia Overath: Richtig. Den Anstoß dazu gab die Erkenntnis, dass die Kinobranche als Arbeitgeber in den Köpfen der Menschen kaum auftaucht – und wenn dann eben nur mit dem Bild von Popcornverkauf und Ticketentwertung im Kopf. Das wird diesem spannenden und abwechslungsreichen Tätigkeitsfeld in keiner Weise gerecht – und erst recht nicht den Perspektiven, die es bietet. Schauen Sie sich nur an, wie viele Lebensläufe zum Beispiel bei den großen Verleihern mit einer Kinotätigkeit beginnen. Mit unserem Projekt wollen wir in einem ersten Schritt die grundlegende Basis dafür schaffen, dass Kinos vor allem im Netz als Arbeitgeber sichtbar werden – und das in ihrer ganzen Vielfältigkeit. Wir wollen erklären, was diese Branche ist, was sie ausmacht, welche Tätigkeitsfelder dort existieren, welche Kenntnisse und Fähigkeiten gefragt sind, welche Aufstiegsmöglichkeiten es gibt. Konkret für jeden einzelnen Kinotyp. Schließlich kann ein und dieselbe Position in der Realität ganz unterschiedliche Gestalt annehmen, je nachdem, ob man in einem Familienbetrieb, einer internationalen Kette, in einem Arthousekino, einem kommunalen Kino, oder einem großen Multiplex tätig ist. Diese Informationen sollen aber nicht nur als trockene Faktensammlung präsentiert werden. Wir wollen Interessierte direkt mit hinter die Kulissen nehmen, wollen der Branche im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht – genauer gesagt viele Gesichter – geben, indem wir Beschäftigte selbst zu Wort kommen lassen, die uns auf ihren Berufsweg mitnehmen, uns ihren Alltag schildern. Wir wollen dazu motivieren, sich über Karriereoptionen zu informieren – und wollen gerade auch jenen Mut machen, es zu tun, die sich womöglich noch nicht ausreichend qualifiziert fühlen. Oder die generell auf der Suche nach beruflicher Orientierung sind, egal mit welchem Abschluss.

Das soll aber nur der erste Schritt sein?

Claudia Overath: Wir müssen erst einmal sehen, was im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Mittel möglich ist. Vielleicht lässt sich schon eine Art erster Basisbörse einrichten, in der Kinos proaktiv auf offene Stellen hinweisen können. Unsere Vorstellungen gehen aber natürlich viel weiter. Für mich ist die Kampagne „Das Handwerk“ ein großes Vorbild, denn in deren Rahmen konnte vieles von dem, was uns vorschwebt, geradezu mustergültig umgesetzt werden. Wir sprechen dort aber auch von einer ganz anderen finanziellen Ausstattung, von einer Branche mit vielen großen Verbänden, die die Dachkampagne gemeinschaftlich tragen. Wir freuen uns sehr darüber, dass die FFA unser Projekt mit knapp 200.000 Euro unterstützt, nur so war es mir auch möglich, die notwendige personelle Unterstützung zu erhalten – und ich freue mich außerordentlich, dass mir mit Henriette Muhr und Dennis Perlin zwei so tolle und motivierte Kollegen zur Seite stehen, die die Branche in- und auswendig kennen. Wir haben wirklich interessante Pläne, darunter nicht zuletzt eine Jobbörse, bei der Arbeitgeber und Arbeitsuchende Profile anlegen können, die ein „Matchmaking“ zwischen Anforderungen und Kenntnissen bzw. Interessen ermöglichen, auch differenziert nach Kinotypen. Für solche Zukunftswünsche bräuchten wir aber mehr Kapital.

„Es ist wirklich großartig, wie positiv die Idee aufgenommen wird.“

Claudia Overath

Das perspektivisch woher kommen soll?

Claudia Overath: Das muss sich noch zeigen. Am schönsten wäre es natürlich, die Branche selbst als Unterstützer auch im finanziellen Sinne gewinnen zu können. Schließlich ist sie es, die von der Plattform profitieren soll. Da bin ich eigentlich zuversichtlich, zumal wir schon jetzt enormen Zuspruch erfahren. Es ist wirklich großartig, wie positiv die Idee aufgenommen wird. Wir müssen jetzt aber erst einmal etwas Vorzeigbares abliefern, dann kann man über die weiteren Schritte sprechen, vielleicht auch noch über weitere Förderanträge.

Wie sieht denn der konkrete Zeitplan aus?

Claudia Overath: Aktuell hoffen wir, schon im August rund um die Filmtage Köln etwas vorzeigen zu können und online zu gehen. Das wäre aber nur ein Start, die Seite hätte zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Gesicht, das sie am Ende bekommen soll; sie soll ja mit Beteiligung der Branche kontinuierlich wachsen. Im Idealfall können wir bis September auch einen Spot fertig produzieren, der dann auf dem Kinofest eingesetzt werden könnte. Das wäre eine wunderbare Gelegenheit, schließlich werden mit dieser Initiative, wie schon eingangs gesagt, gerade auch Menschen abgeholt, die sonst nicht den Weg vor die Leinwand finden. Wir sind dazu auch schon in Gesprächen mit Weischer.Cinema, die von der Idee auch begeistert sind.

Etwas, das wir noch nicht angesprochen haben: Das Projekt hat mittlerweile einen neuen Namen?

Claudia Overath: Genau, es war von Anfang an klar, dass job@cinema nur ein Arbeitstitel sein würde. Wir haben uns gemeinsam mit einer Agentur in mehreren Workshops Gedanken über einen Namen gemacht, der am besten ausdrückt, was wir erreichen wollen, was als Aussage hinter der Initiative stehen soll. Das Resultat war: KINO&ICH. Denn darum geht es: Einen Beruf zu finden, der Berufung ist, einen Arbeitsplatz, mit dem man sich voll und ganz identifizieren kann, egal in welchem Bereich man tätig ist.

Unterdessen arbeiten Sie schon an der Kampagne?

Claudia Overath: Ja, selbstverständlich müssen wir die Menschen erst einmal auf KINO&ICH aufmerksam machen, um sie dort dann abholen zu können. Tatsächlich hatten wir gerade erst an zwei Tagen Shootings im Kölner Cinedom für die ersten Kampagnenmotive, die wir auf der Website und Social Media nutzen werden – und die wir auch den Kinos in Form digitaler Plakate für ihre Foyermonitore zur Verfügung stellen werden. Wir fokussieren uns dabei zunächst auf drei Bereiche: Management, Technik und Gastro. Ich freue mich enorm, dass wir so tolle Menschen wie Johanna Guber vom Lumos in Nidda, Erich Pannier aus der Lichtburg Oberhausen, Hanna Szczepkowska, Christina Fischer von Mars EDV, Julia Knabe vom Cineplex Mannheim, Marco Schmidt aus dem Marketing der Cineplex-Zentrale und Surija Rattanasamay aus dem Central im Bürgerbräu Würzburg für diese Shootings gewinnen konnten – wir hatten wirklich richtig viel Spaß! Danke auch an Holger Pfaff und das Cinedom-Team, vor allem Egon Peine, Sandra Strobel und Roman Klauke, die tolle Gastgeber waren! Wie schon gesagt, wollen wir pünktlich zum Kinofest dann auch einen Bewegtbildspot erstellt haben. Das alles findet natürlich in einem eng abgesteckten Rahmen statt, denn unser Budget erlaubt uns noch keine riesigen Sprünge. Aber ich kann sagen, dass wir wirklich alles herausholen, was mit dem Geld möglich ist. Später kommt es dann gerade auch auf die Kinobetreiberinnen und -betreiber selbst an: Wenn sie mitziehen, das Projekt unterstützen, Kampagnenmotive und -spots auch auf ihren Kanälen ausspielen: Dann wird das ein wirklich tolles Ding!

Marc Mensch