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REVIEW ZFF: „When We Were Sisters”

Schonungslos zu Herzen gehende Coming-of-Age-Geschichte einer 15-Jährigen, die auf einem Griechenland-Urlaub mit ihrer alleinerziehenden Mutter mit deren neuen Liebhaber und seiner Tochter wichtige Schritte zu sich selbst machen muss. 

CREDITS:
Land / Jahr: Schweiz, Griechenland 2024; Laufzeit: 101 Minuten; Regie & Drehbuch: Lisa Brühlmann; Besetzung: Lisa Brühlmann, Paula Rappaport, Malou Mösli, Carlos Leal

REVIEW:
Und von oben aus dem All sieht Hale-Bopp zu. Immer wieder wird der Komet erwähnt, wandert der Blick nach oben gen Himmel in Lisa Brühlmanns neuem Film, der ersten Kinoarbeit der Schweizer Regisseurin und Schauspielerin seit ihrem Debüt „Blue My Mind“ aus dem Jahr 2017, damals Gewinner von vier Schweizer Filmpreisen, unter anderem als bester Film. Irgendwo anders, so suggeriert der Film mit seinen kosmischen Verweisen, ist es friedlich, herrscht Ruhe. Aber nicht hier, wo die Geschichte von „When We Were Sisters“ spielt, in einem Kriegsgebiet, das man Erwachsenwerden nennt: Diese Schwelle, dieser Moment, wo man als Mädchen aufhört, Kind zu sein und sich nach vorne tasten muss, was das bedeuten könnte, eine Heranwachsende zu werden, jetzt schon strafmündig, bald schon volljährig, bildete schon die Grundlage für „Blue My Mind“, da aber in Form einer Allegorie, die Veränderungen des Körpers in der Pubertät als Body-Horror-Film. Jetzt nimmt Brühlmann den Filter weg, gibt es keinen Schutz mehr. Jetzt geht es ans Eingemachte. In einem, das sei schon mal gesagt, richtig tollen Film mit Langzeitwirkung, in dem Paula Rappaport in der Hauptrolle ebenso gut ist wie damals Luna Wedler, ebenfalls eine Entdeckung der Filmemacherin.

Lisa Brühlmanns „When We Were Sisters“ (Credit: Zodiac Pictures/Nikolas Leventakis)

„Giraffe“ nennt Valeskas Mutter Monica ihre 15-jährige Tochter, die sie allein großzieht und dabei eigentlich immer überfordert ist, weil sie, wenn sie ehrlich wäre, schon überfordert ist mit sich selbst. Irgendwann ist das Mädchen in die Höhe geschossen und seither gar nicht mehr so recht Muttis Kleine, mit der man sich schmücken kann und die widerstandslos tut, was man von ihr will. Noch ist Valeskas Rebellion lautlos. Der linkische Teenager hat sich drei Punkte zwischen Daumen und Zeigefinger tätowiert, trägt die Haare kurz, ein Lederband als Kette. Und sie ist alles andere als begeistert, dass sie den kommenden Urlaub an der Seite der Mutter mit deren neuen Liebhaber auf Kreta verbringen muss, mit dessen Tochter obendrein, Lena, die etwas jünger ist als Valeska, mit ihren langen, lockigen Haaren deutlich braver und nicht auf Konfrontation gebürstet. Das Problem: Natürlich liebt Valeska ihre Mutter, wie Kinder ihre Eltern immer lieben, auch wenn sie die schlimmsten Monster sind. Natürlich will sie es ihr rechtmachen, natürlich schmerzt es sie zu sehen, wie Monica an ihrem Leben verzweifelt.

Lisa Brühlmanns „When We Were Sisters“ (Credit: Zodiac Pictures)

Aber jetzt soll ja alles besser werden. In Griechenland, in einer bescheidenen, aber ansehnlichen Hotelanlage namens Stella, am Strand, im Meer, unter der Sonne. Und dann noch Hale-Bopp, der die Menschen vereint und dem Zuschauer noch ein Signal aussendet: Die Geschichte spielt im Jahr 1996, was wiederum auf eine sehr persönliche Qualität des Gezeigten verweist: Regisseurin Brühlmann war damals selbst 15 Jahre alt. Und tatsächlich fühlen sich viele der kleineren Details, die der Film zeigt, an wie gelebte Erfahrung. So war das damals. Das haben wir damals gemacht, als wir Teenager machen. So haben wir die Welt gesehen, im Urlaub erste Erlebnisse mit Jungs gehabt, Freundschaften geschlossen, die so eng waren, dass man sich der Freundin verbunden fühlte wie einer Schwester, so haben wir alles festgehalten mit Fotos, die noch eine echte Bedeutung hatten, als man sie auf Film festhielt. „When We Were Sisters“ fühlt sich so echt an, so erlebt, dass man manchmal weinen will. Zuerst weil es so zutreffend und genau beobachtet ist. Später weil es einem das Herz zerreißt, wenn einen der Film hautnah miterleben lässt, welche Gewissenskonflikte Valeska durchleiden muss: Dass sie die Erwachsene in der Beziehung mit ihrer manisch-depressiven Mutter ist, kriegt man als Zuschauer schnell mit. Aber was stellt das mit dem Mädchen an, das immer Punchingball sein muss für die Launen der Mutter, mal himmelhochjauchzend in ihrer unerträglichen Liebe, dann zu Tode betrübt in ihrem Selbstmitleid und Schicksal, an dem natürlich nur Valeska Schuld trägt?

Lisa Brühlmanns „When We Were Sisters“ (Credit: Zodiac Pictures)

So lässt einen „When We Were Sisters” zuerst teilhaben an dem Hochgefühl der Freundschaft zwischen den beiden zuerst so inkompatibel scheinenden Mädchen, ausgehend aus einer so großen Antipathie, dass Valeska in einem besonders grausamen Moment nachts die Tür zum Zimmer offenstehen lässt, wohlwissend, dass Lenas geliebter Hund Charly ausbüchsen wird und fortan förmlich leitmotivisch gesucht wird. Und dann an der Höllenfahrt, wenn alles zum Teufel geht, weil sich die mühsam vorgespielte Harmonie nicht länger aufrechterhalten lässt. Monica rückt in den Mittelpunkt, so schonungslos nackt gespielt von Lisa Brühlmann selbst, in ihrem ersten Leinwandauftritt seit 2017: ein Muttermonster, eine schreckliche Frau, ein fürchterlicher Mensch, Täter, aber immer auch Opfer, weil der Film nicht den Stab über sie brechen will. Angetrieben von dem irrwitzigen Wunsch nach einem neuen Baby, dessen Ankunft alles gutmachen soll irgendwie, als finge dann auch ihr Leben wieder von vorne an, klammert sie sich an Illusionen und verliert den Boden unter den Füßen. Und ermöglicht es dann Valeska, mit einem einzigen Wort, sich zu lösen, zu trennen, zu emanzipieren. Man fühlt sich an Sofia Coppola erinnert, an „The Virgin Suicides“. Nur besser. An Lynne Ramsay, an „Morvern Callar”. Fast so gut. An Larry Clark, an „Kids“. Nur mit mehr Gefühl. Und mit Hale-Bopp. Ciao Vogel, Ciao Charly, Ciao Kindheit. 

Thomas Schultze