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REVIEW KINO: „Better Man“

Biopic-Musical über Robbie Williams, das sich für das ganz große Publikum mit allen Hits zum Affen macht. 

Michael Graceys „Better Man“ (Credit: Tobis)

CREDITS: 
O-Titel: Better Man; Land/Jahr: Australien 2024; Laufzeit: 134 Minuten; Drehbuch: Michael Gracey; Regie: Michael Gracey; Besetzung: Jonno Davies, Steve Pemberton, Damon Herriman, Alison Steadman, Kate Mulvany; Verleih: Tobis; Start: 2. Januar 2025

REVIEW:
Dies ist ein Film über Kühnheit. Ein dreister, ungehöriger Film, der der grenzenlosen Fantasie eines unerschrockenen Regisseurs und dem puren Größenwahn entspringt – und die Autorin bittet vorweg um Nachsicht, wenn auch diese Rezension etwas ausartet. „Better Man“ ist eine persönliche Erfahrung, wie sie das Biopic-Genre selten zulässt, ein Blick ins Innere eines der berühmtesten Menschen auf diesem Planeten, um den man nicht herumkam, wenn man in den 90ern aufwuchs, den man entweder liebte oder hasste, so wie man entweder Fan von Oasis oder Take That war, von den All Saints oder den Spice Girls, oder vielleicht einfach nur die Mannschaft mochte, für die die ältere Schwester gerade nicht schwärmte. Robbie Williams wollte immer in beiden Teams sein, den ganzen Ruhm einkassieren, machte gleichzeitig nie einen Hehl aus seinen Selbstzweifeln und seiner Drogensucht, machte sich angreifbar mit seiner Möchtegern-Hooligan-Interpretation der Mir-doch-egal-Haltung seines Larger-Than-Life-Vorbilds Frank Sinatra, mit seinem animalischen Verhalten, das man gerne als Teil der Show abtat, vor allem, wenn man zu denen gehörte, die lieber jede Zeile von „Don’t Look Back in Anger“ auswendig gelernt haben, anstatt zu versuchen, die „Top of the Pops“-Choreos von Take That nachzutanzen. 

Regisseur Michael Gracey ist selbst in der Popwelt zu Hause, er hat Musikvideos und das pompöse, leicht überzuckerte P.T.-Barnum-Musical „The Greatest Showman“ inszeniert und war ausführender Produzent der gefeierten Elton-John-Biografie „Rocketman“. Er ist der perfekte Partner in Crime für Robbie Williams, der angetreten ist, um dem Genre des Musik-Biopics einen Denkzettel zu verpassen, in dem Schauspieler oft nur so aussehen und so tun, als ob – ein Problem, das Gracey vielleicht auch in der verwegenen Annahme umgeht, dass ohnehin niemand in der Lage wäre, Robbie Williams gerecht zu werden. Wenn du die Menschen unterhalten willst, zeige ihnen, wer du bist und was du fühlst, lautet das Motto, das Williams als Solokünstler immer beherzigt hat. Gracey nimmt diesen Grundsatz und seinen Star nicht nur ernst, sondern wörtlich, nachdem ihm dieser bei der Vorbereitung des Projekts anvertraut hat, dass er sich in seiner Karriere oft wie ein dressierter Affe gefühlt habe. 

Also zieht Gracey Williams die Haut ab, entblößt sein Innenleben, bringt statt seines blutigen Skeletts einen unansehnlichen Menschenaffen zum Vorschein. Er steckt den Schauspieler Jonno Davis („Kingsman: The Secret Service“) in einen Motion-Capture-Anzug und nutzt die Technik, mit der Andy Serkis in „Der Herr der Ringe“ zu Gollum und in „Planet der Affen: Survival“ zu Caesar wurde, mit Hilfe derselben Oscar-prämierten Effektschmiede Wētā FX. Die CGI-Maske wird Robbie Williams’ gruseliges „Joker“-Face, die digitale Fratze seines Selbsthasses, die nun 134 Minuten lang die Kamera angeifert, womit man als Zuschauer erst einmal klarkommen muss. Der Filmemacher lässt aber auch den leibhaftigen Robbie Williams nicht so einfach davonkommen, er hat die Chuzpe, den Star mit seiner unverwechselbar ungefilterten Ausdrucksweise, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, selbst erzählen zu lassen, wie es sich anfühlt, Robbie Williams zu sein und sich sein Leben lang für andere zum Affen zu machen. 

Verrückterweise gelingt es dieser sehr oft schmerzhaft intensiven Inszenierung, dass man das alles ebenfalls fühlt, dass bei einer Kinovorführung selbst ältere Männer mit beinharter Rockerseele Tränen verdrücken, kaum dass ein schmächtiger Affenjunge mit engelsgleicher Kinderstimme auf der Leinwand im Rampenlicht erscheint und den ersten Song des Films zum Besten gibt. Das Drehbuch spannt von hier aus einen Bogen vom Ende der 1970er bis zum Anfang der 2000er, hangelt sich entlang der großen Hits, deren Veröffentlichungsdaten der Chronologie der Ereignisse widersprechen, deren Bedeutung und Texte sich jedoch kongenial in den Momenten erschließen, in denen sie zu hören sind. Mal ganz abgesehen von dem ganzen Affentanz ermöglicht Gracey so auch Fans, die bereits die Netflix-Doku über Robbie Williams am Stück verschlungen haben, eine neue Sichtweise – etwa die Erkenntnis, dass „Feel“ einem Schimpansen mit schiefen Zähnen und abstehenden Ohren auf den Leib geschrieben wurde, einem ungelenken Jungen aus der englischen Arbeiterstadt Stoke-on-Trent, der schlecht in der Schule ist, schlecht im Sport, aber der geborene Alleinunterhalter, weil er der Sohn seines Vaters ist, des Pubbesitzers Peter Williams (gespielt von Steve Pemberton), der selbst am liebsten den Entertainer gibt und deshalb die Familie sitzen lässt, als Robbie drei Jahre alt ist. Ohne Umschweife wird klar gemacht, dass dies die Geschichte eines Jungen ist, der um die Anerkennung seines Vaters kämpft, sich im Grunde genommen nur nach dessen Applaus sehnt und ihm beweisen will, dass er es auf seine Art schaffen kann. Robbie ist kein Schüler, der auf den Rat eines Lehrers hört („Don’t embarass yourself!“), er lernt von Frank Sinatras Fernsehauftritten, und er lernt von seinem Dad, dass man „bollocks“ braucht, um vom Publikum geliebt zu werden. Robbie kann eigentlich nichts richtig, außer „showing off“, das beherrscht er wie kein Zweiter – man muss nur das Spotlight auf ihn richten, schon zeigt er das breiteste Grinsen und die strahlendsten Augen, die man je gesehen hat. Er hat das Herz und den Blick von Ol’ Blue Eyes, sagt seine Oma Betty (Alison Steadman), die wichtigste Person in seinem Leben, die einzige, die an ihn glaubt und ihn so sieht, wie ihn niemand sonst sieht, wenn sie in der winzigen Wohnung auf dem Sofa sitzen und Chips futtern. 

Man hat das charmante Stehauf-Äffchen gerade liebgewonnen, die Fratze fast vergessen, doch dann präsentiert der Film Williams als pubertierenden, affigen Teenager, einen unsympathischen Außenseiter, der nur „Money, Supermodels, Fame“ im Kopf hat. Beim Boyband-Casting überzeugt er den berühmt-berüchtigten Pop-Manager Nigel Martin-Smith (Damon Herriman) nicht mit seiner Sinatra-inspirierten Performance („Straighten Up and Fly Right“), aber mit purer Dreistigkeit, und so nimmt das Drama seinen Lauf. Michael Gracey, der schon in „The Greatest Showman“ bewiesen hat, dass seine innovativen Musikvideo-Ideen auch im großen Stil zünden, überrumpelt das Publikum förmlich mit dem folgenden spektakulären Mix aus Musical- und Montage-Sequenzen mit üppigen visuellen Effekten, die die wichtigsten Ereignisse im Leben des Sängers dokumentieren. Die gesamte Karriere von Take That wird in einer euphorischen „Rock DJ“-Choreografie auf der Londoner Regent Street mit Hunderten von Tänzern abgefeiert, in der das Kostüm- und Produktionsdesign keine stilistische Phase der Band auslassen, in einer rasanten Abfolge, die so nahtlos geschnitten ist, als wäre alles in einer einzigen Einstellung gefilmt – und damit abgehakt. Take That hat ihm die Würde genommen, sagt Robbie später, man sieht in traumatisierenden Szenen, wie mit einem Mal die ganze Welt die Hand nach dem 15-Jährigen ausstreckt, erst sind es die Typen in den Gay Clubs, dann Mädchen und Frauen jeden Alters. Man sollte wissen, wer man ist, wenn die Leute deinen Namen schreien, meint seine Mutter Janet (Kate Mulvaney), aber Robbie fühlt sich immer noch hässlich, er wird von der Presse als „Perverser“ abgestempelt, nachdem er sich von einer Bewunderin in der Öffentlichkeit einen runterholen lässt, er wird von seinem Vater ausgenutzt, der auch ein Stück vom Ruhm abhaben will, leidet an Depressionen, ist mit 21 Jahren kokain- und alkoholsüchtig. Der Affe ist der Elefant im Raum, der schließlich von seinen Bandkollegen vor die Tür gesetzt wird, was mit einer weiteren fantastischen Montage einhergeht, in der Williams, grob zusammengefasst, auf der Flucht vor Take That mit seinem Auto in einen entgegenkommenden Bus kracht und in ein Meer von Paparazzi stürzt, tatsächlich eine erdrückende Mindfuck-Sequenz, an die genau das anschließt, was die dazu gesungene Ballade „Come Undone“ ankündigt: Williams kauft sich eine Yacht, erzählt von all den Promis, die er verachtet, und schreibt ein Liebeslied („She’s The One“) – für Nicole Appleton (Raechelle Banno). 

Eine etwas zu romantische Tanznummer wie aus „La La Land“ ist der All-Saints-Sängerin gewidmet, die später seinen Erzrivalen Liam Gallagher (Leo Harvey-Elledge) heiraten wird, den er in Wahrheit weit mehr verehrt als sich selbst. Das Comeback als Solokünstler folgt fast in einem Atemzug mit dem Tod der geliebten Großmutter, und man wäre kein Mensch, würde einem die traurige Affenvisage nicht spätestens jetzt das Herz zerreißen, egal, wie oft man sich schon genervt die Ohren zuhalten wollte, wenn wieder irgendwo der Stadion- und Bierzelthit „Angels“ angespielt wurde. Erbarmungslos führt der Film in die düsterste, kälteste Episode seiner Drogensucht, lässt Williams lächerlich nackt, freud- und freundlos in den Abgrund blicken, und inszeniert den Moment seines größten Triumphs, sein Rekorde schreibendes Solokonzert beim Knebworth Festival im August 2003 als Wiedergeburt: Williams muss sich seinen Damönen, dem alten Affen Angst im Publikum stellen, er muss eine ganze Armee von Affengesichtern, jede Facette seiner Showpersönlichkeit niedermetzeln wie in einer fehlenden Szene aus „Planet der Affen“ und verwandelt sich mit seinem legendären Auftritt in einen wahren Entertainer, der 125.000 Menschen vor der Bühne in Ekstase versetzt und dem Kinopublikum den nächsten Ohrwurm verpasst.

„Better Man“ schickt sich nicht an, Oasis-Fans zu bekehren, aber er führt den Beef der Britpop-Ära vor und fort, er hat das gleiche Oversharing-Problem wie sein Protagonist, nimmt kein Blatt vor den Mund, bezieht zu allem und zu jedem Stellung, ob man es nun hören will oder nicht, erklärt, was Ruhm ist („wenn man flachgelegt wird, obwohl man hässlich ist“, nimm’ das, Liam Gallagher), wie sich Berühmtsein anfühlt („so unangenehm wie das ,Happy Birthday‘, das deine Freunde im Restaurant für dich singen, während du nur möchtest, dass es schnell aufhört, damit du den Kuchen essen kannst“), es ist eine Abrechnung mit dem obszönen Retortenband-Geschäft, die „Girl You Know It’s True“ wie eine harmlose Komödie aussehen lässt. Es ist die bittersüßeste und unterhaltsamste Lektion in Demut, seit Bob Fosse in „Hinter dem Rampenlicht“ seinen eigenen Tod inszenierte – ein Meisterwerk, das Michael Gracey nicht gerade unbescheiden zu den Filmen zählt, die ihn inspiriert haben, das eben auch von einem Egomanen handelt, für den es nur um die Show geht, der eine ähnliche Mischung aus Narzissmus und Selbsthass zelebriert. Auch „Better Man“ verzeiht und vergöttert nie die Schwächen seines Helden, macht sich keine Illusionen über das, was diesen antreibt, er ist offen, ehrlich, großspurig, frech und charismatisch wie Robbie Williams selbst. Man glaubt ihm, dass jede Sekunde, jedes „Fuck you“ und selbst der letzte versöhnliche Ton aus tiefstem Herzen kommen. Mach’s persönlich, obwohl es weh tut. That’s Entertainment.

Corinna Götz