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REVIEW ZFF: „Es geht um Luis“

Zweiter Langfilm der in Berlin lebenden Italienerin Lucia Chiarla, in dem Max Riemelt und Natalia Rudziewicz als dauergestresstes Ehepaar erfahren, dass ihr zehnjähriger Sohn Mobbingopfer ist und darüber in einen Streit über gesellschaftliche Werte geraten.

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 98 Minuten; Regie & Drehbuch: Lucia Chiarla; Besetzung: Max Riemelt, Natalia Rudziewicz, Franziska Troegner; Verleih: Across Nations Filmverleih; Start: 23. Januar 2025

REVIEW:
Auf die Nachrichten im Radio hat Jens keinen Nerv. Er sitzt unruhig in seinem Taxi und wartet auf seine Frau Conni, Architektin von Beruf. Läuft bei ihnen als Ehepaar, gut gelaunt legt Conni eine italienische Schnulze ein, „L’amore mio sei tu“. Alles gut, nur sollte Jens nicht so viele unflätige Wörter benutzen, das färbe auf ihren zehnjährigen Sohn Luis ab. Und vielleicht kommen auch mal wieder ruhigere Zeiten. Denn da das Geld knapp ist, fährt Jens auch Nachtschichten, ist dauerunterwegs. Auch Conni ist im Dauerstress, die Chance im Architekturbüro kann sie sich nicht durch die Lappen gehen lassen, auch wenn ihr keine Überstunden bezahlt werden. Jens setzt Conni zuhause ab und ruft ihr noch zu, die Schule habe angerufen: Es gehe um Luis. Ob sie sich darum kümmern könne. Stein des Anstoßes ist der lilafarbene Schulrucksack von Luis, auf dem auch noch ein großes Glitzer-Einhorn prangt. Die anderen Kinder würden ihn deswegen mobben. Diese Nachricht passt so gar nicht in den stressigen Arbeitsalltag der Eltern. Doch das ist erst der Anfang, die Abwärtsspirale beginnt erst. Denn die Probleme mit Luis in der Schule häufen sich. Luis wird die Treppe heruntergeschubst, dann schubst er angeblich einen Mitschüler. Er wird eine Woche suspendiert. Conni bekommt den Kontakt zu einem Schulpsychologen. Das Problem liege eindeutig bei Luis, so die Schulleitung.

„Es geht um Luis“ von Lucia Chiarla (Credit: Across Nations Filmverleih UG)

Der zweite Langfilm der Italienerin Lucia Chiarla, die seit 2005 in Berlin lebt und vor ein paar Jahren von ihrer Arbeit vor der Kamera als Schauspielerin mit dem Kurzfilm „Reise nach Jerusalem“ hinter die Kamera wechselte (und daraus dann ihren ersten Langfilm machte, aber auch schon länger als Autorin arbeitet), basiert auf dem Theaterstück „The little pony“ von Paco Bezerra. Entsprechend reduziert ist der Film, ein Psychogramm eines Ehepaars, das sich in die Debatte über soziale Normen und Werte, die innerhalb einer Gesellschaft als erstrebenswert und moralisch gut erachtet werden, verstrickt und dabei aus den Augen verliert, dass ihr zehnjähriger Sohn durch gemeinste Schikanen seiner Mitschüler in seiner persönlichen Integrität verletzt wird. Der ganze Film spielt mehr oder weniger im Taxi von Jens, gespielt von Max Riemelt, der unlängst erst in Natja Brunckhorsts Komödie „Zwei zu eins“ zu sehen war. An seiner Seite sitzt Natalia Rudziewicz, im Kino ein noch eher unbekanntes Gesicht, als seine Ehefrau Conni. Luis sieht man hingegen kein einziges Mal, man hört seine Stimme hin und wieder über den Speaker der elterlichen Handys. 

Als Zuschauer sitzt man (neben Kameramann Christoph Iwanow) quasi hautnah mit dabei und erlebt, wie die Stimmung zwischen Conni und Jens im Taxi-Inneren mit fortlaufender Handlung immer aufgeheizter wird. Es geht um Fragen wie: Wer trägt die Schuld, wenn gemobbt wird? Das Opfer? Die Täter? Die Schule? Muss man sich der Mehrheit anpassen, sich den Kategorien unterordnen, brav in die vorgefertigten Schubladen schlüpfen? Was ist normal? Was ist nicht-normal? Wer bestimmt das? Vor allem als Eltern kann man diese Themen sehr gut nachvollziehen und ist beim Gucken heilfroh, wenn man mit den eigenen Kindern keine Mobbinggeschichten erleben musste. Der Drive kommt vor allem aus dem guten Zusammenspiel von Max Riemelt und Natalia Rudziewicz, die von L’amore mio sei tu in den siebten Kreis der Hölle geraten, weil sie unschlüssig bzw. unterschiedliche Meinungen darüber haben, wie sie mit dem Gemobbtwerden ihres Sohnes umgehen sollen. 

So sehr der Film auch ständig in Bewegung sein mag, kann er doch seine Theaterherkunft nie ganz abschütteln. Weniger wegen der bildlichen Gestaltung, mehr in den Dialogen, die stets ein bisschen zu eloquent für ihre Figuren wirken und moderne Reizthemen abhaken wie auf einer Checkliste, dabei aber nicht das Maß an Durchdringung erreichen wie bei den Stücken einer Yasmina Reza. Man bleibt aber dabei. Die Schauspieler sind einfach zu gut. Die Produktion von ostlicht filmproduktion mit East End Film und SWR als Koproduzenten, von MDM und MFG gefördert, feierte im Spielfilmwettbewerb des 20. Zurich Film Festival Weltpremiere und läuft im Anschluss auch auf dem Rome Film Festival.

Barbara Schuster