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Thorsten Schaumann & Ana Radica zu den Hofer Filmtagen: „Es geht um ein Nach-Vorne-Denken“

Die Hofer Filmtage sind immer für Überraschungen gut. Dieses Jahr dürfte vor allem die Hommage für Gesprächsstoff sorgen. Wir blicken mit dem Künstlerischen Leiter Thorsten Schaumann und Ana Radica, Leiterin des Trägervereins, ins Programm, sprechen über Entdeckungen und Besonderheiten.

Thorsten Schaumann & Ana Radica (Credit: Hofer Filmtage/Andreas Rau)

Die Internationalen Hofer Filmtage überraschen immer wieder mit besonderen Filmen. Dazu zählt sicher auch Ihr Eröffnungsfilm: Der Dokumentarfilm „Zeppelin oben rechts“ von Olli Duerr. 

Thorsten Schaumann: „Zeppelin oben rechts“ ist ein inspirierender Film, bei dem Regisseur Olli Duerr über drei Jahre lang sieben Künstler:innen des inklusiven Atelier23 in Gießen begleitete. Er passt sehr gut in unsere Zeit und ist der perfekte Auftakt unserer diesjährigen Ausgabe. Begleitend zum Film wird es in Hof eine Ausstellung geben mit einigen Kunstwerke aus dem Atelier23. Dokumentarfilme sind dieses Jahr übrigens so stark wie nie vertreten bei uns.

Welche Besonderheiten können Sie noch hervorheben?

Thorsten Schaumann: „Zukunft denken“ von Hariett Maria und Peter Meining, ein Künstlerehepaar aus Dresden, das schon mal mit zwei Kurzfilmen bei uns war, ist sicher eine Besonderheit. Wir zeigen insgesamt drei ihrer Kurzfilme. Es geht um ein Nach-Vorne-Denken. Das Ehepaar arbeitet komplett unabhängig, macht sein Ding und ist furchtbar nett. Im Kino sprechen ich dann auch über die Arbeit der beiden. Darüberhinaus diskutieren Veit Sprenger, Theatermacher & Autor sowie Prof. Dirk Baecker, Soziologe zum Thema „Wollen wir ewig Leben“ über Kryonik sowie zukünftige Welten.

„Der Porn-Schick aus den 1970er Jahren ist total versandelt.“

Thorsten Schaumann

Ihre diesjährige Hommage ist Howard Ziehm gewidmet, der mit seinen Porno- und Erotikfilmen provozierte und erst im August dieses Jahres leider verstorben ist…

Thorsten Schaumann: Wir versuchen gerade, seine Ehefrau nach Hof einzuladen. Das Thema Pornografie, dieser Porn-Schick aus den 1970er Jahren ist ja total versandelt. Mittlerweile geht auch in Deutschland bei der Diskussion darüber, was man hinsichtlich Gewalt oder Sex auf der Leinwand zeigen darf, eine Schere auf. Gewalt wird interessanterweise überall hinlänglich hingenommen. Bei Sex stelle ich eine totale Verkrampfung fest, obwohl ich Sex gegenüber Gewalt das wesentlich Entspanntere finde. Sex war schon immer ein wichtiger Bestandteil des Kinos. Nicht nur des Kinos, der Kunst allgemein. Wir zeigen Ziehms Satireklassiker „Flesh Gordon“ von 1974, der sehr lustig ist, aber auch „Star Virgin“ von 1979, der sein vorletzter Film Pornofilm. Diese Filme greifen einen Zeitgeist auf, erstmalig ist Sex in dieser Größe zu sehen. Man versinkt regelrecht in den Genitalien auf der Leinwand. Die gezeigten Rollenbilder haben sich weiterentwickelt. Im Zeitkontext waren die Filme Protest im Kampf gegen Prüderie. Ziehm wurde zensiert, meines Wissens kam er sogar ins Gefängnis. Mit der Industrialisierung der Pornoszene ist er dann ausgestiegen, kam 1989 kurzfristig zurück, um sein Alterswerk, „Flesh Gordon 2“, vorzulegen. Ich finde es spannend, sein Werk neu zu entdecken und zu bewerten. Über Ziehm zeigen wir auch den Dokumentarfilm „Finding Planet Porno. The Wild Journey of American Cinema‘s First Outlaw“ von Christian Genzel. Genzel ist ein toller, konstruktiver, energiegeladener Filmemacher, der seinen Dokumentarfilm komplett unabhängig gemacht hat. Dazu fällt mir auch der Dokumentarfilm „Sexploration – Wie will ich’s wirklich?“  von Lisa Zielke ein. Sex, Geld und Macht sind starke menschliche Antriebe. Jede Person priorisiert für sich. Ich finde Sex macht am meisten Spaß und Spaß gehört unbedingt zu einem Film Festival.  Wichtig ist bei allem eine Einordnung mit entsprechender Diskussion. Und das geschieht.

„Star Virgin“ wird im Rahmen der Hommage an Howard Ziehm gezeigt (Credit: Hofer Filmtage)

Die Hofer Filmtage sind immer auch dafür bekannt, die großen Namen des deutschen Kinos zu feiern…

Thorsten Schaumann: Es kommt wieder eine wunderbare Garde von bekannten Filmschaffenden wie Dominik Graf und Rosa von Praunheim. Arne Körner, der bereits mehrfach bei uns war, bringt seinen Dokumentarfilm „Nonkonform“ über Dietrich Kuhlbrodt mit, den eine langjährige Arbeitsgemeinschaft mit Christoph Schlingensief verband und der eine Legenge in Hamburg ist. Kuhlbrodt und Körner stellen ihren Film persönlich am 25. Oktober vor, im Anschluss dann „30 Jahre an der Peitsche“ von Rosa von Praunheim. In dem Film geht es über eine Domina, die in dem Mietshaus, in dem der Kult-Filmemacher wohnte, 20 Jahre praktiziert hat. Auch bei den Kurzfilmen haben wir spannende Namen: die Schauspielerinnen Sarah Fazilat und Lisa Vicari haben ihre ersten Kurzfilme bei uns. Genauso Emma Bading, sie hat gleich zwei Kurzfilme inszeniert, die wir zeigen. In der  der Hauptrolle ist sie darüber hinaus in „The Man From Rome“ zu sehen. Badings Kurzfilm „Domesticated“ wird ebenfalls zur Eröffnung gezeigt. Die Kopplung Kurz-/Langfilm zu einer Vorführung hat sich bewährt und zeichnet die Hofer Filmtage auch mit aus. Für uns sind alle Filme gleichwertig, genauso wie alle Macher:innen, von Dominik Graf bis hin zu  Erstlingsfilmerinnen: Es geht bei uns ums Kino und den gemeinsamen Austausch.

„The Legend of the Vagabond Queen of Lagos“ gehört zum diesjährigen Afrika-Schwerpunkt in Hof (Credit: Hofer Filmtage)

Welche Akzente setzen Sie im Programm?

Thorsten Schaumann: Wir haben einen Afrika-Schwerpunkt mit drei Filmen: „The Legend of the Vagabond Queen of Lagos“ vom Agbajawo Collective mit 7 Regisseur:innen. Kokutekeleza Musebeni ist mit ihrem Kurzfilm „Die Gedanken unserer Vorfahren“, der lange auf der Shortlist für die Student-Academy-Awards war, zurück in Hof. Außerdem den Dokumentarfilm „Elevated Art“ über afrikanische Künstler:innen und den Spielfilm „Nawi“, das ebenfalls in Gemeinschaftsregie von vier Filmemacher:innen. In unserer Reihe „| 8 | 16 | 35 | – Hof Classics on Film“ zeigen wir dieses Jahr unter anderem Roger Cormans „The Intruder“ von 1961 und Russ Meyers „Im tiefen Tal der Superhexen“. Ich finde es immer wieder spannend zu sehen, was diese alten Werke mit den Leuten machen. Dabei ist  das Analog-Thema, dieses haptische Erleben unvergleichbar. An die Reihe gehen wir stets mit einer Kurations-Wishlist ran, die dann nach Verfügbarkeit und technischen Abspielmöglichkeit immer kürzer wird. Zur Auswahl gehört dieses Jahr übrigens auch „The Virgin Suicides“ von Sofia Coppola, der seinerzeit Deutschlandpremiere in Hof hatte. Jetzt kann man ihn bei „Hof Classics on Film“ wiederentdecken. Es ist schön, eine solche Form von Markenpflege zu betreiben, das Feuer, die Liebe für Kino, die Hof kennzeichnet, weiterzutragen. 

„Im Moment können wir uns nicht beklagen. Das gibt einem ein gutes Gefühl.“

Ana Radica

Andererseits bleiben Sie aber auch nie still stehen… 

Thorsten Schaumann: Auf gar keinen Fall…siehe Hof XR, wo wir dieses Jahr ein Demokratie-Projekt haben, in dessen Rahmen jüngere Menschen befragt werden, was sie über Demokratie denken. Die laufenden Aufnahmen werden dann in ein Projekt zusammengeführt. Richtig groß ist die immersive VR Installation „Duchampiana“ von Lilian Hess als Deutschlandpremiere im Programm, die in Venedig lief, sowie die VR Experience „Emperor“ .

Hof-Classics dieses Mal mit u.a. Sofia Coppolas „The Virgin Suicides“ (Credit: Hofer Filmtage)

Hof ist nicht nur Home of Films sondern auch Heimathafen vieler treuer Mitarbeitenden…

Thorsten Schaumann: Wir haben ein tolles Team, das aus vielen Menschen besteht, die erstmalig mitarbeiten, aber zu einem Großteil aus Leuten, die zum Teil in der dritten Generation dabei sind. Wie viele wissen, hilft die Oberbürgermeisterin von Hof seitdem sie 16 Jahre alt ist ehrenamtlich beim Festival. Auch dieses Jahr will sie wieder ein paar Stunden am Einlass stehen.

Was wird es organisatorisch Neues geben?

Thorsten Schaumann: In unserem Festivalzentrum in der Bürgergesellschaft wird zum ersten Mal eine größere Bühne eingerichtet, samt Podcast-Studio für das Filmtage-Leinwandgeflüster Talk Format. Und unser Streamingkanal wird heuer erstmalig 24/7 mit Content bestückt. Es geht los mit dem Breakfast-Club um 10.30 und endet täglich mit dem Filmtage Night Talk um 21 Uhr. Dazwischen Talks, die wir live streamen und Trailer-Interview etc. Wir sind sehr agil, haben Teams unterwegs, die sich um Social Media kümmern.

Wie ist Hof finanziell aufgestellt? Bleiben Ihnen alle Partner treu?

Ana Radica: Die Förderer, insbesondere der FFF – FilmFernsehFonds Bayern, stehen hinter uns. Sie begrüßen, was jährlich aus Hof kommt. Thorsten hat immer wieder neue Ideen, die aufgegriffen werden. Gut ist, dass wir auch den digitalen Bereich mit VR/XR weiterentwickeln. Der soll nicht das Kino verdrängen, sollte aber als ein neues filmisches Genre akzeptiert werden, das Format existiert bereits und sollte einen Platz bekommen.

Thorsten Schaumann: Die Themen VR/XR sind von Ana forciert und aufgegriffen worden. Mit dieser Idee kam sie von Festivalreisen zurück und hat ein Projekt daraus gemacht.

Ana Radica: Die Rainer Markgraf Stiftung unterstützt uns hierbei, was toll ist. Die Unterstützung ist auf drei Jahre begrenzt. Wir können unabhängig agieren und frei entscheiden welche Projekte wir aufnehmen. Generell sind uns die Festival-Förderer – BKM, FFF Bayern, Bezirk Oberfranken und die Stadt Hof – wohlgesonnen. Dieses Jahr haben wir sogar ein wenig mehr Geld von BKM und FFF Bayern bekommen. Die Förderhöhe wird Jahr für Jahr entschieden, so dass man keine wirkliche Planungssicherheit hat. Das betrifft aber alle Festivals. Klar, das Geld reicht nie, weil der Aufwand jedes Jahr größer wird, auch personeller Art. Der Digitalbereich erfordert mehr Personal und mehr Technik, die Ansprüche der Besucher werden auch größer, ein verbessertes Ticketsystem muss angeschafft werden, etc.. Das alles erfordert jährlich mehr Budget. Natürlich machen wir uns Gedanken, ob wir in so stabilen Gewässern bleiben. Im Moment können wir uns nicht beklagen. Das gibt einem ein gutes Gefühl.

Wie sehen Sie die Rolle von Festivals in sich verändernden Zeiten?

Thorsten Schaumann: Filmfestivals haben allgemein eine so wichtige Aufgabe. Sie schaffen Räume als Event mit Möglichkeiten, Dinge zu sehen, die in keinem Algorithmus auftauchen. Wir bieten dem Publikum ein kuratiertes Programm, auf das es sich auch einlässt. Die Bereitschaft des Publikums ist auf Festivals wahnsinnig groß. Es freut sich, Dinge zu entdecken. Das Absurde ist, dass in einem Konsummarkt der technischen Wahlmöglichkeiten eigentlich alles eindimensionaler wird. Alle gucken nur noch das gleiche. Man bleibt in seiner Blase. Festivals schaffen es, diese Blase aufzulösen. Kino lebt.

„Domesticated“ von Emma Bading wird zur Eröffnung gezeigt (Credit: Hofer Filmtage)

Wie sieht es in diesem Jahr mit den Preisen aus?

Thorsten Schaumann: In Hof vergeben wir elf Preise. Preise sind Extra-Anreize für Filmschaffende. Es ist wichtig, auf diese Art und Weise Hilfe und Unterstützung zu geben. Aber für mich sind alle Filme gleich, und die Preise sind nicht der einzigen Fokus auf dem Festival. In Hof werden die Preise natürlich zelebriert, aber dann richtet sich auch wieder alles aufs Kino, auf die Filme. Mir ist essentiell, als Festival den Rahmen für die Filmschaffenden zu verbessern, die Aufmerksamkeit auf die Filme zu legen, die wir haben. Sie hinaus in die Welt zu tragen, einen Austausch mit dem Publikum zu erreichen, damit da draus etwas Neues entsteht. Das ist mein Antrieb. Der Weg ist das Ziel. Könnte man sagen, wir haben es geschafft, könnten wir aufhören. Festivalmachen hört nie auf. Das ist das Schöne daran.

Ana Radica: Ein Festival muss sich immer weiterentwickeln. Das haben wir in den letzten Jahren gut hingekriegt. Wir konnten das „alte Rad“ mit neuen Format-Angeboten weiterdrehen. Man muss schon abwägen, wo unser Interesse und das des Publikums hingeht und was wir dann umsetzen können. Der Fokus liegt bei vielen Festivals inzwischen auf dem Nachwuchs- das schreibt sich jedes Festival auf die Agenda. Bei uns war das schon immer so, auch im 58. Jahr. Wir zeigen auch sehr viele internationale Filme, auch von Debütfilmschaffenden, die noch keinen Namen haben. Damit muss man umgehen in der Öffentlichkeit, die meistens auf Prominenz schielt. Auch wir werden immer gefragt, wer kommt denn, welche Stars sind da?. Aber ist das wichtig?  Will man sich davon abhängig machen? Wichtig ist doch die Qualität der Filme und den jungen Filmemacher*innen eine Plattform zu bieten. Es wächst ja immer wieder eine neue Generation heran. Zumindest sehe ich – die schon lange dabei ist – das so, Aber man wird immer damit konfrontiert: sind zu wenig Stars da…

Thorsten Schaumann: … heißt es gleich: Ach, jetzt kommen die Großen nicht mehr nach Hof.

Ana Radica: Damit kämpft jedes Festival, ob groß oder klein. Da muss man Selbstbewusstsein entwickeln. Das Motto, das Heinz Badewitz damals vorgegeben hat: Wir brauchen keine Stars, wir machen Stars. Das schwebt immer noch bei uns mit. Kein roter Teppich, kein Glamour, keine fokussierte Preisverleihung. Das ist schön bei anderen Festivals. Bei uns steht der Normalbetrieb des Kinos, ins Kinogehen, Filme schauen, hinterher darüber reden, im Fokus.

Das Gespräch führten Barbara Schuster & Thomas Schultze

Das Festival im Überblick

Home of Films: Die Hofer Filmtage starten ihre 58. Ausgabe am 22. Oktober (Credit: Evelyn Kutschera)