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GASTBEITRAG: Ein riskanter Ritt mit Happy End

Gerade feierte „The Assessment“ Weltpremiere auf dem TIFF und wird nun auf dem Film Festival Cologne gezeigt. In einem Gastbeitrag im Rahmen unseres NRW-Schwerpunkts rund um das FFCGN berichten die Produzenten Jonas Katzenstein und Maximilian Leo von augenschein Filmproduktion von ihren TIFF-Erlebnissen.

Eingespieltes Team: Jonas Katzenstein und Maximilian Leo von augenschein Filmproduktion (Credit: augenschein Filmproduktion)

Es ist ein sonniger Tag in Toronto, die Luft knistert vor Spannung. Zahlreiche Fans haben sich vor dem Kino versammelt, alle voller Vorfreude. Unser Film THE ASSESSMENT feiert heute seine Weltpremiere auf dem Internationalen Filmfest in Toronto. Die Fans jubeln, als der erste schwarze Van vorfährt. Als Elizabeth Olsen, eine der Hauptdarstellerinnen des Films, aussteigt, brechen sie in ekstatisches Kreischen aus. Dieser Moment, in dem ein Star gefeiert wird, gehört fest zum Repertoire eines Festivals. Doch bei diesem Film hätte es diesen Augenblick fast nicht gegeben, so wie alles angefangen hat…

Der riskante Anfang

Rückblende: Es ist der 1. März. Wir erhalten das Drehbuch. Die Logline klingt vielversprechend: In „The Assessment“ unterliegt der Kinderwunsch einem strengen Genehmigungsverfahren. Die siebentägige Prüfung eines jungen Paares entwickelt sich für die beiden zu einem psychologischen Albtraum. Die erste Besetzung – zum damaligen Zeitpunkt sind das Alicia Vikander, Elizabeth Olsen und ein weiterer Schauspieler, der schließlich doch noch vor dem Dreh aufgrund von Terminkonflikten aus dem Projekt ausscheidet – erscheint aufregend. Doch noch in derselben Nacht wird klar: Dieses Projekt wird ein harter Ritt. Am nächsten Tag telefonieren wir mit Produzentenveteran Stephen Woolley der britischen Koproduktionsfirma Number 9 Films („Interview mit einem Vampir“, „Crying Game“) und erfahren mehr Details zur Finanzierung und den Timing-Schwierigkeiten. Ein besonderer Knackpunkt sind die sogenannten „Stop-Dates“ der Darsteller:innen. Im Klartext: Wir müssen im Sommer drehen, sonst scheitert das Projekt. 

Selbst ohne den bevorstehenden SAG-Streik, den wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal erahnen können, wirkt der Dreh wie eine Mammutaufgabe. Die Finanzierung aus Großbritannien ist geplatzt, die Drehfenster der Schauspieler:innen lassen keine weiteren Spielräume zu. So ist die Vorbereitungszeit extrem kurz – es sind an diesem Punkt kaum noch wenige Monate, bevor der Dreh beginnen soll, die Investoren aus den USA zögern aufgrund dieser Terminsituation, und es gibt noch keine Bank für die Produktion. Die Frage steht im Raum: Sollen wir dieses Projekt wirklich wagen?

Die Entscheidung fällt

Trotz all dieser Widrigkeiten werfen wir einen letzten Blick ins Drehbuch. Es ist einfach zu gut, das Thema zu aktuell. In einer Mischung aus Thriller und Dark Comedy stellt das Skript zugespitzt fundamentale Fragen: Können oder wollen wir in dieser Welt überhaupt noch Kinder bekommen und was wären wir bereit unseren eigenen Komfort zu opfern? Der Film bietet eine ohnehin schon sehr starken Besetzung die Möglichkeit für absolute Tour-de-Force-Performances, und auch die Regie ist zu interessant, um es nicht zu machen. Die sonst, vor allem für ihre sehr stylische Arbeit in Musikvideos – ihre Vita reicht von Skrillex über M83 bis zu Drake – bekannte Fleur Fortuné gibt mit THE ASSESSMENT ihr Spielfilmdebüt.   Es ist einfach genau die Art von Film, für die wir mit augenschein antreten – also fassen wir einen Entschluss: Wir machen es!“

Was darauf folgt, sind zermürbende Verhandlungen mit über sieben Anwaltsparteien. Niemand will die Verantwortung übernehmen. Die Bank will das bestehende Risiko nicht tragen und auch der Bond weigert sich. Wir kommen in langen Nachtsessions auf ein Konstrukt, um das Projekt zustande zu bringen und stellen einen fast schon waghalsigen Prep-Plan auf die Beine – in wenigen Wochen, anstatt wie sonst Monaten müssen wir ein komplettes Filmprojekt zusammensetzen – von Locations, über Crew bis hin zum Cast – es bleibt bis zum letzten Moment spannend. Das Drehbuch muss noch angepasst werden, und die kurze Vorbereitungszeit führt dazu, dass während Max sich in unzähligen Zooms mit Anwälten herumschlägt, Jonas und auch Stephen vor Ort unzählige handfeste Probleme lösen müssen. Und dann schlägt das Schicksal erneut zu: Der Kameramann scheidet zwei Wochen vor Drehbeginn aus persönlichen Gründen aus, und zu allem Überfluss verlieren wir auch noch unsere Hauptdreh-Location auf Teneriffa…

„The Assessment“ mit Alicia Vikander und Elizabeth Olsen (Credit: TIFF)

Kreativität unter Druck

Es ist eine bekannte Weisheit: Manchmal macht Not erfinderisch. Der Druck, die Hindernisse und die schlaflosen Nächte tragen letztlich dazu bei, dass der Film davon profitiert. Ein neues Hauptmotiv wird gefunden, das sogar noch besser als das ursprüngliche ist, und mit Magnus Jonk gewinnen wir einen tollen Kameramann hinzu, der sich voll ins Projekt stürzt. Die Stimmung im Team bleibt positiv, und nach unzähligen Nachtschichten schaffen wir es so, das Projekt zu retten.

Selbst als der SAG-Streik tatsächlich Realität wird, finden wir einen Weg. Nach viel Schweiß und Tränen gelingt es uns, als eine der ersten Produktionen einen SAG-Waiver zu erhalten. Das ist nur möglich, da wir eine komplett unabhängig finanzierte Produktion sind. Der Dreh wird mehrheitlich in Köln durchgeführt, mit einer deutschen Crew, und auch auf Teneriffa werden Lösungen gefunden. Nach 30 Drehtagen haben wir es nicht nur geschafft, in kürzester Zeit einen Film zu drehen, sondern dazu noch einen, auf den wir wirklich stolz sind. 

Der große Tag: TIFF-Premiere

Und jetzt sind wir hier, bei der Weltpremiere in Toronto. Mittlerweile sind auch die weiteren Stars des Films eingetroffen: Regisseurin Fleur Fortuné, Darsteller:innen Himesh Patel und Alicia Vikander. Die Begrüßungen sind herzlich, man umarmt sich, schießt Fotos und gibt Interviews. Hinter der Bühne bleibt ein wenig Zeit, um über die Dreharbeiten zu plaudern. Es fühlt sich fast surreal an, dass der Dreh schon wieder ein Jahr zurückliegt. In solchen Momenten wird einem klar, wie schnell die Zeit vergeht.

Lizzie erinnert sich besonders gern an die Zeit in Köln, wo sie während der Dreharbeiten oft in ihr Lieblingsrestaurant „Haus Müller“ gegangen ist, von dem wir ihr zum Abschluss auch ein kleines Care-Paket als Erinnerung zusammengestellt haben, inklusive ihres Lieblingsweins. Diese persönlichen Details, so klein sie erscheinen mögen, sind oft der Kleber, der eine Produktion zusammenhält.

Doch bei aller Vorfreude und Nostalgie merkt man die Anspannung im Raum. Dies ist die Weltpremiere. Nur sehr wenige Menschen haben den Film bislang gesehen. Jetzt wird er zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Es ist ein Moment, der alles verändern kann: Wird der Film gut ankommen?

Weltpremiere von „The Assessment“ auf den Toronto International Film Festival (Credit: augenschein Filmproduktion)

Gänsehaut und Applaus

Und dann ist es soweit: Wir gehen auf die Bühne, und Fleur richtet ein paar Worte ans Publikum. Es gibt jetzt kein Zurück mehr. Der Vorhang hebt sich, der Film beginnt.

Schon nach wenigen Minuten merken wir: Das Publikum ist dabei. Es ist immer wieder erstaunlich, wie enthusiastisch die Zuschauer:innen in Toronto sind. Sie gehen voll mit, lassen sich auf die Geschichte ein und zeigen sich von ihrer besten Seite. Es ist eine wahre Freude, den Film hier präsentieren zu können. Wir lieben Toronto!

Nach 115 intensiven Minuten herrscht Totenstille. Diese Stille, die manchmal mehr aussagt als viele Worte. Dann bricht Applaus aus. Gänsehaut breitet sich aus. Die Lichter gehen an, und in den Gesichtern im Publikum sehen wir dieselbe Freude und Erleichterung, die wir selbst empfinden.

Die Afterparty und die Zukunft

Jetzt beginnt der entspanntere Teil des Abends: Die Afterparty. Jeder ist da, die Stimmung ist gelöst, die Anspannung fällt ab. Es wird angestoßen, und schon bald dreht sich das Gespräch um die unvermeidliche Frage: „Was drehen wir als Nächstes?“

Die Reise dieses Films war lang und voller Herausforderungen. Doch am Ende hat es sich gelohnt. Manchmal sind es die schwierigsten Projekte, die einem am meisten bedeuten. Und genau das scheint auch das Publikum gespürt zu haben. Der Applaus, die strahlenden Gesichter – sie sind der Beweis dafür, dass sich die Mühe gelohnt hat.

Prost auf den Film, auf Toronto und auf alles, was als Nächstes kommt!