Login

REVIEW FILMFEST HAMBURG: „Spirit in the Blood”

Psychologischer Horror über zwei Freundinnen in einer religiösen Gemeinde, die tief im Wald ein Monster vermuten, das Mädchen auflauert.

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland, Kanada 2024; Laufzeit: 98 min; Regie & Drehbuch: Carly May Borgstrom; Besetzung: Summer H. Howell, Sarah-Maxine Racicot, Michael Wittenborn, Greg Bryk, Ariadne Deibert, Lyla Elliott, Sarah Abbott; Verleih: Weltkino; Start: 7. November 2024

REVIEW:
Gewiss, „Spirit in the Blood“ folgt den Maßgaben eines Horrorfilms: dunkler Wald, ein Monster, das Ungewisse, gewaltsamer Tod. Aber im Grunde ist das Regiedebüt von Carly May Borgstrom doch über weite Strecken eine Entdeckungsreise, ein rite of passage, ein Übergangsritus von zwei Teenagerfreundinnen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, eine Geschichte vom ersten Blut und dunklen Geistern, ein sich Schlängeln durch enge Spalten und schwarze Öffnungen. Dass sich die beiden Freundinnen, die schüchterne, gerade zugereiste Emerson und die souveräne Delilah, mit drei weiteren Mädchen zusammentun, um zu viert in einem Wald nach der Leiche eines Mädchens zu suchen, ist als Idee beinahe direkt der Stephen-King-Novelle „Die Leiche“ entnommen, die Rob Reiner 1985 als „Stand By Me“ verfilmt hatte, einer der großen Klassiker über die Schmerzen des Aufwachsens, die Wehmut, die Kindheit zurückzulassen. Nur dass „Spirit in the Blood“ nicht als nostalgische Geschichte in der Rückschau erzählt ist, sondern im Hier und Jetzt spielt, mit einem durch und durch weiblichen Blick.

„Spirit in the Blood“ von Carly May Borgstrom (Credit: Junafilm)

Wenn die Geschichte einmal Fahrt aufnimmt, sozusagen die Zivilisation hinter sich lässt und die Mädchen im Wald eine ganz eigene Form von Gruppendynamik finden, alle Fesseln abwerfen, etwas tief Animalisches in sich entdecken, dann findet der Film sich in einem Spannungsfeld zwischen „Picknick am Valentinstag“ und „Beasts of the Southern Wild“, die göttlichen Geheimnisse einer Schwesternschaft, die einen besonderen Moment erlebt, der kurz da ist und sich dann für immer verflüchtigt. Das Monster mag draußen warten und lauern, aber gerade jetzt gibt es einen Augenblick des Glücks. Dass er nicht anhalten kann, die Dunkelheit sich Bahn brechen wird, deutet schon der Titel an und weil man weiß, dass Erwachsenwerden ist ein schmerzhafter Vorgang – growing up is hard to do: In einer Nacht spitzt sich die Handlung zu. Es gibt Konflikte, erste sexuelle Erfahrungen. Und wieder einen Mord. 

Was etwas ungelenk beginnt, entwickelt sich zunehmend zu einer rauschartigen Filmerfahrung, mehr „Yellowjackets“ als „Stranger Things“, in der das Heidnische und Atavistische auf die repressive Stimmung einer gläubigen Bibelgemeinde trifft. Starke Leistungen entlockt die Regisseurin ihren jungen Darstellerinnen, allen voran Summer H. Howell und Sarah-Maxine Racicot, die man sich merkt in dieser beeindruckenden Produktion von Verena Gräfe-Höft, deren Junafilm gerade ihren 15. Geburtstag feiert. Die besten Geschenke macht man sich eben immer noch selbst. Wie etwa diesen entfernten Verwandten von „Tore Tanzt“, der nicht alle seine Geheimnisse verrät, aber dann doch keinen Zweifel lässt: Monster sind erschreckend real. 

Thomas Schultze